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"Nicht alle hier waren Nazis" "Nicht alle hier waren Nazis": So überlebte ein Hallenser den Holocaust

Von Tanja Goldbecher 26.04.2019, 14:45
Max Schwab hat die Judenverfolgung während des Dritten Reiches überlebt. Erschüttert ist er von den Erlebnissen bis heute.
Max Schwab hat die Judenverfolgung während des Dritten Reiches überlebt. Erschüttert ist er von den Erlebnissen bis heute. Silvio Kison

Halle (Saale) - Der Tag hat sich in sein Gedächtnis eingebrannt. Am 20. April 1938 besucht Max Schwab gemeinsam mit seinem Zwillingsbruder Günther zum ersten Mal die Schule. Die Lehrerin stellt sich vor die Erstklässler und fragt: „Wer ist Adolf Hitler?“ Allein die jüdischen Zwillinge wissen sofort die Antwort: Es ist der Führer des Deutschen Reiches und der 20. April sein Geburtstag. Doch auch für niemand anderen in der Klasse wird die Machtergreifung des Faschisten dramatischere Auswirkungen haben als für sie.

Max Schwab, ehemaliger Professor für Geologie an der Martin-Luther-Universität, ist heute 87 Jahre alt. Wie er es geschafft hat, den Holocaust zu überleben, berichtet er im Verein Zeitgeschichte an der Großen Ulrichstraße einer kleinen Gruppe Jugendlicher. Die Schüler der SBH Südost und der KGS Ulrich von Hutten haben sich in dem Projekt „Tagebuch der Gefühle“ mit dem Leidensweg von Hallensern während des NS-Regimes beschäftigt.

Schicksal der jüdischen Familie Schwab in Halle

Das Schicksal der jüdischen Familie Schwab, damals die größte Viehhändlerfamilie in Mitteldeutschland, ist ihnen dabei besonders nahe gegangen. „Dass wir den Holocaust überlebt haben, ist vor allem unserer Mutter zu verdanken“, sagt Max Schwab. Sie war eine gebürtige Katholikin, der Vater ein Jude. Für die Nationalsozialisten galten die Zwillingsbrüder damit lediglich als Halbjuden.

Ihnen wurde zunächst ein Hausarrest auferlegt, die Schule durften sie ab 1938 nicht mehr besuchen. Mitten im Krieg wurde die Unterdrückung des NS-Regimes jedoch noch härter, nun sollten auch die Zwillinge in ein Konzentrationslager deportiert werden. Doch die Mutter ließ das nicht zu. Sie willigte ein, sich von ihrem Mann zwangsscheiden zu lassen, um ihre Kinder vor dem Tod zu retten.

Jude im Holcaust: Der Vater hatte jedoch keine Chance

Der Vater hatte jedoch keine Chance. Er wurde in der Reichskristallnacht abgeholt und vorübergehend für vier Wochen in das Konzentrationslager Buchenwald gebracht. Danach musste er nach Holland flüchten und wurde schließlich – ohne seine Familie jemals wiedergesehen zu haben – nach Ausschwitz deportiert und damit zum Tode verurteilt.

Die Schüler hören geduldig zu, während der alte Mann von dieser schrecklichen Zeit berichtet. Sie haben für das Projekt eine Exkursion in das Konzentrationslager nahe Krakau gemacht und ihre Gedanken in dem gemeinsamen Tagebuch dokumentiert. „Ich stehe vor Tonnen von Haaren, die zum Verkauf gesammelt wurden. Mir wird immer schlechter. Warum ist so etwas passiert?“, schreibt einer der Schüler.

Tagebuch-Projekt der Neunt- und Achtklässler

In anderen Passagen berichten die Jugendlichen, wie an Kindern Experimente durchgeführt wurden, wie mit dem Leben der Häftlinge gespielt wurde und wie eine kleine Handbewegung über Leben und Tod entschieden hat. „Niemals vergessen!“, steht als letzter Satz auf einer Seite.

Genau darauf zielt das Tagebuch-Projekt der Neunt- und Achtklässler ab. Sobald ihre Aufzeichnungen in einem Heft abgedruckt sind, wollen sie damit andere Schulen in Halle besuchen und aus ihrem Werk vorlesen. Das, was sie erlebt und recherchiert haben, soll auch andere junge Menschen an die deutsche Vergangenheit erinnern – und ermahnen. Die Schüler wollen aber auch von Max Schwab wissen, was ihre Generation tun kann, damit dieser Völkermord sich nicht wiederholt.

Doch dem Zeitzeugen fällt es schwer, eine Antwort auf diese Frage zu geben. Allerdings ist es ihm wichtig zu sagen, dass nicht alle Hallenser Nazis waren. „Ohne die Hilfe von Kommunisten, Händlern und Eisenbahnern hätten wir diese schwere Zeit nicht überstehen können“, sagt er. (mz)