Rainer Thiele Rainer Thiele: «Ich will nicht hören, was nicht geht»
Halle (Saale)/MZ. - Keine Frage, Halle liegt ihm am Herzen. Wenn Rainer Thiele über die Saalestadt spricht, dann ist Leidenschaft zu spüren - aber auch Ärger. Ärger darüber, dass die Stadt in den Augen des Seniorchefs des Traditionsunternehmens Kathi so schlecht vermarktet wird. MZ-Redakteur Peter Godazgar traf Rainer Thiele im Hof der Moritzburg.
Sie haben die Moritzburg als Ort für unser Gespräch gewählt. Warum?
Thiele: Ich liebe die Kunst und ich liebe althistorische Stätten. Außer dem verbinde ich mit diesem Ort viele schöne Erinnerungen: Es gab hier mal einen wunderschönen Weinkeller, ein Restaurant, das nach der Wende leider gesperrt wurde und für das es bis zum heutigen Tag eigentlich keine Alternative gibt. Außerdem gab es im Hof einmal im Jahr die Burg-Party. Der Besucherandrang war jeweils riesig, weil immer westdeutsche Sänger kamen, wie zum Beispiel Amanda Lear, Dunja Reiter oder Roland Kaiser, das waren unterhaltsame Abende.
Führen Sie auch Besucher her?
Thiele: Regelmäßig. Und jeder ist begeistert.
Was sagen Sie zum Neubau?
Thiele: Ich finde, es ist ein gelungener Kompromiss zwischen Alt und Neu. Das einzige, was mir absolut missfällt, ist der Eingang. Das ist für mich ein richtiger Störfaktor, das hätte man eleganter lösen können als durch so einen unansehnlichen Blechkasten!
Welche Kindheits- und Jugenderinnerungen verbinden Sie mit Halle?
Thiele: Nur gute. Ich war etwa im Winter viel auf der Peißnitz, wo es eine Spritzbahn gab. Ich war auch immer gerne mit einem Boot auf der Saale unterwegs. Den Stadtpark fand ich toll und natürlich den Bergzoo. Später sind wir in die Nähe des Galgenbergs gezogen - ebenfalls eine abwechslungsreiche Spielstätte. Es gab also viele Orte, an denen man als Kind Abenteuer erleben konnte. Aber mit zunehmendem Alter registrierte ich natürlich auch den zunehmenden Verfall.
Und heute?
Thiele: Für mich gehört Halle neben München und Hamburg zu den schönsten Städten in Deutschland. Aber: Halle könnte noch viel, viel mehr aus sich machen.
Was sagt der Unternehmer zur Einkaufsstadt Halle?
Thiele: Tja, da muss ich nur das Stichwort Leipziger Straße nennen. Ich dachte immer: Wenn der Umbau des Riebeckplatzes beendet ist, belebt sich diese schöne Einkaufsstraße. Ein Irrtum. Der obere Boulevard ist ja inzwischen ein Punkerstützpunkt. Und wenn ich den so genannten Branchenmix sehe, kann ich das nur eine Katastrophe nennen. Ich zählte zum Beispiel am unteren Boulevard elf Handygeschäfte! Das ist doch ein Witz.
Was kann die Stadt dagegen unternehmen?
Thiele: Diese Frage drehe ich um: Was haben andere Kommunen gemacht, damit es bei ihnen eben nicht so aussieht? Man muss nicht immer das Rad neu erfinden. Erfahrungsaustausch war, ist und bleibt die billigste Investition. Manche Kleinstadt in der Region hat einen besseren Branchenmix als Halle.
Aber Weißenfels oder Zeitz sind jetzt nicht gerade die Top-Shoppingadressen.
Thiele: Nein, aber gerade in Naumburg war ich kürzlich und dachte: Ach, sieh mal, eine solch kleine Stadt und so ein gesunder Branchenmix.
Was also kann man tun?
Thiele: Zum Beispiel darauf einwirken, dass es in der Top-Einkaufsstraße keine elf Handygeschäfte gibt. Und noch was: Das Entree muss besser werden. Wer über die B 100 Richtung Wasserturm reinkommt, sieht als erstes hauptsächlich eine Ruinenzeile!
Sie lieben Ihre Stadt ganz offenbar, aber Sie leiden offenbar auch.
Thiele: Einfach weil ich sehe, was wir verschenken. Wir haben so viel, mit dem wir wuchern könnten: die Nationalakademie gleich gegenüber, die Franckeschen Stiftungen, den wunderschönen Zoo, die vielen Kirchen, die Residenz, den Uni-Campus, den Dom, die Saale .
Meistens kommt das Dauerargument: Wir haben doch kein Geld.
Thiele: Andere Städte haben auch kein Geld, also müssen die doch irgendwas anders machen. Wissen Sie, hier wird immer nur erklärt, warum etwas nicht geht. Das ist kein Kunststück. Ich will nicht immer bloß hören, warum irgendwas nicht geht. Wir verstehen es offenbar nicht, unser tolles Potential zu vermarkten. Dafür bräuchte ich keine vermeintlichen Top-Werbeagenturen aus der Ferne. Man sollte lieber mal Insider fragen, die unsere Stärken und Schwächen kennen.
Und der Hallenser selbst? Der schimpft ja doch recht gerne.
Thiele: Ja, es gibt da wohl eine besondere Mentalität. Zu DDR-Zeiten wurden mehr als 100 000 Menschen künstlich hergekarrt, um hier zu arbeiten. Von denen kann ich nicht erwarten, sich mit der Stadt zu identifizieren. Aber ich stelle auch fest: Junge Leute sind begeistert. Und diese Begeisterung springt über. Die sind von Halle richtig infiziert. Das stimmt mich wieder optimistisch.
Sie gelten als Vorzeigeunternehmer, wurden vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Bundesverdienstkreuz. Haben Sie trotzdem immer Sorge um die Firma?
Thiele: Nach der Wende lag unser Jahresumsatz bei 3,8 Millionen Mark, heute liegt er bei 22 Millionen Euro. Wir sind seit Jahren in den neuen Bundesländern Marktführer. Trotzdem kann ich mich nie zurücklehnen. Das wäre tödlich für einen Unternehmer. Hinzu kommt: Es gibt inzwischen so viele Faktoren, die ich überhaupt nicht beeinflussen kann, nehmen Sie nur die Rohstoffpreise in der Nahrungsmittelbranche: Weizen, Gerste, Kakao, Zucker. Ich sage: Zu DDR-Zeiten bestimmte die Partei. Heute bestimmt das Kapital.
Zu den wichtigsten Momenten ihres Lebens dürfte die Reprivatisierung der 1972 enteigneten elterlichen Firma gehört haben.
Thiele: Ein ganz emotionaler Moment, natürlich! Ich muss aber auch sagen: Meine ganze Familie glaubte nie an den ewigen Bestand der DDR. Mein Vater hat den Namen Kathi schon zu DDR-Zeiten rechtlich schützen lassen. Das hat damals kaum einer getan. Und für mich stand nach dem Milliardenkredit, den Franz-Josef Strauß vermittelt hatte, fest: Die Regierenden sind nicht nur am Ende ihres politischen, sondern auch ihres wirtschaftlichen Lateins.
Ihre Eltern haben das Ende der DDR nicht mehr erlebt.
Thiele: Mein Vater starb 1985, meine Mutter ist am 31. März 1989 verstorben. Am Sterbebett sagte sie zu mir: Junge, du übernimmst doch wieder die Firma, das System hat doch abgewirtschaftet. Und das habe ich ihr dann versprochen.
Das geschah dann 1991.
Thiele: Ja, als dann alles geregelt war, bin ich zu meiner inzwischen verstorbenen Frau und hab ihr gesagt: Ich hab das Unternehmen meiner Eltern zurück. Und dann bin ich mit einem Herzinfarkt zusammengebrochen.
Unmittelbar danach?
Thiele: Sofort. Da ahnen Sie, was das für mich bedeutet hat.