Marode Häuser in Halle Marode Häuser in Halle: Der neue Bauboom

HALLE (Saale) - Halle erlebt einen Bauboom wie seit vielen Jahren nicht mehr: Überall drehen sich Kräne, vor allem in der Innenstadt werden plötzlich Baulücken wieder geschlossen. Und Baugerüste stehen an Hausruinen, die nur noch für die Abrissbirne gut schienen. Sechs Jahre nach der Wirtschafts- und Finanzkrise, die auch in Halle Bautätigkeit und Preise in den Keller rauschen ließ, blüht die Stadt wieder auf. Immobilien sind wieder ein Geschäft. „Der hallesche Immobilienmarkt ist mittlerweile ein gesunder, großstädtischer Immobilienmarkt. Das Investitionsklima wird aktuell als positiv eingeschätzt“, sagt Halles Oberbürgermeister Bernd Wiegand (parteilos).
Private Sanierung nach zwei Jahrzehnten Leerstand
Beispiel Stadteingang Paracelsusstraße: Viele Jahre beherrschte ein leerstehendes, verfallenes Wohnhaus den wichtigen Stadteingang. Am Ende verfügte das Bauordnungsamt den Abriss. Denn dieses erste in einer ganzen Reihe baufälliger Häuser war zur Gefahr geworden. Nun aber ist das Haus doch noch privat saniert worden! Nach inzwischen zwei Jahrzehnten des Leerstands. Wohnungen sind entstanden.
Diese beinahe wundersame Rettung ist kein Einzelfall. Wichtigster Grund: Die Nachfrage steigt. „Vor allem in der Innenstadt wächst die Einwohnerzahl. Vom Lutherplatz bis Giebichenstein ist sie in den vergangen zehn Jahren um 15?000, oder 24 Prozent, gestiegen“, sagt Stadtsprecher Drago Bock. Tatsächlich: In den 1990er Jahren betrug der Leerstand noch bis zu 30 Prozent. Heute sind es beispielsweise sieben Prozent im Paulusviertel. Die erhöhte Nachfrage führt zur Sanierung von bisher sehr problematischen Immobilien, etwa an Hauptverkehrsstraßen und Stadteingängen. Wie in der Paracelsusstraße. Und weil in der Innenstadt nur noch etwas mehr als zehn Prozent der Wohnhäuser noch nicht saniert sind, die Neuvermietungsmieten aber steigen, wird zudem auch der Neubau in Baulücken wieder attraktiver.
Die ganze Stadt profitiert
Von der positiven Entwicklung der Innenstadt profitiert ganz Halle. „Die seit vier Jahren leichten Einwohnerzuwächse führen auch zur Stabilisierung in den Großwohnsiedlungen“, sagt Uwe Stäglin. Das neue aktive Bauwesen Halles wird auch durch das finanzielle Umfeld befeuert: Das Geld flieht in die Immobilie, seit die Inflationsrate höher als die Zinsen für Spareinlagen ist. Zudem befinden sich Baukredite auf einem historischem Tiefstwert.
Doch auch die Stadt selbst hat Anteil an der gestiegenen Bautätigkeit. Sie fördert etwa Bauherren und Sanierungen - wie die Rettung maroder Wohnhäuser in speziellen Stadtumbaugebieten. Im Zuge der Internationalen Bauausstellung 2010 wurde beispielsweise ein besonderes Fördermodell entwickelt. Im Auftrag der Stadt kümmert sich dabei der Eigentümermoderator Gernot Lindemann eigens um die vermeintlichen Schrottimmobilien, sucht und berät Eigentümer über Förderung. Ergebnis: Von den damals rund 200 verfallenen Wohnhäusern sind bisher 51 gefördert saniert. Dafür wurden 3,6 Millionen Euro Fördermittel ausbezahlt. Schätzungsweise wurden damit 30 bis 35 Millionen Euro investiert - kein schlechte Quote. Für weitere 18 Gebäude gibt es Verträge, 16 Immobilien werden vorbereitet. Das Modell hat deutschlandweit Nachahmer gefunden.
Der besagte Kopfbau des Stadteingangs Paracelsusstraße, die Adresse lautet Wielandstraße 17, ist ein herausragendes positives Beispiel für geförderte Sanierung.
Dazu zählen aber auch sehr viele Immobilien in der Altstadt: Das Ensemble Mittelstraße 16 bis 20 etwa, die ältesten Fachwerkhäuser der Stadt, das Fachwerkhaus neben dem Graseweghaus, das Marktschlösschen und andere.
Steigende Preise und Mieten
Halles neuer Bauboom bringt indes auch Probleme: Die Preise und Mieten steigen - zumindest in der Innenstadt. Am Steintor beispielsweise wurde jetzt eine echte Hausruine versteigert. Im Katalog waren 49?000 Euro aufgerufen, es ging für 169?000 weg. Und: „Zukünftig sind Preissteigerungen für Wohnbauflächen für alle Kategorien zu erwarten“, so ein Immobilienmakler.
Und bei allen Fortschritten bleibt indes weiter viel zu tun. Viele stark verfallsbedrohte, aber denkmalpflegerisch wichtige Gebäude mit stadtgeschichtlicher Bedeutung warten weiter auf die Rettung: Am Leipziger Turm 3, mehrere Privathäuser in der Brüderstraße oder der Kühle Brunnen am Markt 1. Für die Stadt große Bedeutung haben auch die Scheiben-Hochhäuser im Zentrum Neustadts oder der Schlachthof als Ensemble. Auch an etlichen lauten Hauptverkehrsstraßen stehen viele Ruinen: Paracelsusstraße, Volkmannstraße, Brunnenstraße, Merseburger Straße.
Auch Spekulation blüht
Doch unübersehbar ist, dass sich das Stadtbild ändert. Am lange verwahrlosten Stadteingang Halles, der stark befahrenen Paracelsusstraße, ist das zu sehen: Dort wird nach dem sanierten Kopfbau nun auch Bauantrag für das Haus Wielandstraße?14 gestellt. Dessen Eigentümer hatte gewartet, bis das Haus davor saniert ist. Auch die Schattenseite der Entwicklung ist dort nachzuvollziehen. An der Paracelsusstraße waren im vergangenen Jahr drei Ruinen verkauft worden. Die neuen Eigentümer wollten sanieren. Nun bieten sie ein Haus zum Kauf an: Der Kaufpreis liegt höher als für alle bezahlt wurde.