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Frisch sympathisch uneitel Ornella Wahner: So tickt Halles Amateur-Box-Weltmeisterin

Von Petra Szag 07.12.2018, 09:49
Die Amateur-Box-Weltmeisterin Ornella Wahner steht vor einem stressigen Jahr 2019.
Die Amateur-Box-Weltmeisterin Ornella Wahner steht vor einem stressigen Jahr 2019. Holger John / VIADATA Photo

Halle (Saale) - Da ist die kleine Narbe über der linken Augenbraue. Wer Ornella Wahner genau ins Gesicht sieht, der nimmt sie wahr. Wahrscheinlich wäre es ein Leichtes gewesen für die junge Frau, die bleibende Erinnerung an die geklebte Risswunde des „Arbeitsunfalls“ wegzuschminken. „Narben“, sagt die 25-Jährige stattdessen und lächelt sanft, „erzählen ja auch eine Geschichte“. Die ihre ist die einer sehr erfolgreichen Boxerin.

Vor ein paar Tagen hat die für den SKC Tabea Halle startende Sportsoldatin bei der WM in Indien das erste Frauengold für den deutschen Amateurboxsport erkämpft. Und obwohl sie im Finale einer Lokalmatadorin den Titel abspenstig gemacht hat, feierten die 4.000 Zuschauer die Bezwingerin ihrer Landsfrau.

Ornella Wahner: Auch in Indien ein Publikumsliebling

Weil sie ihr Handwerk versteht, sicherlich. Vor allem aber, weil sie sich so herzergreifend freuen konnte. Authentisch kommt sie rüber, ungekünstelt. Und dazu ist sie noch ausgesprochen hübsch. Ein Publikumsliebling eben.

Ist Ornella Wahner tatsächlich uneitel? Wer das mit 1,64 Meter eher kleine Persönchen sieht, der merkt sofort: Sie entspricht so gar nicht dem Klischee eines rauflustigen Haudraufs. Ja, sie schminkt sich tatsächlich nicht so gern, gibt sie zu. Und in legerer Kleidung fühlt sie sich auch privat sehr wohl. „Wenn ich trainiere, dann bin ich durchgeschwitzt“, sagt die gebürtige Sächsin im besten Hochdeutsch. „Aber das gehört bei uns nun mal dazu.“

Fraulich wirkt sie dennoch. Die Stimme ist hell, ihr bevorzugter Anzug eines bekannten Sportausrüsters im leuchtenden Bordeaux unterstreicht die weibliche Note. Dass diese Hände hart zulangen können, mag man kaum glauben.Und doch sucht Federgewichtlerin Ornella Wahner im Boxring ihresgleichen.

Seit dem WM-Titel ist Ornella Wahner eine gefragte Sportlerin

So souverän und gewandt, wie sie sich bei der täglichen Arbeit anstellt, so zeigt sie sich gerade auch außerhalb der Seile. Am Vortag ZDF-Frühstücksfernsehen in Berlin. Als nächstes dann der Sportlerball in Magdeburg.

Und zwischendurch schlägt sie in ihrem Verein in Halle beim Pressetraining ein paar Haken und Geraden. „Ich bin dankbar für die Unterstützung, die ich bekommen habe“, erklärt sie ihre Bereitschaft zu dem Medien-Marathon. „Nun versuche ich etwas davon zurückzugeben.“

Auch in Halle. Seit zwei Jahren ist die Boxerin das Aushängeschild ihrer Sportart in der Chemiepokal-Stadt. Man hilft sich gegenseitig. Die frühere Boxhochburg will wieder eine werden. Braucht dafür auch ein Gesicht. Wahner wiederum hat hier Förderer gefunden. Dass sie hin und wieder mit Talenten von der Saale trainiert, tut auch ihr gut. Die Partnerschaft funktioniert.

Auch wegen Cindy Rogge: Ornella Wahner hat zu Halle eine besondere Beziehung

Zu Halle hat Ornella Wahner ohnehin einen besonderen, emotionalen Bezugspunkt. Denn es ist die sportliche Heimat ihrer verstorbenen Freundin. Vor zwei Jahren war Cindy Rogge nach einem Asthma-Anfall ins Koma gefallen und später dann gestorben.

Die ohnmächtige Trauer, die Ornella Wahner erst erfasst hat, ist verflogen. „Jetzt unterhalte ich mich oft mit ihr da oben im Himmel“, sagt die gläubige Christin. Und selbst im Ring ist sie immer ganz nah bei ihr. Denn Ornella Wahner hat ihre Sportschuhe selbst verziert. Neben den Namen ihrer Großeltern ist auch der ihrer einstigen Nationalmannschaftskollegin darauf verewigt.

Freundschaften sind Ornella Wahner unglaublich wichtig. Und die Familie ist es sowieso. Obwohl sie mit 16 flügge geworden ist, um in Berlin an der Sportschule ihren sportlichen Traum zu leben, ist sie den Eltern nach wie vor sehr verbunden.

Wie Ornella Wahner zu ihrem ungewöhnlichen Vornamen kam

Der Mutter, einer früheren Leichtathletin, die nach der Scheidung in Ornellas Geburtsstadt Dresden geblieben ist. Und dem Vater in Berlin. Er ist für ihren Vornamen verantwortlich, als Fan der italienischen Schauspiel-Schönheit Ornella Muti.

„Er war und ist mein größter Forderer und Förderer“, sagt die Tochter. Schon immer war das so. Als sie früher im Schulsport beispielsweise den Ballweitwurf partout nicht hinkriegen wollte, da hatte er immer und immer wieder mit ihr geübt, bis sie das Sportgerät am Ende sogar 50 Meter weit wuchten konnte.

Keine Zeit mehr für Hund Lennox

Ornella Wahner hat das Boxen von der Pike auf gelernt, besuchte in Berlin die Sportschule. 2011 feierte sie als Juniorenweltmeisterin ihren ersten großen Erfolg. Mittlerweile trainiert sie bei Michael Timm in Schwerin. Durch ihren WM-Sieg in Indien, für den sie diese, wie sie sagt, „zwar nicht hübsche, dafür umso wertvollere Goldmedaille“ bekam, rückt die Athletin vom SKC Tabea Halle in der Weltrangliste an die Spitze. Das beschert ihr in den Setzlisten künftiger großer Turniere eine gute Ausgangsposition. Schafft es Ornella Wahner auch bei der WM 2019 in die Medaillenränge, hätte sie ihren Olympiastartplatz bereits sicher. Allerdings bleibt abzuwarten, wie sich das IOC im Streit mit dem Boxweltverband entscheiden wird. Denn weil deren gerade gewählten Präsidenten Gafur Rachimow kriminelle Machenschaften vorgeworfen werden, droht den Amateurboxern sogar das Olympische Aus. „Ich versuche das auszublenden, kann das eh nicht beeinflussen“, sagt Ornella Wahner.

Nicht nur im Sport stand und steht der einstige Judoka immer Gewehr bei Fuß. Auch wenn es um Schule ging, war er konsequent. „Als ich klein war, musste ich mir die Fernsehzeiten erarbeiten“, erzählt Ornella Wahner. Für eine halbe Stunde TV-Gucken sollte sie vorher eine Stunde lernen. Auch heute ist „Papa“, wie sie ihn liebevoll nennt, ihr erster Ansprechpartner.

Hund Lennox („Tyson heißen alle, meiner ist nach Lennox Lewis benannt.“) hat sie ihm nun schweren Herzens in Dauerpflege gegeben. Dreimal Training täglich am Nationalmannschaftsstützpunkt in Schwerin lässt ihr einfach zu wenig Zeit für ihre Bulldogge.

„2019 werden wir 200 Tage unterwegs sein“, weiß sie um die Vielzahl der anstehenden Trainingslager und Wettkampfreisen in der vorolympischen Saison. Die wenige Zeit, die ihr außerhalb des Sports bleibt, braucht sie in erster Linie für ihr Sportmanagement-Fernstudium. Nur den Körper zu trainieren, reicht der Abiturientin nicht aus, auch der Kopf muss beschäftigt werden. Mit eiserner Disziplin und dem Vermögen, sich auf das Wesentliche konzentrieren zu können, kriegt sie das alles unter einen Hut.

Bei der Frage nach einem Freund wird Ornella Wahner kurz verlegen

Auch einen Freund? „Das ist doch sehr privat“, antwortet sie - und lächelt die Verlegenheit weg. Dass Männer vor ihr Angst haben, hat die Championesse aber nicht festgestellt. Sie selbst scheint auch vor nichts Angst zu haben.

Was ihre Vorliebe für Thriller und Horror-Filme erklärt. Was die Zukunft betrifft, da ist ihre Zuversicht ohnehin unerschütterlich. Dafür ist sie sogar bereit, noch den einen oder anderen Schmiss hinzunehmen. Das sei eben ihr „Berufsrisiko.“ (mz)