23. Prozesstag in Magdeburg Liveticker Anschlag Halle (Saale): Terrorprozess in Magdeburg gegen Neonazi Stephan B. zum Attentat in Halle
Halle (Saale) - Es war einer der schlimmsten antisemitischen Anschläge der deutschen Nachkriegsgeschichte: Der rechtsterroristische Angriff von Halle am 9. Oktober 2019 machte weltweit Schlagzeilen.
Hier finden Sie die Live-Berichterstattung vom 23. Prozesstag gegen Stephan B. am 2. Dezember in Magdeburg. Vom Prozess berichtet Julius Lukas.
- 22. Prozesstag: Anwälte der Nebenklage halten Plädoyers
- 24. Prozesstag: Nebenkläger „macht sich für Kevins Tod verantwortlich“
02.12.2020: Tag 23 im Terrorprozess gegen Stephan B. um den Anschlag von Halle
12.16 Uhr: Prozesstag endet früh
Damit endet der 23. Prozesstag. In der kommenden Woche werden am Dienstag weitere Nebenklage-Anwälte ihre Plädoyers halten. Am Mittwoch sind dann die Verteidiger des Angeklagten mit ihren Schlussworten dran. Das Urteil soll am 21. Dezember um 11 Uhr gesprochen werden.
12.12 Uhr: „Verschonen Sie uns“
Als letzter Nebenklage-Anwalt des Tages spricht Florian Feige. Er vertritt die beiden Wiedersdorfer, die bei der Flucht von Stephan B. verletzt wurden. Feige macht deutlich, dass der Angeklagte in der Absicht handelte, seine Mandanten zu töten: „Deren Leben war ihm schlichtweg egal“, so Feige. Dann richtet der Jurist noch persönliche Worte an den Angeklagten: „Sie werden als namenloses Irrlicht in Erinnerung bleiben“, sagt Feige.
Er vergleicht Stephan B. mit einem „Dorfdeppen“, der seine Verschwörungsmythen weiterverbreiten will. „In Zeiten des Internet ist es leider so, dass alle Dorfdeppen dort zusammenfinden.“ Zum Ende hat der Anwalt noch eine Bitte an Stephan B.: „Ich bitte Sie, machen Sie nicht von ihrem Recht Gebrauch, letzte Worte zu sprechen und verschonen Sie uns alle mit ihrer zerebralen Diarrhö.“
11.20 Uhr: „Es war unerträglich“
Rechtsanwältin Kallweit hält das dritte Plädoyer des Prozesstages. Sie vertritt einen Mann, der mehrere Menschen zu dem Ausflug nach Halle einlud, um dort Jom Kippur zu feiern. Kallweit spricht zuerst über ihren Eindruck vom Prozess: „Es war unerträglich, den Angeklagten emotionslos über den Kampf gegen unsere Gesellschaft sprechen zu hören.“
Auch sie fühle sich schuldig: „Ich stelle mir die Frage: Habe ich genug getan, höre und sehe ich hin?“ Die Frage bezieht sie besonders auf Stephan B., bei dem nicht hingeschaut wurde, obwohl er doch Teil der Gesellschaft ist. Kallweit schließt sich zum Schluss ihres Plädoyers den Strafforderungen ihrer Vorredner an.
10.44 Uhr: Antisemitismus widersprechen
Als zweiter Nebenklage-Anwalt des Prozesstages geht Juri Goldstein ans Rednerpult. Er vertritt zwei Besucher der Synagoge. „Die Absicht, mehr als 50 Menschen das Leben zu nehmen - Müttern, Vätern, Rentnern und Kindern - ist an Abscheulichkeit nicht zu überbieten.
Und dafür gibt es eigentlich keine gerechte Strafe“, sagt Goldstein. Dann rückt er den Prozess in den Mittelpunkt: „Dem Angeklagten wurde eine Bühne geboten, die er nicht haben dürfte.“ Um Taten wie diese zu verhindern, müsse Antisemitismus entgegen getreten werden.
Dass das bisher nicht geschieht, macht er an der Aussage des Ex-Partners der Schwester von Stephan B. fest. Der sagte, dass es keinen Sinn gehabt haben, dem Antisemitismus des Angeklagten zu widersprechen. „Solchen Leuten“, sagt Goldstein, „muss man helfen.“ Man müsse sie unterstützen, damit sie beim nächsten Mal dem Antisemitismus widersprechen.
10.25 Uhr: Dank an das Gericht
Zum Schluss Ihres Plädoyers zeigt Nebenklage-Vertreterin Assia Lewin dem Angeklagten die Dimension seines Handelns noch einmal auf. „Sie haben mit Ihren eigenen Händen Ihr Leben und das Leben Ihrer engsten Angehörigen zerstört. Sie werden damit leben müssen, dass ihr Neffe sich für sie schämt. Und seine Kinder auch.“
Stephan B. nimmt die Worte weitestgehend regungslos, jedoch mit einem leichten Lächeln im Gesicht hin. „An Sie wird sich niemand erinnern, dafür aber an einen rechtsstaatlichen Prozess. Dafür danke ich dem Gericht“, sagt Rechtsanwältin Lewin zum Ende.
10.21 Uhr: „Sie haben auf ganzer Linie versagt“
In ihrem Schlussvortrag geht Nebenklage-Vertreterin Assia Lewin auch intensiv darauf ein, welche Wirkung das Attentat hatte. Gegenüber den Anwesenden macht sie deutlich, dass Stephan B. sein Ziel, in einer Reihe mit anderen rechtsextremistischen Attentätern genannt zu werden, nicht erreichte.
Auch sein Ansinnen, den Juden in Deutschland zu schaden, sei nicht erfüllt worden: „In diesem Prozess haben Sie das erste Mal Juden gesehen“, sagt Assia Lewin. Viele Juden hätten vor Gericht und in der Öffentlichkeit ihre Geschichte erzählen dürfen und auch deutlich machen können, wie sehr der Holocaust noch heute ihr Leben in Deutschland prägt.
„Trotz ihrer Tat gedeiht das jüdische Leben in Deutschland. Als deutsche und jüdische Rechtsanwältin möchte ich Ihnen sagen: Sie haben auf ganzer Linie versagt.“
10.10 Uhr: „Wachen Sie auf, Herr Angeklagter“
Das erste Plädoyer des Prozesstages spricht Rechtsanwältin Assia Lewin, die zwei Synagogenbesucher vertritt. Sie stimmt zuerst den Anträgen ihrer Vorredner zu – also der Forderung einer lebenslange Freiheitsstrafe mit anschließender Sicherungsverwahrung für Stephan B. „In einem normalen Strafprozess wäre mein Plädoyer damit beendet, aber das ist kein normaler Prozess“, sagt die Anwältin.
Dann fragt sie: „Warum und wieso konnte das passieren, wie ist es möglich, dass der Angeklagte solchen Hass auf Juden entwickelte?“ Sie kritisiert die Angehörigen des Angeklagten, die geschwiegen und weggesehen hätten. Dann richtet sie sich an Stephan B.: „Wachen Sie auf, Herr Angeklagter: Niemand aus der von Ihnen so bezeichneten weißen Rasse möchte von Ihnen beschützt werden. Der Krieg findet nur in ihrem Kopf statt.“
9.49 Uhr: Nebenkläger leiden noch immer
Die Nebenklage-Vertreter, die am Dienstag bereits ihre Schlussvorträge hielten, betonten, wie sehr das Attentat das Leben ihrer Mandanten verändert habe.
So sagte Rechtsbeistand Christian Eifler über die Mutter des getöteten Kevin Schwarze: „Es geht ihr sehr schlecht.“ Dann richtete der Anwalt seine Worte direkt an Stephan B.: „Sie haben einer Mutter auf ekelhafteste, perverseste Weise ihr Kind genommen.“
Vorab: Darum geht es am 23. Tag der Verhandlung
Der Prozess zum rechtsextremen Anschlag von Halle ist auf der Zielgeraden. Heute werden weiter die Nebenklage-Vertreter ihre Plädoyers halten. Insgesamt drei Tage sind dafür vorgesehen. Am 9. Dezember könnte dann die Verteidigung ihr Abschlussplädoyer halten. Am 21. Dezember könnte das Urteil fallen.
Die MZ berichtet wie immer im Liveticker vom Prozess.
Rückblick auf den Prozess
1. Prozesstag: Stephan B. schildert Taten mit unverholener Freude
2. Prozesstag: Terrorist Stephan B. spricht über Spenden und Verschwörungsmythen
3. Prozesstag: Nebenklage beleuchtet familiäre Hintergründe
4. Prozesstag: Zeugen geben Einblicke ins Familienleben von Stephan B.
5. Prozesstag: Nebenklage kritisiert Entscheidung des Gerichts
6. Prozesstag: Ein genauer Blick auf das Waffenarsenal von Stephan B.
7. Prozesstag: Was trieb Stephan B. online - und was fanden die Ermittler?
8. Prozesstag: Zeugen setzen ein Zeichen – Wir lassen uns nicht einschüchtern
9. Prozesstag: Überlebende aus der Synagoge kritisieren Arbeit der Polizei
10. Prozesstag: Noch einmal sprechen die Überlebenden aus der Synagoge
11. Prozesstag: Zeugen schildern Angriff auf den Kiez-Döner in der LuWu
12. Prozesstag: Emotionale Aussage des Vaters von Kevin S. rührt den Gerichtssaal
13. Prozesstag: Polizisten schildern Schusswechsel auf der LuWu
14. Prozesstag: Stephan B.s Flucht aus Halle - fuhr er Somali absichtlich an?
15. Prozesstag: Opfer aus Wiedersdorf schildern Begegnung mit Halle-Attentäter
16. Prozesstag: Polizisten berichten über Flucht und Festnahme von Stephan B.
17. Prozesstag: Psychologe: Stephan B. wäre eine Hinrichtung lieber
18. Prozesstag: Angeklagter Stephan B. hält Psycho-Gutachten für „politisch motiviert“
19. Prozesstag: Tat-Video von B. löst Erdbeben in Online-Foren aus
20. Prozesstag: Weitere Terrorverdächtige speicherten Tatvideo aus Halle
21. Prozesstag: Bundesanwaltschaft fordert Höchststrafe
22. Prozesstag: Anwälte der Nebenklage halten Plädoyers
23. Prozesstag: Weitere Nebenklage-Anwälte halten Plädoyers
24. Prozesstag: Nebenkläger „macht sich für Kevins Tod verantwortlich“
25. Prozesstag: Drei Minuten Hass - Stephan B. leugnet in seinem letzten Wort den Holocaust
26. Prozesstag: Das Urteil
(mz/dpa)