Premiere in Halle Premiere in Halle: Puppen machen Geschichte

Halle (Saale) - Noch ruhen die Puppen im Dock des halleschen Puppentheaters. „1913 – Der Sommer des Jahrhunderts“ – vom Intendanten Christoph Werner nach dem gleichnamigen Buch von Florian Illies inszeniert – hat noch nicht begonnen. Wie in ein Diorama schaut das Publikum auf die halbkreisförmige Bühne, auf der verschieden hohe Podeste bestückt sind und quasi als „Spielwiese“ (Bühnenbild: Angela Baumgart) dienen: Hier Thronfolger Franz Ferdinand auf seinem Kinderstühlchen, dort die Dichterin Else Lasker-Schüler, ebenso lebensfroh wie lebensuntüchtig auf einer Schaukel, Rainer Maria Rilke, der Welt entrückt in einer Badewanne, Kaiser Wilhelm II. mit Pickelhaube und Gewehr.
1913, für Europa das letzte friedliche Jahr vor Beginn des Ersten Weltkriegs, bricht an: Fünf identisch in Anzug gewandete Puppenspieler, drei davon weiblich, geben sich allesamt als Autor Illies aus – und erwecken die von Puppenbauerin und zugleich –spielerin Louise Nowitzki geschaffenen Figuren in der für das hallesche Puppentheater und seinen Intendanten so typischen offenen Spielweise zum Leben. Schlaglichtartig wird der Fokus auf eine Figur gerichtet: Während der kranke, vereinsamte Kafka aus Prag Briefe an seine Geliebte schreibt, trifft in Wien ein gewisser Dschughaschwili ein – erst ein Jahr zuvor hat er sich den Kampfnamen Stalin gegeben. Wer weiß, ob er nicht im Park Schönbrunn einem Herrn Adolf Hitler unbekannterweise begegnet ist? An diesem Abend im halleschen Puppentheater jedenfalls verschwinden am Ende beide in der Versenkung.
Erfinder der Zwölftonmusik
Siegmund Freud schart – ebenfalls in Wien – seine um eine Katze bereicherte Mittwochsgesellschaft, verkörpert durch die Puppenspieler selbst, um sich. Arnold Schönberg, der Erfinder der Zwölftonmusik, scheitert an der Unglückszahl 13, und Oskar Kokoschka kann nur malen, wenn er Anna Mahler lieben kann. Rilke, im fernen Spanien, wird von Seifenblasen umschwebt, Thomas Mann braucht für seinen Bestseller, den er zu schreiben gedenkt, nur „weißes Papier, flüssige Tinte und eine leichte Feder“. Dass dies der „Zauberberg“ werden soll, wissen wir im Nachhinein – wie alles, was nach 1913 kommen sollte.
Monat für Monat geht „1913“ dahin. Manchmal etwas zu monoton – ein wenig mehr Action, ein paar Ausreißer würden dem Stück gewiss gut tun. Keine Frage aber, dass die fünf Akteure hervorragend spielen. Phänomenal, wie es gelingt, trotz der zahlreichen menschlichen Darsteller dem Zuschauer das Gefühl zu geben, die Puppe stehe allein im Zentrum.
Auch wer Illies’ Bestseller nicht gelesen hat, kommt gut durch das Stück. Einzig die am Ende aus ihrem Bilderrahmen sprechende Mona Lisa, deren Verschwinden im Laufe des Abends mehrfach Erwähnung fand, mutete seltsam an. Das tut aber einer mehr als gelungenen und mit mehreren „Vorhängen“ applaudierten Premierenaufführung keinen Abbruch. (mz)
Die nächsten Vorstellungen des Stückes sind bis Ende März ausverkauft.