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Nervengift an Orgacid-Werken?  Nervengift-Gefahr an Orgacid-Werken in Ammendorf?: Was der Eigentümer zu den Altlasten sagt

Von Silvia Zöller 27.09.2018, 09:00
Andreas Hopfe gehört ein Teilstück des früheren Orgacid-Werks in Ammendorf. Der Bauunternehmer vermietet hier Flächen.
Andreas Hopfe gehört ein Teilstück des früheren Orgacid-Werks in Ammendorf. Der Bauunternehmer vermietet hier Flächen. Lutz Winkler

Halle (Saale) - Das Tor zu dem rund 20.000 Quadratmeter großen Areal steht weit offen: Hier waren früher die Orgacid-Werke, in denen im Zweiten Weltkrieg Kampfstoffe wie das Nervengift Lost, besser bekannt als Senfgas, hergestellt wurden.

Die aktuelle Diskussion um die mögliche Belastung des Bodens oder des Grundwassers mit Altlasten beschäftigt auch Andreas Hopfe, dem ein 20.000 Quadratmeter großes Teilstück des etwa fünfmal so großen Gesamtgeländes gehört. Dem 39-jährigen Inhaber des Metallbaubetriebs „Spezialbau Ost“ macht eine mögliche Schadstoffbelastung jedoch keine Sorgen: „Ich bin mir sicher, dass es hier nichts zu sanieren gibt.“

Giftgefahr in Ammendorf?: Was der Eigentümer des Geländes zu den Altlasten sagt

Seit 1999 war er Mieter auf dem Gelände und lud dort alle zwei Wochen im ehemaligen Hauptverwaltungsgebäude zur Techno-Disco ein; 2003 kaufte er das Teilstück des Geländes.

Rund 40 Mieter hat der Geschäftsmann auf dem Gelände untergebracht, Firmen nutzen es als Lager und alleine 30 Bands das Verwaltungsgebäude als Probenräume. Würde irgendeine Gefahr von dem Gelände ausgehen, so beteuert Hopfe, hätte er das Areal auch nicht vermietet.

Angst vor Altlasten: Grundwasserproben sollen Klarheit schaffen

Ammendorfer Bewohner hatten sich an den halleschen CDU-Landtagsabgeordneten Thomas Keindorf gewendet, weil sie Spätfolgen durch Materialermüdung und eine Verunreinigung des Grundwasser befürchten - eine Anfrage Keindorfs bei der Landesregierung war für ihn nicht umfassend genug: „Viele Fragen bleiben offen“, so Keindorf. Nun hat die Stadt Grundwasserproben ziehen lassen, die Analyse soll in etwa zwei Wochen vorliegen.

Andreas Hopfe: Auf seinem Teilgrundstück seien keine Schadstoffe nachgewiesen worden

Andreas Hopfe ist sich jedoch ziemlich sicher, dass dabei keine Schadstoffbelastung festgestellt wird, weil er das Gelände kennt. Bei einem Rundgang zeigt er auf das mit Stacheldraht abgezäunte Nachbargrundstück, auf dem mehrere Produktions-Bunker mit tausenden Quadratmetern Fläche untergebracht waren. Eigentümer ist der Bergbausanierer LMBV, die Lausitzer und Mitteldeutsche Bergbau-Verwaltungsgesellschaft.

„Diese Bunker wurden 1993 mit Erde abgedeckt, deswegen gibt es dort einen künstlichen Hügel“, so Hopfe. Nach der Sanierung sei nun alles sicher - auf seinem Teilgrundstück seien keine Schadstoffe nachgewiesen worden. Grundwasserproben würden regelmäßig entnommen - ohne dass eine Belastung festgestellt werde.

Havarie der Plaste-Werke zu DDR-Zeiten: Grundwasser wird heute durch Reinigungsanlage geschleust

Der Grund für frühere Schadstoffmessungen liegt aber nicht nur in der ehemaligen Kampfmittelfabrik, weiß Hopfe, sondern auf der anderen Straßenseite: Nach einer Havarie der gegenüberliegenden Plaste-Werke zu DDR-Zeiten sei ein Lösungsmittel in den Boden gelangt.

Mit einer Altlastensanierung hat dies jedoch die Mitteldeutsche Sanierungs- und Entsorgungsgesellschaft Bitterfeld-Wolfen vor gut zehn Jahren in den Griff bekommen. Seitdem wird das Grundwasser in dem Areal gesammelt und durch eine Reinigungsanlage geschleust, bevor es wieder in den Wasserkreislauf gelangt. Ein großes Schild an der Camillo-Irmscher-Straße weist auf das Projekt hin.

Von den altern Bunkern ist nichts mehr übrig

Zwischen Lagerhallen, Gestrüpp, hohen Bäumen und einer alten Zufahrtsstraße kann man aber auch auf dem Gelände, das Andreas Hopfe gehört, noch die Bodenplatten früherer Gebäude erkennen. „Das war schon alles abgerissen, als ich hierherkam“, erinnert er sich.

Von den Bunkern, die auch auf seinem Areal standen, ist jedoch nichts mehr übrig - sie wurden schon von den Russen unmittelbar nach dem Krieg beseitigt inklusive der Kampfmittel. Unterirdische Gleise sollen die Anlage verbunden haben.

Giftstoffe im Boden?: Noch 1991 war von Sanierungsbedarf in jährlicher Millionenhöhe die Rede

Ein Blick in die Archivunterlagen zeigt jedoch Thomas Keindorf, dass es noch Aufklärungsbedarf in Sachen Orgacid-Werke gibt. „Aus Unterlagen, die wir im Magdeburger Landesarchiv eingesehen haben, geht hervor, dass noch 1991 von einem Sanierungsbedarf in jährlicher Millionenhöhe ausgegangen worden ist.“

Es müsse geklärt werden, ob die Situation heute nur schön geredet wird oder ob wirklich keine Belastungen mehr gibt. Dafür müssten aber auch Untersuchungen angestellt werden, die sich auch auf Zersetzungsprodukte der Kampfmittel wie Quecksilber oder Arsen beziehen, betont Keindorf. „Wir müssen nun die Ergebnisse der Untersuchungen abwarten.“

Auch 45 Jahre nach Stillstand der Orgacid-Werke wuchs hier nichts

In den Unterlagen des Landesarchivs findet sich auch ein Appell des damaligen Regierungspräsident Wolfgang Kleine, der 1991 die Landesregierung bittet, Mittel und Personal für die Altlastensanierung auf dem Orgacid-Werk zur Verfügung zu stellen: Voruntersuchungen hätten unter anderem ergeben, dass unterirdische, ehemals kampfstoffführende Rohrleitungen das 100.000 Quadratmeter Areal durchqueren.

Mehrere Teilflächen zeigten auch nach 45 Jahren Stillstand am Orgacid-Werk keinen Bewuchs - obwohl bis dahin bereits mehrere Sanierungsmaßnahmen durchgeführt worden waren. Letzteres zumindest ist heute nicht mehr der Fall. Selbst auf dem künstlichen Hügel, der die früheren Produktionsstätten unter sich begräbt, wachsen nun wieder Bäume und Sträucher. (mz)

Baumaterialien und Maschinen sind auf dem Gelände untergebracht.
Baumaterialien und Maschinen sind auf dem Gelände untergebracht.
Lutz Winkler
Das historische Foto ist vermutlich kurz nach dem Kriegsende entstanden und zeigt das zerstörte Orgacid-Werk.
Das historische Foto ist vermutlich kurz nach dem Kriegsende entstanden und zeigt das zerstörte Orgacid-Werk.
Landesarchiv Sachsen-Anhalt L22, Nr. 50