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Ludwig-Wucherer-Straße in Halle Ludwig-Wucherer-Straße in Halle: "Lu-Wu" mausert sich zum Szene-Viertel

Von Detlef Färber 11.04.2015, 16:13
Die Ludwig-Wucherer-Straße bei Nacht: Eine Straße, mit der es lange Zeit sichtbar bergab ging, und mit der es nun stetig aufwärts geht.
Die Ludwig-Wucherer-Straße bei Nacht: Eine Straße, mit der es lange Zeit sichtbar bergab ging, und mit der es nun stetig aufwärts geht. Silvio Kison Lizenz

Halle (Saale) - Auch das ist Willkommenskultur.

Und durchaus eine, die zu einer Stadt passt, deren Bewohner als maulfaul gelten:

Auf exakt einem Kilometer drängen sich in der Ludwig-Wucherer-Straße zwischen Steintor und Reileck am Nordrand der halleschen Innenstadt nicht weniger als 31 Läden unterschiedlichster Branchen. Hinzu kommen insgesamt elf Kneipen, Cafés oder Restaurants - und zusätzlich noch drei Spezial-Imbisse. Zehn leer stehende Läden, sechs leer gezogene, noch verfallende oder schon in Sanierung befindliche Häuser sowie vier zum Teil gleich mehrere Grundstücke umfassende Baulücken zeugen aber auch davon, dass in der Lu-Wu noch einiges zu tun ist.

Ein kurzer individueller Gruß, der unaufdringlich aus dem Hintergrund kommt. „Hallo!“ Wir sind in Halle in der Ludwig-Wucherer-Straße - und eine Jungmitarbeiterin des Ladens „Futterluke“ hat für Momente die Kundenbetreuung übernommen. Doch dann wird es irritierend, denn auf das „Hallo“ folgt unmittelbar ein „Tschüss“ - und die Frage „Wer bist du denn?“

Ja, wer bin ich? Etwa schon einer von hier, einer, der zu dieser nur kurz Lu-Wu genannten Straße passt? Bei einer Begrüßung wie dieser - übrigens dialektfrei von Papagei Lilli gesprochen - steigen gleich die Chancen, dass der Besucher aus so einer Straße gar nicht wieder weg will. Tatsächlich geht es hier in der Lu-Wu schon seit Jahren immer lustiger und wuseliger zu. Und jetzt, kurz bevor der fertig gebaute Steintor-Campus der Universität eröffnet wird, erwarten insbesondere die Händler und Kneiper, dass hier „richtig die Post abgeht“.

Aus trist und traurig wird lustig und wuselig

Dabei war diese Straße vor einem Vierteljahrhundert so gut wie tot: Tri-Tra (trist und traurig) statt Lu-Wu wäre da der passende Namen gewesen. Die Meile - benannt nach dem Stadtkämmerer und hier ansässigen Fabrikanten Ludwig Wucherer (1790-1861) - spiegelte das Elend einer ganzen, im Sozialismus heruntergewirtschafteten Stadt. Wie als gallige Abwandlung einer Parole waren hier ganz „ohne Waffen“ Ruinen geschaffen worden. Lange ist’s her.

Kiez erinnert an Berliner Verhältnisse

Doch nun ist die Straße nahezu saniert und hat sich in einer Weise wiederbelebt, wie man es auch in gut gehenden Städten des Ostens (und wohl auch des Westens) selten findet: Fast in jedem Haus ist unten ein Gewerbe drin - was die Straße und das Viertel zu einem Kiez macht, der schon stark an Berliner Verhältnisse erinnert. Berliner Kiez bedeutet im günstigsten Fall, dass man ihn gar nicht verlassen muss. Denn alles, was man braucht, ist schon da. Oder ganz nah. Beispiele für so ein Komplett-leben aus der Lu-Wu gefällig?

Los geht’s: Der Supermarkt hat 24 Stunden offen, 13?Lokale laden zu ausgedehnten Kneipen-Touren ein. Gegen anschließendes Völlegefühl oder Schädelbrummen bieten gleich zwei Apotheken Mittel an. Bei einer davon ist das Ärztehaus gleich nebenan - und für die älteren Lu-Wujaner ist ein Pflegedienst nicht weit. Und um den Lebenskreis komplett zu machen, gibt es auch einen Bestatter, und sogar einen auf Grabsteine spezialisierten Steinmetz in Sichtweite.

Alles in der Nähe

Nur im Zusammenhang mit dem Lebensanfang muss man die Lu-Wu noch ein paar Schritte weit verlassen. Denn ein Geburtshaus und diverse Kitas und Schulen liegen doch noch ein paar Steinwürfe entfernt. Ebenso Bolzplatz, Tennisplätze, Varietétheater, Puschkino und etwa auch das Landesmuseum.

Doch wenn wir schon bei Kreativität sind: Die springt einen als Originalität in der Lu-Wu buchstäblich von jedem Ladenschild aus entgegen: Sei es am Kaufmannsladen, beim Eis-Dealer, der Mangelwirtschaft (Café mit Waschsalon und Wäschemangel), beim Nähladen „Fadenliebe“ - und nicht zuletzt auch bei dem Frisör mit dem schönen Namen „Wächst ja wieder!“. Der Name könnte ein Motto sein für diese ganze Straße, die fast schon erledigt war und - trotz dass sie schnurgerade verläuft - so wunderbar die Kurve gekriegt hat.

Ursula Niedrig, Chefin der Galerie „Kunst im Keller“, ist mit durch diese Kurve gegangen, denn sie hat in den 17 Jahren, die sie hier schon wirkt, alle Höhen und Tiefen erlebt?- und alle überlebt, die wieder abwandert sind und aufgeben mussten. Doch nun, hofft sie, dass sich das Warten gelohnt hat.

Spezielle Läden

Denn immer wieder ziehen nun Läden ein.

Die von Musiker Carsten „Rotti“ Rottweiler, betriebene Szenekneipe „Fliese“ lockt Scharen junger Leute auch von weit her in die Gegend. Oder speziellere Theken wie die „Schwarze Angel“ genannte Cocktailbar „Black Angel“. Oder der lustigerweise in einer einstigen Fleischerei untergebrachte Vegan-Imbiss „La Ka Rot“, auf dessen lustigen Deckenfliesen, Schwein und Rind in Freilandhaltung zu bewundern sind.

Bleibt noch die Frage, wie es in der Lu-Wu - im ehe stillen Halle?- zu solchen Anfällen von Geschwätzigkeit kommen kann, wie eingangs bei Papagei Lilli. Des Rätsels Lösung ist, dass besagte Lilli aus Berlin stammt. Doch mittlerweile werden auch andere zugewanderte Berliner und junge Leute aus aller Welt zwischen Steintor und Reileck gesichtet: Auch auf der Suche nach guter Laune. (mz)

„Futter-Paradies“-Chefin Petra Erteil mit Papagei Lilli
„Futter-Paradies“-Chefin Petra Erteil mit Papagei Lilli
Silvio Kison Lizenz
Dieser Tante-Emma-Laden für Nachtschwärmer ist 24 Stunden geöffnet.
Dieser Tante-Emma-Laden für Nachtschwärmer ist 24 Stunden geöffnet.
Silvio Kison Lizenz
Vor den vielen kleinen Läden kann es schon mal ziemlich eng werden.
Vor den vielen kleinen Läden kann es schon mal ziemlich eng werden.
Silvio Kison Lizenz
Karsten Rottweiler in seiner Kneipe, der „Fliese“, - mit Hund Rosi
Karsten Rottweiler in seiner Kneipe, der „Fliese“, - mit Hund Rosi
Silvio Kison Lizenz