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Uniklinik Halle Medizin-Campus Steintor Halle: Umzug ins Ungewisse: Forschung, Lehre und Patientenversorgung sollen unter ein Dach

Von Bärbel Böttcher 01.10.2019, 10:00
So könnte das Theoretikum aussehen.   Moderne Architektur   bietet Platz für Forschung und Lehre  und schafft Verbindungen zwischen den verschiedenen Bereichen. 
So könnte das Theoretikum aussehen.   Moderne Architektur   bietet Platz für Forschung und Lehre  und schafft Verbindungen zwischen den verschiedenen Bereichen.  wtr – wörner traxler richter planungsgesellschaft mbh

Halle (Saale) - Besucher, die über den Medizin-Campus Steintor der halleschen Universität spazieren, fühlen sich mitten hinein ins 19. Jahrhundert versetzt. Man würde sich nicht wundern, tauchte zwischen den Klinkerbauten plötzlich Julius Bernstein auf. Der Medizin-Professor kam 1873 nach Halle. Er gründete hier das Institut für Physiologie, welches heute seinen Namen trägt. Das Gebäude auf dem Campus, in dem es noch immer seinen Sitz hat, wurde nach Bernsteins Vorstellungen errichtet.

Für kurze Zeit - 1894/95 - ging hier übrigens auch Emil Adolf Behring ein und aus. Der ehemalige Assistent von Robert Koch arbeitete als Hygiene-Professor. Bekannt wurde er durch die Entwicklung eines Serums gegen Diphtherie. Wofür er 1901 mit dem Nobelpreis geehrt wurde.

Der Putz bröckelt

Der Campus an der Magdeburger Straße, der im Wesentlichen Mitte bis Ende des 19. Jahrhunderts entstand, atmet Geschichte. Aber an den meisten Gebäuden, die heute klinisch-theoretische Institute sowie Ausbildungseinrichtungen beherbergen, nagt der Zahn der Zeit. Nicht nur, dass hier und da der Putz bröckelt. Die baulichen Gegebenheiten der denkmalgeschützten Mauern schränken die Möglichkeiten, hier eine moderne Infrastruktur für Forschung und Lehre - etwa Sicherheitslabore oder auch Lehr- und Lernräume - zu schaffen, erheblich ein.

Nach Ansicht von Professor Dr.  Thomas Moesta, Ärztlicher Direktor des Universitätsklinikums, und Professor Dr. Michael Gekle, Dekan der Medizinischen Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, ist es so gut wie unmöglich, in dieser historischen Klinikanlage die Rahmenbedingungen zu schaffen, die die hallesche Universitätsmedizin benötigt, um im nationalen Wettbewerb mithalten zu können, konkurrenzfähig zu sein. Denn Neuberufungen renommierter Wissenschaftler, so befürchten sie, werden vor diesem Hintergrund schwer zu realisieren sein. Der Ausbildungsstandort für Ärzte, Pflegekräfte und künftig auch Hebammen könne an Attraktivität verlieren.

Umzug geplant

Was also tun? Den Ausweg, den Moesta und Gekle sehen, liegt in der Zusammenlegung der beiden Hauptstandorte der Universitätsmedizin. Das heißt: Institute und Lehreinrichtungen des Medizin-Campus Steintor müssen - bis auf die moderne Zahnklinik - umziehen. Und zwar ganz in die Nähe des Universitätsklinikums im halleschen Stadtteil Kröllwitz. Dort ist ein gemeinsamer Campus der Universitätsmedizin Halle geplant. So hat es der Vorstand des Universitätsklinikums, dessen Vorsitzender Moesta ist und dem auch Gekle angehört, beschlossen.

Das passiert nicht heute und nicht morgen. Aber in wenigen Jahren soll dort die Vision eines Theoretikums für die Medizinische Fakultät Wirklichkeit geworden sein. Es ist ein Komplex an der Kreuzung Ernst-Grube-Straße/Weinbergweg, in dem die theoretischen Fächer vereint sind und alles vorhanden ist, was das Wissenschaftlerherz begehrt.

Mit einem solchen Theoretikum würde auch das zweite Hindernis einer effektiveren Verzahnung von Forschung, Lehre und Krankenversorgung aus dem Weg geräumt: die räumliche Entfernung zwischen medizinischer Theorie und Praxis. Moesta hat den wissenschaftlich arbeitenden Arzt vor Augen, der täglich die Not und den Bedarf etwa in der Onkologie sieht und parallel in der Lage ist, sich ohne logistischen Aufwand im grundlagenwissenschaftlichen Labor auf seinem Gebiet einzubringen. Zum Wohle der Patienten. Kurzum: Forschung, Lehre und Patientenversorgung sollen quasi unter einem Dach stattfinden.

Doch nicht nur das. Der Mediziner verweist darauf, dass sich in greifbarer Nähe des geplanten Theoretikums bedeutende wissenschaftliche Einrichtungen der Universität wie das Charles-Tanford-Proteinzentrum, das Institut für Biologie oder die Pharmazie befinden, dass nicht weit davon entfernt naturwissenschaftliche Fakultäten mit ihren Instituten arbeiten. Er könnte sich eine wesentlich engere Zusammenarbeit zwischen Universitätsmedizin und diesen Einrichtungen vorstellen. Auch Gekle wünscht sich, dass Wissenschaft nicht, wie heute leider oft noch üblich, hinter verschlossenen Fakultäts- oder Institutstüren stattfindet, sondern im offenen Austausch.

Kurze Wege zwischen Labor- sowie Lehr- und Lernflächen

Und genau das ist das Ziel des Theoretikums. Erste architektonische Vorstellungen gehen von wabenartig zusammengesetzten Modulen aus, die wechselnden Nutzern ausreichend Fläche für ihre Forschung bieten. Zwischen den einzelnen Bereichen, etwa Labor- sowie Lehr- und Lernflächen, gibt es kurze Wege, die den Austausch fördern. Und als weithin sichtbares Zeichen der Zusammengehörigkeit schafft ein Skywalk, also quasi eine Brücke, die Verbindung zwischen Klinikum, Theoretikum und Gebäuden der naturwissenschaftlichen Fakultäten.

Thomas Moesta nennt das Beispiel Heidelberg. Der Chirurg hat die Entwicklung dort rund um den Medizin-Campus Neuenheimer Feld ein Stück weit miterlebt. Er erzählt, dass sich dort Kliniken und medizinische Forschung ballen. Auch außeruniversitäre Wissenschaft fühle sich angezogen. Schon seit 1964 arbeite dort etwa das Deutsche Krebsforschungszentrum.

Wie Heidelberg profitiert

„Heidelberg als alte Universitätsstadt, als Wissensstadt profitiert davon ganz stark“, sagt Moesta. Sie erhalte internationales Flair und es kämen viele junge Leute, die auch gern dort bleiben. Und ziehe immer weitere Einrichtungen an. „Wissenschaft bringt Innovationen, bringt Firmengründungen, hochwertige Arbeitsplätze, Bruttosozialprodukt“, sagt Moesta. Das alles wünscht er sich für Halle und den Süden Sachsen-Anhalts, in den die Universitätsmedizin ausstrahlt.

Gekle hebt hervor, dass außeruniversitäre Einrichtungen, die im weitesten Sinne zur Medizin passen und die Namen Leibniz, Fraunhofer oder Max Planck tragen, in Halle weitestgehend fehlen. Die gingen, so der Dekan, nur dorthin, wo sie die Chance sehen, mit starken Partnern zusammenzuarbeiten. Der neu entstehende Campus, so sagt er voraus, könne sich zu einem solchen entwickeln. Nur müssten dafür jetzt die Weichen gestellt werden.

Sachsen-Anhalt muss investieren

Noch ist das Theoretikum Theorie. Doch der Klinikumsvorstand bekennt sich zu diesem Weg. Von einem Architekturbüro wurden eine Machbarkeitsstudie und entsprechende Skizzen angefertigt. Das alles mündete in einem Konzept, das dem Aufsichtsrat der Klinik, dem auch die Minister für Finanzen, Wissenschaft und Soziales angehören, vorgestellt wurde.

Auch wenn im Moment noch keine konkreten Zahlen vorliegen, bewusst ist allen Beteiligten, dass das Vorhaben nicht ganz billig wird. Allein die Baukosten könnten im dreistelligen Millionenbereich liegen. „Aber“, so betont Moesta, „wenn Sachsen-Anhalt im Wettbewerb mit anderen Bundesländern, wo praktisch überall in diese Themen investiert wird, nicht völlig den Anschluss verlieren will, dann muss es diese Investition tätigen.“ Und wenn schon über Geld geredet werde, dann sollte auch überlegt werden, wie viel Geld künftig in den Campus an der Magdeburger Straße gesteckt werden müsse.

Projektgruppe soll Fragen ums Theoretikum klären

Wichtig sei jetzt, so Moesta und Gekle, ein Bekenntnis der Politik zu diesem Projekt. Auch wenn viele Details noch zu klären sind. So stehen dort, wo es realisiert werden soll, derzeit drei sanierungsbedürftige Studentenwohnhaustürme. Sie sollen abgerissen werden. Dafür muss Ersatz her. Die privaten Grundstücke in unmittelbarer Nähe werden zwar nicht angerührt. Mit den Eigentümern soll trotzdem gesprochen werden. Und der Steintor-Campus? Dort könnte eventuell eine geisteswissenschaftliche Fakultät einziehen.

Alle Fragen rund um das Theoretikum soll in den nächsten zwei Jahren eine Projektgruppe klären. Sie wird derzeit aufgebaut. Der Umzug aus der Magdeburger Straße könnte dann, so die Vorstellungen für die Zukunft, in acht bis zehn Jahren erfolgen. Es wäre eine Umzug aus dem 19. ins 21. Jahrhundert.