Leichtathletik Leichtathletik : Jennifer Oeser spricht über ihr Karriere-Ende

Halle (Saale) - Jakob ist nicht zu überhören. Der kleine Wildfang, der im Herbst drei wird, will partout keinen Mittagsschaf machen. Als seine Mutter am Telefon durch das Gespräch mit der MZ abgelenkt wird, nutzt er die Chance, um aus seinem Bettchen auszubüxen und lautstark sein Recht auf Aufmerksamkeit einzufordern.
Die Mutter, das ist Jennifer Oeser. Sie ist gerade auf Heimatbesuch in Brunsbüttel. Wegen einer Familienfeier. Ein Termin, für den sie sich nun alle Zeit der Welt nehmen. Endlich einmal. Ihr Leben war bislang immer klar auf sportliche Höhepunkte ausgerichtet. Und auch die „Kraftprobe“ im Hintergrund ist mehr als nur eine Schmonzette. Sie zeigt nämlich jenen Grund, der der ehrgeizigen Leichtathletin die Entscheidung enorm erleichtert hat, das Kapitel Leistungssport nun zu beenden.
Dabeisein ist nicht alles
Die Siebenkämpferin selbst spricht von Lebensumständen, die sich im Laufe der Zeit verändert haben. „Es muss nicht immer das Alter sein, das einen zum Aufhören bewegt“, sagt die 33-Jährige. Und es ist auch gut so, nicht aus gesundheitlichen Gründen zu diesem Schritt gezwungen zu werden. Jennifer Oeser hat den Schlussstrich von sich aus gezogen, noch während des Mehrkampf-Meetings vor zwei Wochen in Ratingen. Da hat sie gemerkt, dass es nicht mehr reicht für die WM-Norm. „Hauptsache dabei zu sein, das ist nicht mein Anspruch“, sagt sie. Es zu dieser Zeit an diesem Ort zu sagen, war sicher spontan, doch darüber nachgedacht, sagt die junge Mutter, habe sie schon vorher. Eine gewisse Kampfesmüdigkeit hat sie gespürt. Sie hat gemerkt - das Adrenalin wird weniger, das sie in all den Jahren angetrieben hat.
Dabei hätte sie ihren WM-Start nächsten Monat in London möglicherweise auch ohne diesen Qualifikationswettkampf durchboxen können. Denn nur zwei ihrer Auswahlkolleginnen haben die hohe Normvorgabe des Verbandes erfüllt. Für Jennifer Oeser stehen immer noch die 6 401 Punkte zu Buche, die sie letzten Sommer in Rio erreicht hatte. Da war sie Neunte geworden und hatte ihren Frieden mit Olympia geschlossen.
Die einstellige Platzierung in Rio war ihr großes Ziel - das hat Jennifer Oeser erreicht und damit kann sie auch für sich sagen: Die Rückkehr in das Leichtathletik-Stadion nach zwei Fuß-OP und der Geburt ihres Sohnes hat sich gelohnt. Als sich die Bundespolizistin 2014 dazu entschlossen hatte, mit ihrer Familie nach Markranstädt zu ziehen, da wusste sie selbst nicht, was sportlich noch möglich ist. Trotz ihrer großen Leidenschaft für den Siebenkampf.
Die starke Trainingsgruppe von Wolfgang Kühne in Halle, das sagt sie im Nachhinein, „hat mich gut mitgezogen“. Und sie alle haben ihr geholfen, den zeitlichen Spagat mit meist zwei Trainingseinheiten pro Tag hinzubekommen. Hürdensprinterin Cindy Roleder, die in Leipzig wohnt und mit der sie eng befreundet ist, war bei einer frühen zweiten Runde mit dabei und Rico Freimuth stieg meist später ein. Die Staffelung hat gut funktioniert. Und Jennifer Oeser blieb genug Zeit für ihren Jakob nach Kita-Schluss. Trotzdem war es logistisch eine Meisterleistung. Weil der Rest der Familie ja in Brunsbüttel lebt - nördlich der Elbe an der Mündung des Flusses.
Besonders hart war die Zeit der Trennung während der Trainingslager. Auch wenn sie Jakob bei ihrem Partner immer gut aufgehoben wusste und man sich dank moderner Kommunikationstechnik sehen und miteinander sprechen konnte. Zuletzt in Montpellier waren ihre beiden Männer sogar mit.
Also werden sich die Prioritäten nun weiter verschieben. Das Haus, der Garten, im Herbst ein Familienurlaub in Österreich und dann auch beruflich die Konzentration auf den Job als Bundespolizistin. Dort jetzt ihren Platz zu finden, darauf freut sich Jennifer Oeser.
Abtrainieren zu Hause
Zeit für Sport wird sie sich aber dennoch nehmen. Schließlich kann man mit einem auf hohe Belastungen getrimmten Körper nicht sofort in Schonhaltung gehen. Nach Halle wird sie es wegen des Abtrainierens aber nicht mehr verschlagen - Radfahren, Schwimmen und Joggen kann die Allrounderin auch zu Hause.
Verbunden fühlt sich die Wahl-Sächsin dem SV Halle dennoch, obgleich sie ja offiziell nie ihren Heimatverein Bayer Leverkusen verlassen hat. Und sie hat auch schon einiges zurück gegeben. Als Jennifer Oeser während der Spiele in Rio bei einem Quiz im Deutschen Haus von einem Sponsor eine Prämie für die Förderung der Nachwuchsarbeit gewann, da teilte sie die zwischen ihren beiden Vereinen auf. „Ich habe in Halle die Sportstätten nutzen dürfen und bin rundum gut betreut worden“, sagt sie. Es erschien ihr nur allzu logisch, sich auf diese Art zu bedanken.
Wäre vielleicht sogar ein Engagement als Übungsleiterin denkbar? „Warum nicht“, sagt Jennifer Oeser. „Ich könnte mir vorstellen, in Markranstädt Nachwuchs-Leichtathletik mit aufzubauen, so etwas gibt es bei uns nämlich noch nicht.“
Dann hätte auch Sohnemann Jakob etwas davon. Verschobene Prioritäten eben.
(mz)