Ostern 1945 Ostern 1945: Als der Tod nach Halle kam

Halle (Saale) - Es ist Ostersamstag vor 70 Jahren, als der 501. Fliegeralarm im Süden Sachsen-Anhalts seit Kriegsbeginn die Sirenen heulen lässt. Um 9.36 Uhr greifen 369 Fliegende Festungen an. Halle zu Ostern 1945 ist eine Stadt im beginnenden Frühling, eine Stadt im endenden Krieg. Bis zu diesen zerstörerischen 34 Minuten an einem lauen Morgen: Das alte Rathaus wird teilweise zerstört, die Ratswaage beschädigt, am Hotel Goldene Kugel, den Hotels Europa, Weltkugel und Hohenzollernhof, am Riebeck-Bräu und in der Beesener Straße explodieren Bomben. Auch das Kaufhaus Ritter in der Leipziger Straße wird schwer getroffen, während das eigentliche Ziel, der Bahnhof, auf dem immer noch Truppen und Material für die beiden Fronten umgeschlagen werden, keine Treffer erhält.
Schwerer getroffen als je zuvor
Die Saalestadt, über Jahre hinweg vor allem wegen der Siebel-Flugzeug-Werke ein Ziel alliierter Bomber, hoffte schon auf den Frieden. Und wird schwerer getroffen als je zuvor. Da hatten Briten und Amerikaner meist die Industriegebiete um Leuna, Buna, aber auch Weißenfels, das Mineralölwerk Lützkendorf bei Krumpa und Zeitz als „first target“ anvisiert, wie es in den Mission-Protokollen der 303rd Bomber Group heißt. Halle ist meist „zweites Ziel“ und wird nur angeflogen, wenn Wetter oder starke Luftabwehr einen Angriff auf das primäre Ziel nicht zulassen.
Bereits Ende Februar hatten 314 Bomber die Saalestadt angegriffen. Die Siebel-Werke, die bis dahin am Überschall-Flugzeug DFS 346 arbeiteten, werden hart getroffen. Die 8. Air Force verliert zwei B24-Bomber, ein Pilot wird getötet, 18 Männer gelten nach der Heimkehr ins englische Molesworth als „MIA“ - missed in action.
"Ziel Hauptbahnhof"
„Ziel Hauptbahnhof“, vermerkt First Lieutenant Oliver Lee Bashor diesmal im Mission-Book seiner B17, die seine Mannschaft „Sweet LaRhonda“ nennt. Bashor stammt aus Loveland, einer Kleinstadt in Colorado, er fliegt heute seine 13. Mission und bisher hat er Glück gehabt. Obwohl die B17-Besatzungen die höchste Verlustrate aller Waffengattungen der US-Streitkräfte haben, sind Bashor und seine Männer bisher davongekommen. „Abgesehen von zahlreichen Löchern durch Flakbeschuss keine größeren Beschädigungen“, heißt es in den Aufzeichnungen der Besatzung, „auch alle Crewmitglieder unbeschadet“. Kameraden von ihnen hat es dagegen getroffen - so etwa im Juli 1944, als ein B17-Verband die Leuna-Werke angreift. Die „Randie Lou“ von Lt. William Fitzroy wird von einer Granate getroffen, bei Leipzig springt die Besatzung ab. Fünf Männer werden gefangen genommen, drei von wütenden deutschen Zivilisten gehängt.
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Spezialisten entschärfen Sprengkörper
Verglichen mit solchen früheren Einsätzen ist der Oster-Flug mit der Nummer 349 fast ein Spazierflug für die 359th Bomb Squadron, die Teil einer Operation ist, bei der insgesamt 1.348 Bomber und 889 Geleitschutzjäger der 8. Air Force die Raffinerie in Zeitz, Stendal. Salzwedel, Erfurt, Weimar und Aschersleben angreifen. Sweet LaRhonda, ein Flugzeug der Einheit, die sich die „Hells Angels“ nennt, fliegt die Position „high Squadron, right side“ in der sogenannten Combat Box, einer eng zusammengezogenen Flugformation aus jeweils drei nebeneinander fliegenden Maschinen. Der Himmel ist klar mit hochliegenden weißen Wolken. „No enemy aircraft or flak“ schreibt Bashor. Das ist ungewöhnlich für die Region, die über den größten Flak-Schutzgürtel in ganz Deutschland verfügt.
Zeitzeugen aus Halle erinnern sich genau, wie das von unten aussah. 200 schwere 500-Kilo-Bomben bringen den bis dahin meist so fernen Krieg in die Wohnzimmer. In der Zwingerstraße Nummer 25 fällt eine Brandbombe mitten in eine Wohnung, erinnert sich eine 89-jährige Hallenserin später. „Eine Freundin wohnte in der 26, die Familie hatte großes Glück.“ Oft seien Sprengkörper nicht explodiert. „Dann kamen Spezialisten, die sie entschärften“, beschreibt die Frau.
"Da hat doch kein Mensch nach Bomben geguckt"
Das war aber nicht immer so in diesen letzten Kriegstagen, als die Verwaltung bereits eine Notverwaltung ist. In vielen Fällen werden Blindgänger nicht entdeckt, weil niemand nach ihnen sucht. „Überall waren Krater, lag Schutt. Da hat doch kein Mensch nach Bomben geguckt“, sagt die alteingesessene Hallenserin, die bei den Angriffen einen Onkel verlor.
Weil die Straßen weiter befahren werden müssen, werden Bombentrichter einfach zugeschüttet, ohne dass kontrolliert wird, was noch unter Schutt und Trümmern liegt. „Die Menschen hatten andere Probleme, man hat sich zuerst um die Menschen gekümmert, nicht um die Bomben.“ Fast 800 Tote müssen begraben, Hunderte Verletzte versorgt und Trümmer beseitigt werden.
Blindgänger bleibt 66 Jahre lang unentdeckt
Ein Blindgänger von Ostern 1945 wird erst 66 Jahre später bei Bauarbeiten entdeckt - 2011 muss die gesamte südliche Innenstadt wegen der 250-Kilo-Bombe in der Nähe des Elisabeth-Krankenhauses evakuiert werden.
Für die Männer oben in den Flugzeugen ist der schwerste Angriff auf die größte Stadt in Sachsen-Anhalt, der zugleich auch die Raffinerie in Zeitz trifft, reine Routine. Staff Sergeant Bert M. Beals, der als Maschinengewehrschütze in einer B24 sitzt, wird später erleichtert in sein Tagebuch schreiben „nicht viel Flak am Ziel, nicht so viel, wie ich dachte“.
Auch Beals schwerer B24 „Liberator“-Bomber mit dem Namen „Sweat-N-Duck“ kehrt wohlbehalten aus Mitteldeutschland zurück. Drei weitere Einsätze fliegt Beals noch, dann endet sein Kriegstagebuch mit den Worten „Happy day!“ Am 6. April fliegt die 8. US-Luftflotte noch einmal einen Angriff mit mehr als 200 B24 auf Halle, wieder soll der Bahnhof getroffen werden. 22 Flugzeuge greifen gleichzeitig Eisleben an. Zwei Wochen später ist der Krieg in der Region vorüber. (mz)

