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Punkszene in Halle zu DDR-Zeiten Punk DDR Halle: "Nagende Ratte am Fundament des Sozialismus"

Von Steffen Könau 05.12.2018, 05:00
Verwischte Bilder aus wilden Zeiten: Geralf Pochop (M.) erfand sich seine eigene DDR.
Verwischte Bilder aus wilden Zeiten: Geralf Pochop (M.) erfand sich seine eigene DDR. Geralf Pochop

Halle (Saale) - Sie trugen Irokesenkamm und Lederjacke, verachteten die staatliche Jugendorganisation FDJ, verhöhnten Staatsorgane und hörten statt angepasster DDR-Musik von Gruppen wie den Puhdys oder Karat lieber Sex Pistols, The Clash und verbotene DDR-Gruppen wie Müllstation und Schleimkeim. Geralf Pochop steckte in den 80er Jahren mittendrin in der kleine, bunten und wilden DDR-Punkszene, die in Halle eine ihrer Hochburgen hatte.

Verfolgt von der Stasi und später immer öfter auch bedrängt von rechten Skinheads, dachte der heute 53-Jährige dennoch nie daran, seinen Idealen abzuschwören.  „Es war ja  Schicksal, dass ich zum Punk gekommen bin“, erinnert er sich heute, wo er als Autor des Buches „Untergrund war Strategie. Punk in der DDR: Zwischen Rebellion und Repression“ kreuz und quer in Ost und west unterwegs ist, um von den verrückten Zeiten zu berichten, in denen man sich die Haare mit Zuckerwasser stylte, um anschließend von der Volkspolizei nach dem sogenannten Punk-Paragrafen zu einer Ordnungsstrafe von 500 Euro verurteilt zu werden.

Punk in Halle betrieb Kult-Plattenladen Schlemihl

„Meinen starker Freiheitsdrang, mein Gerechtigkeitssinn, meine Kreativität, meine Selbstständigkeit, meine Abneigung zur gegenüber der Armee und mein Hinterfragen von Dingen führten mich zwangsläufig in diese Szene“, beschreibt Pochop, der nach der Wende und dem Zusammenbruch der DDR lange den Kult-Plattenladen Schlemihl führte. Die Zeit als Punk in der DDR hat das Leben des Hobbymusikers geprägt: „Weder meine Band Gleichlaufschwankung noch den Schallplattenladen noch das Label Saalepower-Records hätte es ohne meine DDR-Punk-Zeit gegeben.“

Schuld an allem ist Pipi Langstrumpf, ein Idol von Pochops Kinderzeit, vor dem ihm seine Lehrer in der Schule warnten. Pippi sei  eine imperialistische Kriegstreiberin, hieß es da, man dürfe ihr nicht zuschauen.  Ein Verbot, das  im Neubaukind aus der Südstadt Widerspruchsgeist weckte. „Daraus resultierte dann meine Abneigung gegen jegliches Militär und der Drang, einfach Autoritäten nicht anzuerkennen.“ Bei den anderen Punks fand Pochop Gleichgesinnte.

Punk in der DDR: „Jeder von uns erlebte fast täglich Ausweiskontrollen“

Anfangs habe man nicht einmal gewusst, was man als Punk anziehen müsse und welche Frisuren zu tragen seien, beschreibt Pochop, der heute in Sachsen lebt. „Aber trotzdem wurden wir gleich zu Feinden erklärt, gegen die mit Härte vorzugehen sei“. Staatssicherheitschef Erich Mielke persönlich macht die Punks – „Pank“, heißt es in einer Stasi-Akte phonetisch – zur Chefsache.

„Jeder von uns erlebte fast täglich Ausweiskontrollen“, erzählt Geralf Pochop, „es gab Zuführungen durch die VP, Entführungen und Verhöre durch die Staatssicherheit, Hausdurchsuchungen, Bedrohungen, Ordnungsstrafen, Einweisungen in Jugendwerkhöfe, Verhaftungen und anschließende Verurteilungen zu Haftstrafen.“

Punk in der DDR: Halle ist eines der Zentren der Bewegung

Halle ist eines der Zentren der Bewegung, zum zweiten DDR-weiten Punk-Festival in der Christus-Gemeinde im Oktober 1983 pilgert die halbe Republik an die Saale. „Da wurden mit einem massiven Polizei- und Staatssicherheitseinsatz alle Jugendlichen, die in die Kirche wollten, gehindert auch nur in die Nähe  zu gelangen“, schildert Pochop 35 Jahre später. Es kommt zu Massenverhaftungen, am Bahnhof herrscht Ausnahmezustand. „Das alles nur wegen einer Musikveranstaltung!“

Als Staatsfeinde sehen sich die DDR-Punks zumindest anfangs gar nicht. „Die politische Radikalisierung gegen die DDR entstand erst als Reaktion auf die ständigen Übergriffe und Verbote seitens des Staates“, sagt Pochop. Aus seiner Sicht hatten er und seine Freunde eigentlich nur ihre Musik hören, zu Konzerten gehen, Punk-Bands gründen, Spaß haben und so rumlaufen wollen, „wie wir es gut fanden“. Nicht anders als Millionen andere Jugendliche in der Pubertät überall auf der ganzen Welt.

DDR-Staat erklärt den Unangepassten, den Abweichlern und Freiheitssuchern sofort den Krieg

Doch der DDR-Staat erklärt den Unangepassten, den Abweichlern und Freiheitssuchern sofort den Krieg. „Genaugenommen war zuerst der Spaß an der Musik und dem Outfit da, dann kam die Repression“, sagt Pochop. „Um weiter unser Leben so führen zu können, wie wir es wollten verschwanden wir im Untergrund.“ Verweigerung und Widerstand werden zur Strategie: „Auf die kollektive Überwachung antworteten wir mit Ironie und verspotteten unsere Verfolger.“ Etwa mit Liedern, die der normale Stasi-Mann einfach nicht einzuordnen wusste. „Der Song „Schnupfen“ von Müllstation aus dem Jahre 1982 ging einfach „Schnupfen, ich hab schnupfen, Hatschi!“

Politisch war das durch das Umfeld, die Szene und die Flucht in den Freiraum Kirche. Dort wurden die Texte politischer und offen DDR-feindlich. „Niemand nahm mehr ein Blatt vor den Mund“, sagt Pochop, „warum auch? Punk war ja so oder so verboten.“ Als die DDR-Behörden später versuchen, Punk-Bands mit FDJ-Förderverträgen zu ködern, springen die altgedienten Untergrundgruppen nicht darauf an. „Die meisten hätten sich eher die Zunge rausgeschnitten, als ihre Texte für eine offizielle Spielerlaubnis zu verändern.“

Punk in der DDR: Auch Geralf Pochop dachte nie daran, auszusteigen und abzuschwören

Auch Geralf Pochop dachte nie daran, auszusteigen und abzuschwören. „Alles, was gegen mich unternommen wurde, nur dazu geführt, dass ich mich in meinem Tun bestätigt fühlte“, sagt er, den die Stasi schließlich festnimmt und inhaftiert. „Während der Haft versuchte mich die Staatssicherheit mit einer schönen Wohnung, einer tollen Arbeit und einer frühzeitigen Haftentlassung zu ködern, wenn ich meinen Ausreiseantrag zurückziehe und Spitzeltätigkeiten für sie übernehme“, beschreibt er, „aber in mir kam da nur noch mehr Wut hoch.“ Trotz mehrerer Wochen Haft in einer Isolationszelle sagt er den Stasi-Werbern „ziemlich deutlich, was ich von ihrem Vorschlag und der Stasi hielt. Nämlich überhaupt nichts!“

Die „nagende Ratte am Fundament des Sozialismus“, wie ihn die Stasi bezeichnet, steht die Haft durch und triumphiert so still über seine Verfolger. Nach dem Ende der DDR kämpfte Geralf Pochop viele Jahre mit Hilfe des halleschen Neuen Forum und des Zeitgeschichten-Vereins, um als  politischer Häftling anerkannt zu werden.

„Durch die Recherchen zur Rehabilitierung bin ich auf viele Sachen gestoßen, von denen ich vorher nichts geahnt habe“, sagt er, „so zum Beispiel, dass mein Strafmaß schon einige Zeit vor meiner Verhaftung und Verurteilung in einem Stasibericht vorgeschlagen wurde“. In seinem Buch erzählt er nun die ganze Geschichte. (mz)

>>Geralf Pochop liest am Freitag, 7. Dezember im GiG Reilstraße, musikalisch begleitet wird er von der Band Brechreiz