Premiere Premiere: Glückspilze oder Geschädigte?
HALLE/MZ. - Zumal es das Thema, dem sich Oper, Thalia und Staatskapelle in einer Koproduktion für die Händel-Festspiele angenommen haben, auch in sich hat. "Kastraten" heißt das Stück, das am Sonntag in der Aula des Löwengebäudes Premiere feiert. Ironisch-zweideutiger Untertitel: "Gesang nach des Messers Schneide".
Ein schillerndes Thema, in der Tat. Doch so viele Geschichten und Anekdoten sich um jene Knaben ranken, die vor der Pubertät entmannt wurden, damit der Stimmwechsel nicht einsetzte, so wenig Zeugnisse gibt es von den Betroffenen selbst. Waren es also geschundene Kreaturen? Oder waren es Glückspilze des Schicksals, umjubelt vom Publikum? Die Leipzigerin Barbara Rucha und die Stuttgarter Dramaturgin Tina Hartmann wollen einerseits diese Ambivalenz zeigen (wobei sich der Zuschauer seine Meinung natürlich selbst bilden soll). Sie schlagen aber auch eine Brücke in die Gegenwart.
Sind Formen der Kastration heutzutage nicht allgegenwärtig? Aufgespritzte Lippen, vergrößerte Brüste, das unüberschaubare Feld des Dopings: Was, fragt Barbara Rucha, tut sich der Mensch im 21. Jahrhundert nicht alles an, um anderen zu gefallen, um Ruhm, Ehre und Reichtum zu ernten?
Texterin Tina Hartmann verpackt all diese Fragen in die Geschichte von Felice Salimbeni, ihrem von dem berühmten Gesangslehrer Nicola Porpora ausgebildeten kleinen Bruder (dem deutschstämmigen Kastraten Antonio Porporino) sowie der Sängerin Teresa, die - als Kastrat maskiert - mit Salimbeni zusammenlebte. Es sind historisch verbürgte Schicksale: Niemand geringerer als Casanova berichtet in seinen Lebensbeschreibungen von dieser tragischen, erstaunlicherweise aber auch lustigen Geschichte.
Das ist denn auch Dirigentin Rucha und Texterin Hartmann wichtig: "Wir wollen keinen weinerlichen Kontext." Die Kastraten selbst sollen zu Wort kommen. Zu hören sein werden der Sopranist Robert Crowe, der Altus Roland Schneider und die hallesche Mezzosopranistin Susanna Haberfeld, die - staunt Barbara Rucha - im Vergleich zu ihren Kollegen die maskulinste Stimme hat. Hinzu kommen zahlreiche Schauspieler und Musiker.
Musik gibt es übrigens nicht nur von Händel, Vivaldi oder Pergolesi, sondern auch von Michael Jackson und Boy George, von Freddie Mercury und Gene Pitney - allesamt Stimmlagen, die bekanntlich eher im oberen Bereich liegen und mitunter geschlechtlich nicht eindeutig zuzuordnen sind. Für Schlüpfrigkeiten ist indes kein Platz. Barbara Rucha sagt: "Wir wollen den Kastraten ins Herz gucken, nicht unter den Lendenschurz."
Und der kleine Tove? Der hat auch dieses Gespräch komplett verschlafen.
Die Premiere am Samstag ist ausverkauft. Für die Vorstellungen am 7. und 9. Juni (jeweils um 19.30 Uhr) gibt es noch Karten. Aufführungsort ist die Aula des Löwengebäudes.