Mohren-Debatte in Halle Mohren-Debatte in Halle: Ethnologie-Professor erklärt: "Wir sind alle in der Pflicht"
Halle (Saale) - Olaf Zenker ist Professor für Ethnologie an der Martin-Luther-Universität und forscht dort zu aktuellen politischen und rechtlichen Themen wie Identität, Migration und Rassismus. MZ-Redakteur Jonas Nayda sprach mit ihm über die Mohren-Debatte in Halle.
Woher stammt der Begriff „Mohr“?
Olaf Zenker: Das Wort geht auf das griechische „moros“ für „töricht“, „dumm“ und auch „gottlos“ und das lateinische „maurus“ für „schwarz“ und „afrikanisch“ zurück.
Wie hat sich die Verwendung des Begriffes entwickelt?
Forschungen zeigen, dass der Begriff zunächst relativ undifferenziert für Menschen in Afrika, insbesondere in Nordafrika/Mauretanien und dann im mittelalterlichen Spanien für Muslime der iberischen Halbinsel - die „Mauren“ - verwendet wurde. Der Begriff funktionierte dabei als abwertende Fremdbezeichnung, die sich mit den Selbstbezeichnungen der von diesem Wort Benannten nicht deckte.
Ist er heute noch rassistisch?
Es gibt dazu eine Vielfalt an Positionen: Manche machen den Vorwurf einer unterschwelligen rassistischen Diskriminierung in der Tradition des europäischen Kolonialismus geltend. Andere verstehen die Begriffsverwendung als Verweis auf den positiv besetzten dunkelhäutigen Heiligen Mauritius.
Wieder andere wollen den „Mohr“ in einer historisierenden Betrachtung verstanden wissen, die einen nicht-diskriminierenden Entstehungskontext der Namensgebung in Halle betont. Schließlich argumentieren manche, der Begriff habe für sie keinerlei rassistisch abwertende Bedeutungen und sei vielmehr mit positiven persönlichen Erinnerungen und Traditionen verbunden.
Was sagen Sie zum Rassismus-Vorwurf in der Sprache?
Es ist wichtig, die eben angedeutete Bedeutungsvielfalt des Begriffs „Mohr“ wissenschaftlich und politisch ernst zu nehmen. Die vielfältigen Bedeutungen bestehen aber nicht gleichwertig nebeneinander. Begriffe sind in größere Vorstellungswelten eingebunden, die unterschiedlich wirken und als Rechtfertigungen für ganz konkrete, schreckliche Handlungen etwa im Kontext von Sklaverei und Kolonialismus fungierten und fungieren.
Vor diesem Hintergrund wirft die aktuelle Debatte ein Schlaglicht auf eine fundamentale Frage: Wie wollen wir als Gesellschaft mit dieser Bedeutungsvielfalt verantwortungsvoll umgehen? Für viele Afro-Deutsche, die mit dem Begriff des „Mohren“ bezeichnet wurden oder mit ihm gemeint sind, ist er eine negativ konnotierte, stereotypisierende Fremdbezeichnung, die sie als „einfältig“, als „nicht vollwertiger Mensch“ und ähnliches darstellt.
Sollte sich der Gasthof also besser umbenennen?
Wir sollten die Debatte zum Anlass nehmen, miteinander ins Gespräch zu kommen, welchen gemeinsamen Sinn - und damit auch welchen „Gemeinsinn“ - wir im Reden miteinander und übereinander schaffen wollen. Die Frage ist dann weniger, ob sich eine Mehrheit der Hallenser für den Erhalt des Begriffs aussprechen würde, sondern wie wir damit umgehen wollen, dass sich mit dem „Mohr“ bezeichnete Menschen schmerzhaft an tagtägliche Rassismus-Erfahrungen erinnert fühlen.
Sollte man in der Debatte von „Opfern“ sprechen?
Diskriminierung erfolgt nicht nur bezogen auf Hautfarbe und Aussehen. Wir alle kennen das Gefühl, wie es ist, diskriminiert zu werden. Natürlich gibt es extreme Unterschiede im Hinblick auf das Ausmaß und die existenziellen Konsequenzen, die mit solchen Diskriminierungen einhergehen. Mal einen dummen Spruch bei der Arbeit abzubekommen, hat eine fundamental andere Qualität, als beschimpft, systematisch benachteiligt oder gar tätlich angegriffen zu werden.
Trotzdem können uns die eigenen Erfahrungen dabei helfen, uns in die Situation anderer Menschen einzufühlen und Verständnis und Mitgefühl für sie zu entwickeln. Insbesondere bei schwerwiegenden Formen der Diskriminierung gibt es eine konkrete Täter-Opfer-Dimension, die schonungslos adressiert und strafrechtlich verfolgt werden muss. Aber daraus folgt nicht, dass Opfer immer hilflos und ohne eigene Initiative wären.
Zudem werden durch unser aller Handeln auch Diskriminierungen strukturell aufrechterhalten, ohne dass irgendjemand offensichtlich ein Täter wäre. Wir sind hier alle betroffen und damit in der Pflicht.
Welche Lösungsmöglichkeiten gibt es?
Ich halte die derzeitige Diskussion um den Begriff des „Mohren“ für sehr wichtig, um eine gesellschaftliche Auseinandersetzung mit den vielfältigen Formen der Diskriminierung anzustoßen. Dabei sind wir gut beraten, wenn wir uns nicht von kategorischen Sprechverboten, sondern von einem kontinuierlichen Sprechgebot leiten lassen.
Anstatt darüber zu streiten, was die „richtige“ Bedeutung des „Mohrs“ in Halle ist, sollten wir uns darüber austauschen, wie wir die Verwendung des Begriffs persönlich erlebt haben. Es spricht überhaupt nichts gegen positiv besetzte biografische Erinnerungen oder hallesche Traditionen. Aber wie wollen wir uns verhalten, wenn dies auf Kosten von Mitmenschen geht? Können wir zu gemeinsamen Traditionen finden, die weniger als Entwertung erlebt werden?
Können wir uns alle als Betroffene erfahren, die oftmals unwissentlich an Diskriminierung mitwirken, die so vielleicht nicht sein müsste? Schmeckt der „Schokokuss“ weniger gut und schafft weniger positive Kindheitserinnerungen seit seiner Umbenennung? Vielleicht würde der gesellschaftliche Austausch aus Empathie und Interesse am Mitmenschen zum dringend notwendigen Abbau von Diskriminierungen beitragen, so dass die von manchen als bloße Symbolpolitik abgelehnte Frage nach dem „Mohr“ tatsächlich einmal nachrangig würde. (mz)