MDR-Doku über Arbeiter- und Bauernfakultät MDR-Doku über Arbeiter- und Bauernfakultät: DDR-Kaderschmiede für die künftige Elite

Halle (Saale) - Das Anliegen, das die DDR in frühen Jahren mit der Gründung von Arbeiter- und Bauernfakultäten (ABF) zwischen Rostock und Dresden verfolgte, war ein durchaus lobenswertes: Jungen Menschen aus bildungsfernen Schichten sollte mit dem Besuch einer ABF die Möglichkeit gegeben werden, das Abitur ablegen und ein Studium im In- oder Ausland aufnehmen zu können.
„Die DDR wollte damit das seit Jahrhunderten bestehende Bildungsprivileg in Deutschland brechen“, sagt der MDR-Journalist Sven Stephan. Gemeinsam mit seiner Kollegin Anja Walczak hat er unter dem Titel „Eine Kaderschmiede für den Osten“ eine 45-minütige Dokumentation über die ABF „Walter Ulbricht“ in Halle produziert.
Studenten aus Afrika und dem Nahen Osten
Die ABF in der Saalestadt war eine ganz besondere Bildungseinrichtung. Nachdem 13 der 15 im Jahr 1949 gegründeten ABF-Schulen 1963 aus Kostengründen aufgelöst wurden, blieben einzig die Standorte in Halle und im sächsischen Freiberg erhalten. In der Bergbaustadt haben vor allem junge Menschen aus jenen Entwicklungsländern Afrikas und dem Nahen Osten studiert, die mit der DDR freundschaftlich, also auch ideologisch, verbunden waren. In Halle hingegen gingen fortan junge Leute aus der gesamten DDR zur Schule, die im sozialistischen Ausland studieren wollten.
Der Unterricht wurde in der heutigen Sekundar-Schule in der Ernst-Schneller-Straße und in einem in den 1950er Jahren eigens für die ABF errichteten Gebäudekomplex in den Franckeschen Stiftungen erteilt, in dem sich heute das Institut für Pädagogik der Universität Halle befindet. „Es gab am Ende der DDR nur noch zwei Einrichtungen, die den Namen des einstigen Vorsitzenden des SED-Zentralkomitees und des DDR-Staatsrates Walter Ulbricht trugen: Die chemischen Werke in Leuna und eben die ABF in Halle“, so Stephan und Walczak.
ABFler sollten das System stützen
„Die ABF verstanden sich als Eliteschulen der DDR. Das war legitim. Jeder Staat hat Eliteschulen“, so die MDR-Journalistin. Im Gegensatz zum Westen sollten die ABF aber nicht nur die intellektuelle DDR-Elite heranziehen, sondern auch Kader, die das gesellschaftliche System tragen sollten. Doch bevorzugt Kindern von Arbeitern und Bauern eine höhere Bildung zu ermöglichen, wurde im Lauf der Zeit immer schwieriger. „Die Intelligenz, die die ABF hervorbrachte, hat deshalb später auch die eigenen Kinder die ABF besuchen lassen“, sagen Stephan und Walczak. Um den Grundsätzen des ABF-Gedankens dennoch halbwegs treu zu bleiben, war man bei der Definition dessen, was Arbeiter und Bauern seien, in späteren Jahren großzügig: „Die Kinder von NVA-Offizieren und SED-Funktionären, die ja auch studiert hatten, galten dennoch als Vertreter der Arbeiterklasse“, so die MDR-Filmemacher.
Von Halle ins sozialistische Ausland
Der Unterricht an den ABF war intensiv, da in zunächst drei, später nur noch in einem Jahr oder zwei Jahren die Hochschulreife erworben werden musste. Die künftigen Auslandsstudenten hatten die Abiturprüfungen überdies in der Sprache ihres späteren Gastlandes abzulegen. War die ABF absolviert, ging es in die weite Welt, sofern es die sozialistische war. Halles ABFler wählten vor allem Fächer, die in der DDR entweder gar nicht studiert werden konnten oder in den Bruderländern qualitativ hochwertiger waren: Weinbau wurde etwa in Sofia studiert, Informatik in Budapest, Zahnmedizin in Bratislava, Luftfahrttechnik, Atomphysik und Gesellschaftswissenschaften wiederum in der Sowjetunion.
In die Sowjetunion verschlug es auch Bodo Meerheim. An die ABF in Halle war er im Jahr 1977 mit dem Wunsch gekommen, Medizin zu studieren. Doch die Aussicht, neben der Sprache seines Gastlandes auch noch Griechisch und Latein lernen zu müssen, ließ ihn zur Philosophie umschwenken. „Ich hatte schon die Zusage für das Philosophie-Studium, dann wurde mir mitgeteilt, dass doch keine Plätze mehr frei wären, also wurde ich zum Studium des Wissenschaftlichen Kommunismus gelenkt.“
„Es war die schönste Zeit meines Lebens“
Der wurde für DDR-Studenten in Kasan gelehrt. „Als DDR-Kind wollte man natürlich in Moskau, Leningrad oder Kiew studieren, aber doch nicht in Kasan“, sagt Meerheim, der heute Linke-Fraktionsvorsitzender im Stadtrat Halle ist. Über seine zwei Jahre an der ABF und sein fünfjähriges Auslandsstudium sagt der Lokalpolitiker rückblickend, was viele andere ABF-Absolventen so oder so ähnlich auch über sich und ihren Werdegang sagen: „Es war die schönste Zeit meines Lebens.“ Ähnlich äußert sich in der MDR-Dokumentation unter anderem auch Peter Sodann. Der Schauspieler und langjährige Intendant des Neuen Theaters Halle besuchte zwischen 1954 und 1957 die ABF in Dresden.
All die Bemühungen um die ABF dienten einem großen Ziel: „Man wollte eine eigene sozialistische Intelligenz heranbilden“, sagt die Erziehungswissenschaftlerin Ingrid Miethe. „Es ging aber nicht nur um fachliche und sprachliche Qualifikation, sondern auch um die politisch-ideologische Erziehung der Auslandskandidaten“, ergänzt Karl-Adolf Zech, der 1964/65 Schüler an Halles ABF war und deren Geschichte erforschte.
„Gefragt sind treue Staatsdiener, klug und kompetent genug, um den sozialistischen Staat und seine Gesellschaft zu tragen. Eine ergebene Elite, die den Sozialismus aufbauen, aber nicht hinterfragen soll“, heißt es in der Dokumentation. Kurz: „Die ABF-Absolventen sollten eine willfährige Intelligenzija sein“, ergänzt die Historikerin Silke Satjukow.
Staatssicherheit redete mit
Die Indoktrination war auch an der ABF in Halle erheblich. Das galt nicht nur für die Studierenden, sondern auch für den Lehrkörper: Der Gründungsdirektor Horst Wokittel, der sich in den 1950er Jahren mit einer Gruppe von Dozenten um die ABF-Parteileitung anlegte, zog in dieser Auseinandersetzung den Kürzeren und entschied sich im Jahr 1958 zur Flucht in die Bundesrepublik.
Das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) sprach bis zuletzt bei allen Personalentscheidungen an der ABF Halle mit und versicherte sich bis zum Ende der DDR auch der inoffiziellen Mitarbeit von Teilen der Dozenten- und Studentenschaft. „Jeder vierte Dozent war am Ende der DDR Inoffizieller Mitarbeiter der Stasi“, erklärt Karl-Alfred Zech im Film. „Wir wussten aber, wer bei uns der Inoffizieller Mitarbeiter oder die Inoffizielle Mitarbeiterin war - denn irgendwann bekam man das mit“, sagt Bodo Meerheim.
Doku läuft im MDR am 26.02.19, um 21 Uhr
„Wir haben einen kritischen, aber unvoreingenommenen Blick auf die Geschichte der ABF Halle“, sagen Anja Walczak und Sven Stephan. Davon können sich die Zuschauer am Montag in Halle und am Dienstag im MDR Fernsehen selbst überzeugen.
„Kaderschmiede für den Osten - Die ABF in Halle“: Voraufführung am Montag um 17 Uhr in der Sekundarschule „Johann Christian Reil“ Halle, Ernst-Schneller-Straße 1. Erstausstrahlung am Dienstag um 21 Uhr im MDR Fernsehen



