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Schaurige Hommage Nach mehr als 60 Jahren Flucht aus der DDR: Hallenser schreibt Roman über seine Heimatstadt

Wolfgang Winning gedenkt Halle auf eine spannende und literarische Art.

Von Phillip Kampert 08.08.2021, 09:15
In Wolfgang Winnings neuem Thriller ?Liebe und Blut? sucht das Grauen Tatorte in Halle heim.
In Wolfgang Winnings neuem Thriller ?Liebe und Blut? sucht das Grauen Tatorte in Halle heim. Foto: Kampert

Halle (Saale)/MZ - Als sich Wolfgang Winning im Juli 1961 ein letztes Mal auf dem Thälmannplatz (heute Riebeckplatz) umschaute, ging ihm durch den Kopf, dass er seine Geburtsstadt Halle nie wiedersehen würde. Der damals 21-jährige Uhrmacher fühlte sich unfrei unter dem SED-Regime, stieg deshalb in einen Zug nach West-Berlin. Ein paar Wochen später stand die Mauer.

Hallenser wurde nebenberuflich freier Autor für Heftromane

Winning baute sich eine neue Existenz in Schwenningen (heute Villingen-Schwenningen) im Schwarzwald auf. Im damaligen Zentrum der westdeutschen Uhrenindustrie fand er passende Arbeit, die ihn aber nicht ganz ausfüllte. „Schon in der Schule habe ich Geschichten geschrieben und in der Klasse vorgelesen“, erinnert sich Winning, das habe für gute Unterhaltung gesorgt. „Schreiben ist eine Berufung“, sagt er. Winning begann, sich nebenberuflich dieser Berufung zu widmen. Da man sich „nicht einfach hinsetzen und schreiben“ könne, absolvierte er das Fernstudium „Die Technik der Erzählkunst“.

Mit diesem handwerklich-literarischen Rüstzeug wurde er bald nebenberuflich freier Autor für Heftromane. Das Thema: Der Wilde Westen. „Mich fasziniert die grenzenlose Freiheit, das Entdeckertum dieser Zeit. Ebenso die die dunklen Seiten, die systematische Ausrottung der Indianer.“ Winning schrieb im Durchschnitt drei Heftromane im Jahr, bis ihn irgendwann der Wunsch ergriff, die längere Form zu meistern. „Bei den Heften schreibt man, was die Leser lesen wollen. Ich wollte aber auch der Historie gerecht werden“, sagt er.

Schaurige Hommage an Halle: jüngster Band des Autors spielt in seiner Geburtsstadt

So entstand 2011 Winnings erstes Buch „Roter Bruder Abel“, in dem er sich mehr Platz und Zeit für Recherche nahm. Aber er wollte in keine Schublade, erforschte in folgenden Büchern auch andere Genres und Schauplätze. Sein jüngster Band „Liebe und Blut - Das Lisa-Syndrom“ nun spielt in seiner Geburtsstadt. Seit der Wende besuchte er Halle jährlich, hat sich für den Thriller ein paar besondere Tatorte in der Saalestadt ausgesucht: den Waldkater, den Fuchsberg und den Galgenberg. Der misogyne Psychopath Hannes tötet dort Mädchen, die seiner großen Schwester ähneln - Hannes’ Ersatzmutter. Er verkraftet den empfundenen Verrat nicht, dass sie als junge Frau ihrem Freund mehr Zuwendung als ihm gab.

Aber Winning stellt Hannes nicht als unmenschliches Ungeheuer dar. Vielmehr liegt ihm daran, in Rückblenden psychologische und biografische Faktoren herauszuarbeiten, die eine Psyche schädigen können. „Niemand wird zum Mörder geboren - es sind die Umstände“, sagt er. Dass solche Umstände in der Heimatstadt des Autors durchgespielt werden, ist als schaurige, spannende Hommage zu verstehen.