24. Prozesstag in Magdeburg Liveticker Anschlag Halle (Saale): Terrorprozess in Magdeburg gegen Neonazi Stephan B. zum Attentat in Halle
Halle (Saale) - Es war einer der schlimmsten antisemitischen Anschläge der deutschen Nachkriegsgeschichte: Der rechtsterroristische Angriff von Halle am 9. Oktober 2019 machte weltweit Schlagzeilen.
Hier finden Sie die Live-Berichterstattung vom 24. Prozesstag gegen Stephan B. am 8. Dezember in Magdeburg. Vom Prozess berichtet heute Julius Lukas.
- 23. Prozesstag: Weitere Nebenklage-Anwälte halten Plädoyers
- 25. Prozesstag: Drei Minuten Hass - Stephan B. leugnet in seinem letzten Wort den Holocaust
08.12.2020: Tag 24 im Terrorprozess gegen Stephan B. um den Anschlag von Halle
17.17 Uhr: Nebenklage-Vertreter plädiert für zivilgesellschaftliches Engagement
Als letzter Nebenklage-Vertreter spricht Anwalt Goldbach. Er arbeitet heraus, dass nicht die staatlichen Organe alleine Taten wie die von Stephan B. verhindern könnten. Es brauche auch ein entsprechendes zivilgesellschaftliches Engagement. Damit endet der 24. Prozesstag. Am Mittwoch geht es bereits weiter. Dann spricht die Verteidigung. Auch der Angeklagte darf dann noch letzte Worte sagen.
16.56 Uhr: Polizistin trat dem Attentäter am Tattag entgegen
Neunter von zehn Nebenklageanwälten ist Christoph Günter. Seine Mandantin ist eine Polizistin, die dem Attentäter am Tattag entgegen getreten ist. „Sie ist dabei die Gefahr eingegangen, selbst zum Opfer zu werden“, sagte Günther.
16.23 Uhr: Polizisten als die „stillen Helden des 9. Oktober“
Nebenklage-Anwalt Siebenhühner, der zwei Polizisten vertritt, nennt seine Mandanten die „stillen Helden des 9. Oktober“. Unter Einsatz ihres Lebens hätten sie versucht, den Angriff des Attentäters zu verhindern.
„Sie sahen aber genau das als ihre ganz normale Pflicht an.“ Siebenhühner tritt in seinen Worten auch der oft geäußerten Kritik an der Polizei entgegen. Moniert wurde etwa der ruppige Umgang der Beamten mit den Betroffenen.
Der Anwalt machte aber deutlich, dass es eine Ausnahmesituation gewesen sei und die Polizisten unter erheblichem Druck standen. Sicher seien Fehler passiert. Den ganzen Einsatz aber als gescheitert zu erklären, sei unsachlich.
16.09 Uhr: Nebenkläger „macht sich für Kevins Tod verantwortlich“
Die Nebenklageanwältin Doreen Blasig-Vonderlin hält das siebte Plädoyer. Sie vertritt den Maler, der zusammen mit dem getöteten Kevin Schwarze den „Kiez-Döner“ besuchte.
Ihr Mandant habe es den gesamten Prozess über nicht geschafft, die Verhandlung zu besuchen. „Gesundheitlich ist er nicht in der Lage, vor Ort zu sein.“ Sein Leben habe sich gravierend verändert. Bis heute frage der Maler sich, warum er Kevin Schwarze nicht helfen konnte: „Er macht sich für Kevins Tod verantwortlich“.
Die Handy-Nachricht, mit der Kevin Schwarze ihn am 9. Oktober zum Mittagessen und zum Gang zum Döner rief, habe er noch immer auf seinem Telefon. Ihr Mandant, sagt Doreen Blasig-Vonderlin, habe zu ihr gesagt: „Mein Lebensmittelpunkt ist seit diesem Tag meine Couch. Ich fühle mich, als sei ich verdammt, hier auf den Tod zu warten.“ Blasig Vonderlind sagt: „Mein Mandant kann mit dem Abschluss des Prozesses nicht sagen: Es endet hier und heute.“
15.41 Uhr: Nebenklage-Vertreter vertritt seinen Vater, der im Kiez-Döner saß
Anwalt David Herrmann ist der sechste von zehn Nebenklage-Vertretern, die am 24. Prozesstag ihr Plädoyer halten. Der Jurist vertritt seinen Vater, der im Kiez-Döner saß und auf den der Attentäter schoss. David Herrmann fragt entsprechend persönlich in Richtung des Angeklagten: „Mit welchem Recht maßen sie, der nie etwas für die Gesellschaft geleistet hat, es sich an, mir und meinem Bruder den Vater und meiner Mutter den Ehemann nehmen zu wollen?“
Anschließend rekapituliert der Anwalt die Tat des Angeklagten, wobei er immer wieder darauf zurückkommt, dass der Rechtsterrorist sich eine Welt zusammengelogen habe, in der alle an seiner Situation schuld seien, „nur nicht er selbst.“
14.42 Uhr: Nebenklageanwalt nutzt Plädoyer für Vortrag zu Opferschutz
Ein Nebenklageanwalt nutzt sein Plädoyer – da vieles aus seiner Sicht schon gesagt worden sei -, um umfangreich und mit vielen Beispielen der vergangenen Jahrzehnte über den Opferschutz zu referieren. Er spricht dabei so lange, dass sein Schlussvortrag für eine Lüftungspause unterbrochen werden muss.
14.01 Uhr: Konrad R. rettete nur die Fensterscheibe des Kiez-Döner
Sebastian Scharmer, Nebenklage-Anwalt, beginnt sein Plädoyer mit einer Respektsbekundung in Richtung der Nebenkläger, die zuvor gesprochen haben. Sein Mandant Konrad R., der im Kiezdöner saß, als Stephan B. diesen attackierte, habe eigentlich selbst vor Gericht sprechen wollen. „Er wollte etwas sagen, aber er schafft es nicht“, erklärt Scharmer.
Deswegen äußert sich der Anwalt auch im Namen seines Mandaten. Er arbeitet heraus, dass Konrad R. nicht durch eine weitsichtige Polizei, die am höchsten jüdischen Feiertag die örtliche Synagoge bewacht, gerettet wurde.
„Ihn rettete eine Fensterscheibe im Kiez-Döner.“ Diese hielt nämlich eine der Kugeln des Attentäters auf. „Mein Mandant ist traumatisiert aufgrund des Anschlags, allerdings auch, weil er keine Unterstützung durch die Polizei oder Einsatzkräfte bekam.“
12.46 Uhr: Vorsitzender der jüdischen Gemeinde: Ursprung des Hasses liegt in der Familie
Vor der Mittagspause tritt auch noch Max Privorozki ans Rednerpult. Der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde macht deutlich, dass über die Schuld von Stephan B. keine Zweifel bestehen: „Ein Mord ist ein Mord und ein Mörder ist und bleibt ein Mörder.“ Er habe lange darüber nachgedacht, wo der Ursprung des Hasses des Angeklagten liege.
Seiner Überzeugung nach sei es weder das Internet, noch – wie von Stephan B. gesagt – der Flüchtlingszuzug 2015. „Meines Erachtens liegt der Ursprung in der Familie“, sagt Privorozki. Verbunden ist diese Aussage mit der Forderung, dass die Bundesanwaltschaft die Rolle der Eltern weiter ergründen solle.
12.32 Uhr: Nebenklägerin: Aus dem Elend der Tat ist Solidariät erwachsen
Eine vierte Nebenklägerin ergreift das Wort. Sie probiert in ihren Ausführungen dem Anschlag eine Bedeutung abzugewinnen. Für sie zeigte sich in den letzten Monaten: „Was aus dem Elend jenes Tages erwuchs, ist Solidarität.“
Damit bezieht sie sich vor allem auf die Nebenkläger, die zusammengewachsen seien und die alle auf ihre Weise versuchten, mit den Narben, die der Anschlag hinterlassen hat, umzugehen.
12.15 Uhr: Streit um Zettel im Gericht - Stephan B. will seine Aufzeichnungen zurück
Nach der Pause wird es kurz etwas lauter. Der Verteidiger von Stephan B., Hans-Dieter Weber, macht das Gericht darauf aufmerksam, dass seinem Mandaten zwei Zettel weggenommen wurden. Einer davon seien seine Aufzeichnungen gewesen, die wolle er zurück. Den anderen Zettel, so sagt es Stephan B., habe er gar nicht hochgehalten.
Nebenklage-Vertreterin Kati Lang hält ihm entgegen, dass sie das Hochhalten gesehen habe. Nachdem sich die Beteiligten wieder beruhigt haben, macht Richterin Ursula Mertens dem Angeklagten klar: „Sie haben den Schlussvorträgen kommentarlos zuzuhören.“
11.53 Uhr: Stephan B. will Klägerin verwirren - Prozess wird unterbrochen
Nach einer kurzen Unterbrechung spricht als nächste Nebenklägerin Christina Feist, die ebenfalls in der Synagoge war und sich mehrfach schon öffentlich zum Prozess äußerte. Auch sie beklagt die Ermittlungsarbeit und mahnt zu mehr Mut und Courage, wenn es darum geht, Antisemitismus, Rechtsextremismus und Frauenfeindlichkeit entgegen zu treten.
Nach ihrem Vortrag tritt Nebenklage-Anwältin Kati Lang kurz ans Rednerinnenpult und weist darauf hin, dass Stephan B. während des Vortrags von Christina Feist Zettel hochgehalten habe. Mit diesen, so sagt sie, habe er versucht, die Nebenklägerin zu verwirren.
Aus dem Zuschauerbereich war das nicht zu erkennen. Selbst die Verteidigung gibt an, es nicht bemerkt zu haben. Richterin Ursula Mertens unterbricht den Prozess auf Bitten der Nebenklage für zehn Minuten.
11.30 Uhr: Extreme Kritik an Ermittlungen des BKA
Die beiden Nebenklägerinnen gehen insbesondere mit dem BKA hart ins Gericht. Den Beamten werfen sie Oberflächlichkeit und Ignoranz vor – und vor allem ein fehlendes Fachwissen. Verbindungen zum Anschlag von Christchurch und anderen Attentaten seien abgetan worden. Dabei sei der Anschlag von Halle „einer in einer großen Reihe von Aschlägen, deren Ziel es ist, wieder nachgeahmt zu werden.“
Die ermittelten Beamten seien ahnungslos gewesen, als es um die Online-Kontakte des Angeklagten gegangen sei. Dieser war etwa in der Gaming-Szene aktiv und auf verschiedenen Plattformen. Dass alles hätte der Prozess aufklären können. Stattdessen haben sich die Ermittlungen - auch im Gerichtsaal – auf die Kontakte von Stephan B. zu Extremisten in der realen Welt konzentriert – die allerdings nicht vorhanden waren.
Eine der Nebenklägerinnen bezeichnet das als ein „veraltetes Verständnis“ davon, „wie Einzelne sich radikalisieren und wie die extreme Rechte sich heutzutage organisiert.“ Denn das geschehe vor allem im virtuellen Raum. „Es wurden aber keine Anstalten unternommen, die Community zu verstehen, die den Täter hervorgebracht hat.“
11.16 Uhr: Nebenkläger kritisieren Prozess: „herablassend, naiv und schmerzlich kurzsichtig“
Nach den Worten von Anwalt Alexander Hoffmann dürfen seine beiden Mandaten, zwei Synagogenbesucherinnen, sprechen. Eine lässt ihr Statement vorlesen, die andere spricht selbst. In beiden Stellungnahmen üben die Betroffenen deutliche Kritik am Prozess. „Im Gerichtssaal herrschte ein Gefühl von: Bringen wir es hinter uns.“
Dabei habe der Prozess eine weitreichendere Bedeutung. Er hätte ergründen müssen, welche Bedingungen zur Radikalisierung des Angeklagten geführt haben. Doch das Thema Ideologie und wie sie sich entwickelt haben einige Nebenkläger, Staatsanwaltschaft und insbesondere das BKA nicht weiterverfolgen wollen. „Das wirkte herablassend, naiv und schmerzlich kurzsichtig.“
10.56 Uhr: Anwalt: Das war keine „irrationale Handlung eines Dorfdepps“
Alexander Hoffmann, Strafverteidiger aus Kiel, spricht als dritter Nebenklageanwalt. Er macht deutlich, dass die Tat von Stephan B. nicht die „irrationale Handlung eines Dorfdepps“ gewesen sei. Denn mit dieser Sicht könnte man sie als so etwas wie ein Naturereignis sehen, gegen das man nichts habe tun können.
„Diese Sicht würde es uns ermöglichen, einfach weiterzuleben.“ Der Anschlag sei jedoch in Wahrheit Ausdruck eines weitverbreiteten Antisemitismus, der auch in der Mitte der Gesellschaft angekommen sei.
10.37 Uhr: Weiterer Anwalt fordert lebenslange Freiheitsstrafe
Der nächste Nebenklage-Vertreter steht für seine Schlussworte gar nicht auf. Er bleibt an seinem Platz, weil er kein längeres Plädoyer halten und dem Angeklagten damit auch keine weitere Bühne bieten wolle. Er schließe sich deswegen seinen Vorrednern sowie der Forderung der Bundesanwaltschaft an – lebenslange Freiheitsstrafe mit anschließender Sicherungsverwahrung für Stephan B.
10.34 Uhr: Anwalt bestreitet Einschätzung des psychiatrischen Gutachters
Der erste Nebenklageanwalt bestreitet die von Gutachter Norbert Leygraf festgestellte „schwere seelische Abartigkeit“ des Täters. Als Indiz nennt er, dass Stephan B. gegrinst habe, als er den Beruf seiner Mutter nennen sollte. Sie ist Ethiklehrerin. „Meiner Ansicht nach kennt der Angeklagte das Rechts- und Wertesystem genau“, so der Nebenkläger.
Er breche es aber bewusst. Stephan B. beschriebt er als aufbrausend und rechthaberisch. Zum Schluss seines Vortrags kritisiert der Jurist noch, dass einige Nebenklage-Anwälte in der letzten Woche ihre Plädoyers genutzt hatten, um politische Botschaften zu senden – bis hin zur Verbindung des Prozesses mit der aktuell debattierten Diskussion rund um die Rundfunkgebühren. Das gehöre nicht in den Gerichtssaal.
10.11 Uhr: Nebenklage: Angriff auf Synagoge war versuchter Mord
Mit kurzer Verzögerung aufgrund von Anreiseproblemen Beteiligter beginnt der 24. Prozesstag. Der erste Nebenklageanwalt des Tages leitet in einem recht umfangreichen Vortrag her, dass es sich beim Angriff auf die Synagoge um versuchten Mord handelt.
Damit will er einer möglichen Strategie der Verteidiger entgegen treten, die die Versuchsstrafbarkeit abstreiten könnten – etwa weil ohnehin ausgeschlossen war, dass der Versuch Erfolg haben könnte.
Vorab: Darum geht es am 24. Tag der Verhandlung
Der Prozess zum rechtsextremen Anschlag von Halle steht kurz vor dem Abschluss. In der vergangenen Wochen haben Vertreter der zahlreichen Nebenkäger mit ihren Plädoyers begonnen. Heute werden weitere Abschlussvorträge gehalten. Am 9. Dezember könnte dann die Verteidigung ihr Plädoyer halten. Am 21. Dezember könnte das Urteil fallen.
Die MZ berichtet wie immer im Liveticker vom Prozess.
Rückblick auf den Prozess
1. Prozesstag: Stephan B. schildert Taten mit unverholener Freude
2. Prozesstag: Terrorist Stephan B. spricht über Spenden und Verschwörungsmythen
3. Prozesstag: Nebenklage beleuchtet familiäre Hintergründe
4. Prozesstag: Zeugen geben Einblicke ins Familienleben von Stephan B.
5. Prozesstag: Nebenklage kritisiert Entscheidung des Gerichts
6. Prozesstag: Ein genauer Blick auf das Waffenarsenal von Stephan B.
7. Prozesstag: Was trieb Stephan B. online - und was fanden die Ermittler?
8. Prozesstag: Zeugen setzen ein Zeichen – Wir lassen uns nicht einschüchtern
9. Prozesstag: Überlebende aus der Synagoge kritisieren Arbeit der Polizei
10. Prozesstag: Noch einmal sprechen die Überlebenden aus der Synagoge
11. Prozesstag: Zeugen schildern Angriff auf den Kiez-Döner in der LuWu
12. Prozesstag: Emotionale Aussage des Vaters von Kevin S. rührt den Gerichtssaal
13. Prozesstag: Polizisten schildern Schusswechsel auf der LuWu
14. Prozesstag: Stephan B.s Flucht aus Halle - fuhr er Somali absichtlich an?
15. Prozesstag: Opfer aus Wiedersdorf schildern Begegnung mit Halle-Attentäter
16. Prozesstag: Polizisten berichten über Flucht und Festnahme von Stephan B.
17. Prozesstag: Psychologe: Stephan B. wäre eine Hinrichtung lieber
18. Prozesstag: Angeklagter Stephan B. hält Psycho-Gutachten für „politisch motiviert“
19. Prozesstag: Tat-Video von B. löst Erdbeben in Online-Foren aus
20. Prozesstag: Weitere Terrorverdächtige speicherten Tatvideo aus Halle
21. Prozesstag: Bundesanwaltschaft fordert Höchststrafe
22. Prozesstag: Anwälte der Nebenklage halten Plädoyers
23. Prozesstag: Weitere Nebenklage-Anwälte halten Plädoyers
24. Prozesstag: Nebenkläger „macht sich für Kevins Tod verantwortlich“
25. Prozesstag: Drei Minuten Hass - Stephan B. leugnet in seinem letzten Wort den Holocaust
26. Prozesstag: Das Urteil
(mz/dpa)