Moritzburg Moritzburg: Die Chinesen kommen

HALLE/MZ - Wer sich vor 30 Jahren in unserer Gegend nach einer heilen Welt und dem guten und feinen Leben sehnte, der guckte fast automatisch gen Westen. Wer die gleiche Sehnsucht vor 300 Jahren hegte, der musste den Kopf exakt in die Gegenrichtung drehen. Denn damals ging - jedenfalls nach landläufigem Empfinden der Gebildeten - die Sonne auch kulturell im Osten auf. Und das Sehnsuchtsland der guten Sitten hieß - ob zu Recht, tut nichts zur Sache - China. Welche Blüten dieser China-Kult ausgerechnet auch in Halles kultureller Blütezeit trieb, davon legt eine kleine aber feine Fayence-Ausstellung Zeugnis ab. Sie läuft derzeit in der Moritzburg.
Dass in der damaligen Fern-Ost-Schwärmerei aber auch jede Menge Zündstoff lag und somit der Vergleich mit der nicht ungefährlichen ostdeutschen West-Schwärmerei gerechtfertigt ist, zeigt ein einschneidendes Ereignis im Leben von Halles größtem Philosophen Christian Wolff. Der hatte 1721 an der hiesigen Uni eine „Rede über die praktische Philosophie der Chinesen“ gehalten, in der er die Lehre von Konfuzius und den Umgang der Chinesen damit gelobt hatte. Hochkultur, so Wolffs damals skandalöse Feststellung, sei also auch unabhängig vom Christentum möglich. Daraufhin warfen ihm seine pietistischen Gegner um August Hermann Francke Atheismus vor, was der Anfang von Wolffs vorläufigen Ende in Halle war, das ein Befehl des preußischen Königs, die Stadt zu verlassen, zwei Jahre später besiegelte.
Das Halle Franckes und das Preußen des Soldatenkönigs als Hintergrund machen die Faszination der chinesischen Märchenwelt auf feinsinnige Gemüter im alten Europa wohl verständlich. Anschauungsunterricht für die Schwärmerei kam übrigens auf Umwegen über Holland an die Saale. Übersee-Händler hatten chinesisches Porzellan nach Europa gebracht, wo es zunächst mit hiesigen Techniken (vor der Porzellan-Erfindung des Thüringers Johann Friedrich Böttger in Sachsen) keramisch nachgeahmt und so in größeren Mengen auch in unserer Gegend hergestellt und von hiesigen Malern illustriert wurde. „Die haben Chinesen gemalt und hatten noch nie einen gesehen“, sagt Ulf Dräger, der Kurator der Ausstellung, der in seinen Führungen auch auf kuriose China-Szenen auf den Gefäßen und sonstigen Objekten verweisen kann.
Die neue Schau mit den sogenannter „Chinoiserie“ aus Eigenbeständen des Hauses reiht sich eindrucksvoll ein in die jeweils von Ulf Dräger betreuten Präsentationen, die schon mittelfristig darauf angelegt sind, die Idee einer musealen Kunst-Schatzkammer als Publikumsmagnet fest im Programm der Stiftung Moritzburg zu etablieren.
