Diskus-Ass aus Halle Nadine Müller: Diskus-Ass mit finanziell schwieriger Olympia-Vorbereitung

Halle (Saale) - Die Übung von Nadine Müller erinnert irgendwie an ein Spiegelei, das in der Pfanne gewendet wird. Nur dass dieses Spiegelei ein 145 Kilogramm schwerer Traktorreifen ist, die Pfanne der Rasen ihrer Wurfanlage und ihre Küchenschürze eine Gewichtsweste, um das Ganze noch zu erschweren. Eine Minute lang wuchtet Halles Diskus-Ass den Gummikoloss immer wieder hoch und dreht ihn um. Und obwohl ihr Puls längst rast, geht das Prozedere nach einer weiteren Minute Pause von vorn los.
Der Olympia-Countdown hat offenbar begonnen. „Wir sind mittendrin in der Vorbereitung für Tokio“, bestätigt die Vizeeuropameisterin. Nun schon die dritte Woche liegt der Schwerpunkt auf dem Athletik-Training, „bei dem du danach aus der Halle nur noch rauskriechst“, sagt Nadine Müller augenzwinkernd. Um Eintönigkeit vorzubeugen, gibt es neben dem Reifen noch einen Schlitten Marke Eigenbau, der schwer beladen gezogen oder geschoben werden muss.
Olympiakader für Tokio: Nadine Müller einzige Athletin aus Halle
Die Übungseinheiten der halleschen Werfer haben es also gerade in sich. Nur gut, dass ein anderer Druck nicht mehr auf ihnen lastet. Gerade hat der Leichtathletik-Verband seine Kadersportler berufen. Und Nadine Müller hat es als einzige aus Halle in den erlesenen Kreis der Olympiakader geschafft. „Das gibt Planungssicherheit“, erklärt die seit Donnerstag 34-Jährige. Die Finanzierung der nächsten Trainingslager steht damit, ohne dass das Geld dafür beantragt werden muss.
Finanziell hat sie persönlich von dieser Berufung keinen Vorteil. „Trotzdem war das immens wichtig, denn dadurch sind auch die regenerativen Maßnahmen abgesichert.“ Fährt ein Olympiakader ins Trainingslager, ist automatisch auch ein Physiotherapeut dabei. Von dem hat dann praktisch ihre gesamte Trainingsgruppe etwas.
Der Türöffner für die mehrfache EM- und WM-Medaillengewinnerin war ihre Finalplatzierung acht bei den Weltmeisterschaften im Oktober in Doha. „Seit den letzten zehn Jahren bin ich immer entweder im Olympia- oder dem sogenannten A-Kader gewesen“, sagt der Schützling von Trainer Rene Sack. Das spricht für Konstanz.
Diamond-League-Serie fällt als Einnahmequelle aus
Andere hingegen honorieren ihre jahrelange Zugehörigkeit zur Weltspitze nicht mehr. Der Ausrüstervertrag der DLV-Werfer mit einem großen Sportartikelhersteller war nach der EM letztes Jahr in Berlin ausgelaufen und überraschend nicht verlängert worden. Müllers Silbermedaillengewinn hat daran nichts ändern können. Private Sponsoren? Fehlanzeige!
In der Optimalförderung der Olympiakader ist mit Diskuswerferin Nadine Müller aktuell nur eine hallesche Leichtathletin.
Als Perspektivkader eingestuft wurden Rico Freimuth (Zehnkampf - trotz seiner Kreuzband-Verletzung), Maximilian Sluka (Mittelstrecke), Merten Howe (Diskus), Cindy Roleder (Hürdensprint), Sara Gambetta (Kugel), Leonie Tröger (Speer) und Hammerwerferin Susen Küster.
Die Anerkennung als Nachwuchskader erhielten unter anderem Lucie Kienast (Siebenkampf), Sina Prüfer (Kugel), Till Steinforth (Hürdensprint), Nils Oheim (Mittelstrecke) und Magnus Zimmermann (Diskus).
Auch die Möglichkeit, bei der lukrativen Diamond-League-Serie sich die eine oder andere Prämie dazuzuverdienen, wird es nicht mehr geben. Ihre Disziplin ist neben drei weiteren gestrichen worden, um das Programm zu straffen. Und auch wenn sich Widerstand in den eigenen Reihen regt - Dreisprungolympiasieger Christian Taylor hat eine Initiative gegründet, die diese Entscheidung anficht - glaubt Nadine Müller nicht an die Rücknahme der Entscheidung. „Dabei ist das für unsere Disziplin gar nicht gut, wenn wir uns nicht mehr bei so großen Meetings zeigen können“, beklagt Nadine Müller. Wie solle man da den Nachwuchs begeistern?
Finanziell ist die Situation also im Jahr vor Olympia nicht einfacher geworden. Auch wenn der Verein hier und da hilft mit einem Zuschuss, ebenso wie der Landessportbund und der Olympiastützpunkt. Immerhin hat die Deutsche Sporthilfe ihre Zuwendung für Kaderathleten von 300 auf 800 Euro angehoben. Für jene, die bei Bundeswehr oder Bundespolizei angestellt sind, erhöht sich die Summe um 100 auf 400 Euro. Zu denen gehört die Bundespolizistin Nadine Müller.
Nadine Müller: Für Lehrgänge in Übersee fehlt das Geld
Die muss sich ihre Sportkleidung nun selbst kaufen. „Ein paar Wurfschuhe“, rechnet sie vor, „kosten allein 150 Euro, und davon brauche ich zwei, drei pro Jahr.“ Ihre bewährten Schuhe trägt sie dennoch weiter, erklärt die SV-Athletin, es mache einfach keinen Sinn, sich so kurz vor den Spielen noch einmal umzustellen.
Alles ist eingetaktet. In zwei Wochen geht es zum ersten Trainingslager nach Kienbaum, im Januar und Februar werden weitere Stopps in der altbewährten Sportschule folgen. Für den März und April sind Camps im türkischen Belek vorgesehen. Lehrgänge wie in den letzten Jahren in Amerika oder Afrika wird es diesmal nicht geben, wegen der zu weiten Flüge.
„Die Zeit dafür haben wir diesmal gar nicht“, sagt Nadine Müller. „Im Mai muss alles sitzen.“ Denn die Olympischen Spiele beginnen zwei Wochen früher als sonst, gehen schon am 24. Juli los. Klar, dass Nadine Müller dann dabei sein will. Auch wenn die Berufung in den Kaderkreis kein Freibrief ist.
(mz)