1. MZ.de
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Halle
  6. >
  7. Mit der Ural um die Welt: Mit der Ural um die Welt gerollt: Die fünf Motorrad-Piloten aus Halle haben es geschafft

Mit der Ural um die Welt Mit der Ural um die Welt gerollt: Die fünf Motorrad-Piloten aus Halle haben es geschafft

Von Julius Lukas 28.03.2017, 10:00
Mitten in Manhattan: Kaupo Holmberg, Efy Zeniou, Teilzeit-Mitfahrer Guillermo, Elisabeth Oertel, Johannes Fötsch und Anne Knödler (v. l.).
Mitten in Manhattan: Kaupo Holmberg, Efy Zeniou, Teilzeit-Mitfahrer Guillermo, Elisabeth Oertel, Johannes Fötsch und Anne Knödler (v. l.). Leavinghomefunktion

Halle - Am Beginn ihrer Reise sagten die fünf Motorradfahrer einen Satz, der im Gedächtnis bleibt: „Wir wollen unsere Idee nicht schon am Zweifel scheitern lassen.“ Im September 2014 war das. Und an der Idee, die das Künstler-Kollektiv aus Halle hatte, wären die meisten sicher verzweifelt. Sie wollten nach New York. Auf dem Landweg. Und das nicht im Geländewagen und auch nicht mit großer Ausrüstung. Nicht einmal mit viel Geld.

Sie wollten es mit Ural-Motorrädern schaffen, einem russischen Fabrikat mit Seitenwagen. Ein Abenteuer auf drei Rädern.

Zweieinhalb Jahre sind seitdem vergangen. Und Zweifel und Hindernisse gab es für die Motorrad-Piloten Anne Knödler, Efy Zeniou, Elisabeth Oertel, Johannes Fötsch und Kaupo Holmberg viele. Sie standen in Kasachstan vor Gericht, überwanden die berüchtigte „Road of Bones“ (Knochenstraße) und irrten stundenlang durch die mongolische Steppe.

Um auf dem sibirischen Fluss Kolyma fahren zu können, bauten sie ihre Maschinen in Boote um. Sie übernachteten am Strand, im Schnee und umgeben von Millionen Tigermücken. In Kanada wurden sie von Bären verfolgt und in Russland vom Geheimdienst beobachtet. Stürme und Fluten haben sie aufgehalten, aber nie gestoppt. Mitte Januar, nach über 40.000 Kilometern und mehr als 20 durchquerten Ländern, erreichten sie ihr Ziel.

Das Reparieren der Motorräder gehörte von Beginn an zum Alltag

„Nach New York rein zu fahren war schon phänomenal“, erinnert sich Elisabeth Oertel. „Das Gefühl, es wirklich geschafft zu haben, noch dazu gemeinsam, hat uns überwältigt“, sagt Anne Knödler. Die beiden sitzen an einem Holztisch im Wintergarten ihrer Wohnung in Halle. Erste Etage, Altbau. Auf dem Tisch stehen frisches Brot, Leberwurst und aufgebrühter Kaffee. Sie frühstücken gerade. Auch Johannes Fötsch ist dabei. Efy Zeniou und Kaupo Holmberg sind in ihren Heimatländern Zypern und Estland. „Aber die kommen bald wieder“, verspricht Knödler.

Vor ein paar Tagen erst haben die fünf ihre Motorräder aus Hamburg abgeholt, wo sie mit dem Schiff angekommen waren. Mit den Dreirädern von dort nach Halle zu fahren, war so etwas wie der letzte Akt ihrer Reise. Zeit, bei einer Leberwurststulle auf ihre Runde um die Welt zurückzublicken.

„Eigentlich waren die ständigen Pannen unser Glück“

„Als wir losgefahren sind, war das eine komplett utopische Sache, dass wir mit den Dingern bis nach New York kommen“, sagt Johannes Fötsch. „Ich meine, wir haben zehn Tage gebraucht, um aus Deutschland rauszukommen, weil die Motorräder ständig kaputt gingen. Da war Russland unendlich weit weg.“ Das Reparieren gehörte von Beginn an zu ihrem Alltag.

Dabei hatten sie sich auch für das russische Fabrikat entschieden, weil es als sehr robust gilt. Ein Trugschluss. „Wir haben mehr geschoben, als das wir gefahren sind“, meint Elisabeth Oertel. Ein Tag fahren, ein Tag reparieren. Das sei der Rhythmus gewesen. Ein guter Rhythmus, wie sich herausstellte.

„Eigentlich waren die ständigen Pannen unser Glück“, sagt Johannes Fötsch. „Hätten wir nicht immerzu anhalten müssen, dann wären wir auch nicht so vielen Menschen begegnet.“ Ein Dach über dem Kopf, ein warmes Abendessen, ein weiches Bett. Das gab es zu Reparatur-Ratschlägen und Ersatzteilen oft dazu. So lernten sie nicht nur ihre Motorräder kennen, sondern auch die Bevölkerung der Länder, die sie durchquerten.

„Für uns war es wichtig, den Menschen nie voreingenommen zu begegnen oder unsere politische Überzeugung vor uns herzutragen“, sagt Anne Knödler. „Besonders in Russland haben die Leute schon den Eindruck, dass man sie in Europa sehr abschätzig betrachtet. Hätten wir dort so getan, als wüssten wir alles besser, hätte das viele Türen verschlossen.“

Die fünf Motorrad-Piloten wählten für sich einen subtileren Weg. „Wenn du mit so einem Projekt, zu anderen Menschen kommst“, sagt Elisabeth Oertel. „Und dann für zwei, drei Tage bei ihnen lebst, dann stellen die von alleine andere Fragen und sehen etwas, was in ihrem Weltbild bisher nicht vorkam.“ Und dann würden auch Veränderungen einsetzen. „Eine große Lehre dieser Reise ist ohnehin“, sagt Oertel, „dass überall auf der Welt 99 Prozent der Menschen, wenn man ihnen offen begegnet, freundlich sind.“

Zwei Bücher in drei Sprachen sind schon in Planung

Das erste Leberwurst-Brot ist vertilgt, da klingelt es an der Tür. Ein Postbote bringt eine neue Computerfestplatte. „Wir haben gerade ein kleines Speicherproblem“, sagt Anne Knödler. Zehn Terabyte Fotos, Tonaufnahmen und Videos hätten sich während ihrer Reise angesammelt. Das entspricht ungefähr 800.000 digitalen Ausgaben der Mitteldeutschen Zeitung. „Wir sortieren und sichten das gerade“, sagt Elisabeth Oertel. „Denn jetzt wollen wir mit dem Material auch arbeiten.“

Zwei Bücher in drei Sprachen sind schon in Planung. Das erste soll im kommenden Jahr erscheinen. „Wir sitzen gerade den ganzen Tag zusammen und überlegen, wie wir unsere fünf Standpunkte zusammen bringen“, sagt Anne Knödler.

Doch bei den Büchern soll es nicht bleiben. „Wir haben die Reise ja auch gemacht, um jetzt anderen von unseren Begegnungen und Erlebnissen zu erzählen“, sagt Johannes Fötsch. Mehrmals im Monat wollen sie öffentliche Vorträge halten. Auch Präsentationen in Schulen, ein Theaterstück oder eine Ausstellung können sie sich vorstellen.

Auf jeden Fall aber wollen sie einen Film produzieren. Vielleicht sogar mehrere. „Es gibt so viele verschiedene Zielgruppen, die sich für unsere Reise interessieren“, sagt Elisabeth Oertel und zählt auf: „Motorradverrückte, Intellektuelle, Jugendliche, Reiselustige, Russland-Fans, Abenteurer und noch viele mehr.“ Eins ist also sicher: Ihr Abenteuer wird die fünf Motorrad-Piloten noch eine ganze Weile beschäftigen.

Um die fünf Künstler bei der Verarbeitung ihres Reiseprojektes zu unterstützen, läuft weiterhin eine Crowdfunding-Aktion bei Patreon: patreon.com/leavinghomefunktion
Alle anstehenden Termine sind auf der Facebook-Seite zu finden: facebook.com/leavinghomefunktion   (mz)

Die fünf Weltumrunder  haben es bis an den äußersten Rand von Russland geschafft.
Die fünf Weltumrunder  haben es bis an den äußersten Rand von Russland geschafft.
Holger John
Begleitet hat sie  dabei auch das „Mr. America“ getaufte Maskottchen.
Begleitet hat sie  dabei auch das „Mr. America“ getaufte Maskottchen.
Holger John
„Mehr Fahren, weniger Reden“, so steht es auf dem Heck einer Ural.
„Mehr Fahren, weniger Reden“, so steht es auf dem Heck einer Ural.
Holger John