Leichtathletik in Halle Leichtathletik in Halle: Siebenkämpferin mit mächtig Potenzial

Halle (Saale)/MZ - Die Hochsprunglatte auf der Anlage in der Robert-Koch-Straße liegt bei 1,70 Metern. „Ich habe die Einsdreiundachtzig-Schuhe ausgepackt“, scherzt Julia Mächtig und zeigt Wolfgang Kühne ihre schwarz-gelben Spezialtreter. „Wird ja auch Zeit, die sind ja schon angestaubt“, witzelt der Trainer zurück.
Dann nimmt die 28-Jährige sieben Schritte Anlauf, springt - und reißt. Ihre gute Laune ist verflogen. „Mist, war nichts“, hadert sie. Kühne spürt, wie sie Zweifel befallen und stoppt die junge Frau sofort. „War doch gar nicht schlecht“, sagt er und weist seine Athletin auf fehlerhafte Kleinigkeiten und vor allem das viele Gute dieses Versuchs hin. „Es geht doch nicht immer um die Höhe“, schiebt er noch nach.
Das Bemühen des Siebenkampf-Bundestrainers, seinen Schützling durch Zuspruch aufzubauen, ist offensichtlich. Der Hallenser weiß nur zu genau: Für Julia Mächtig, die nach ihrer Punktzahl (6.430) zweitbeste der deutschen Siebenkämpferinnen 2013, ist gerade vieles neu. Außerdem neigt die durch und durch gutmütige Seele dazu, vieles an sich selbst infrage zu stellen. „Manches Mal täte ihr mehr Kompromisslosigkeit gut“, meint Kühne.
Neubrandenburgerin trainiert in Halle
Dass Julia Mächtig, die Neubrandenburgerin, aktuell in Halle mit Kühnes Gruppe trainiert, hat auch darin seinen Grund. Für sie ist es die letzte Chance. „Irgendwann muss bei ihr einfach mal der Knoten platzen“, sagt der Coach im Rückblick auf die letzten internationalen Einsätze der groß gewachsenen Athletin.
Dreimal in Folge verlief deren Saison nach dem gleichen Schema: Top bei den nationalen Qualifikationen - Einbruch beim Großereignis. Ihre Resultate sprechen Bände: WM 2011: Platz 17, Olympische Spiele 2012: Platz 31, WM 2013: 17. 469 Punkte war sie in Moskau unter ihrer Bestleistung aus der Qualifikation in Ratingen geblieben. Warum? Rätselraten.
Natürlich drängte sich bei der Ursachenforschung zweierlei auf: falsche Vorbereitung, fragiles Nervenkostüm. „Ich wusste, ich muss etwas verändern, wenn ich endlich einmal etwas erreichen will - bevor es zu spät ist“, sagt Julia Mächtig. Auch Kühne, der Verantwortliche, drängte sie zu einem Neustart. „Ich hatte keine Lust mehr, sie zwei Tage lang heulen zu sehen“, sagt er in seiner humorigen Art. Anders herum: Irgendwann ist es nicht mehr vermittelbar, diese offensichtliche Dauer-Enttäuschung international starten zu lassen.
Neuanfang überfällig
Also verließ Julia Mächtig Anfang des Jahres Klaus Baarck, der sie 14 Jahre betreut hatte, und suchte sich mit Klaus Schlottke im geliebten Neubrandenburg einen neuen Heimcoach. Zugleich wechselte sie in die Kühne-Gruppe um Michael Schrader, Rico Freimuth und Cindy Roleder.
Wenn Julia Mächtig davon erzählt, wie es zuletzt in Neubrandenburg abgelaufen ist, scheint klar: Für den Neuanfang war es höchste Eisenbahn. Sie trainierte allein, nach stets dem gleichen Muster, angetrieben mehr von harscher Kritik als durch Zuspruch. Selbst Spielformen wie Fußball waren dem einstigen Fan von Hansa Rostock - „jetzt ist es eine Gurkentruppe“ - mit dem Hinweis auf die Verletzungsgefahr verboten.
Julia Mächtig fühlte sich nicht mehr wohl. „Früher hatte ich im Januar schon keine Lust auf den Trainings-Start.“ Und das Vertrauen in das eigene Können schwand. „Als ich in Moskau vor dem WM-Wettkampf aus dem Flieger stieg, hatte ich weiche Beine und wusste schon: Das wird nichts“, erzählt sie. Spätestens danach sei sie „ins Grübeln gekommen“.
Vor allem Sprintfähigkeit verbessern
Nun also Halle. Zusammen mit den fröhlich-frechen Schrader und Freimuth und der Quereinsteigerin aus dem Hürdenlauf, Cindy Roleder, hat sie den Spaß wiedergefunden. „Jetzt ist alles neu. Ich profitiere von der Gruppe“, sagt Julia Mächtig, die vor allem ihre Sprintfähigkeit verbessern möchte. „Ich würde mich freuen, wenn ich die 200 Meter mal wieder in 24,60 Sekunden laufen könnte“, sagt sie.
Noch fehlen Resultate, die zeigen, wohin der Weg geht. Das Meeting in Götzis in vier Wochen gibt Anhaltspunkte. Julia Mächtig wird über Zürich anreisen. „Wir landen also dort, wo die EM stattfindet. Mal sehen, mit welchem Gefühl ich aus dem Flieger steige.“