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Leichtathletik Leichtathletik: Hat Müller Angst vor der großen Weite?

Von MICHAEL PIETSCH 26.08.2011, 18:46

Halle (Saale)/MZ. - Nadine Müller ist einem Lachanfall nahe. "Ich und Bergsteigerin? Das ist ein Witz, ein Gerücht, das vor längerer Zeit ein Journalist in die Welt gesetzt hat", sagt die 25-Jährige. Jetzt ist die Zeit für ein Dementi. "Richtig ist, dass ich gern auch mal nach Bayern fahre, dort unterwegs bin, spazieren gehe. Und da sind nun einmal auch Berge in der Nähe. Das war es aber dann auch schon."

Wenn es auch keine Berge sind, die die Sportlerin von den Halleschen Leichtathletik-Freunden reizen, große Herausforderungen tun es allemal. Nadine Müller ist Diskuswerferin, eine der besten in der Welt. So sie Samstagnacht die Qualifikation in Daegu übersteht (nach Redaktionsschluss), steht sie am Sonntag im WM-Finale. Und damit geht die Frage einher, wie sie dort mit dem Druck klarkommt. Denn Nadine Müller, so scheint es mitunter, quält die Angst vor der großen Weite.

Unmittelbar vor der WM hat die Hallenserin im Abschlusstraningslager in Kienbaum 66,99 Meter geworden. Es war ihre beste Leistung 2011 - und ihre zweitbeste überhaupt. Alles gut, sollte man meinen. Wenn da nicht diese ominöse Bestweite wäre. Die liegt bei 67,78 Metern, erzielt gleich zu Saisonbeginn 2010. Es war die Weltjahresbestleistung. "Das waren dreieinhalb Meter weiter, als ich je zuvor geschafft hatte", erinnert sie sich. "Ab da war ich die Gejagte." Und damit kam sie nicht klar. Als es Monate später bei der EM in Barcelona darum ging, ihren Status als Weltbeste zu untermauern, ging nichts: Platz acht. "Schon vor dem Finale hatten mir die Medien die Goldmedaille umgehängt."

Nadine Müller ist davon überzeugt, mit dem Druck inzwischen besser umgehen zu können. Barcelona im vergangenen Jahr war eine ganz persönliche Niederlage. "Es war aber auch eine, die mich zum Umdenken gezwungen hat. Ich musste etwas ändern." Und das lässt sich verkürzt vielleicht am besten so umschreiben: Sie hat ihren Individualsport für sich zum Mannschaftssport umdefiniert.

Wichtigste Bezugsperson im Team Müller ist natürlich Trainer Rene Sack. "Ein gemütlicher Zeitgenosse", sagt sie über den Leipziger. "Er weiß über die vielen ganz sportartentypischen Hinweise hinaus, was mir gut tut. Wir sprechen die gleiche Sprache. Und er bremst mich im Training aus, wenn ich nicht mitkriege, dass mein Körper eine Pause verlangt." Ein großes Kompliment. Zugleich weiß Sack, dass er die Messlatte nicht zu hoch anlegen darf. "Nadine weiß, was sie will", sagt er. "Und sie hat das Zeug dazu, in Korea unter die besten Sechs zu kommen." Das Wort Medaille verkneift er sich. Ganz bewusst. Genau wie Nadine Müller selbst.

Ebenfalls zum Team gehören Physiotherapeutin Ulrike Grigo und die halleschen Psychologin Anne-Kathrin Liedtke. Sie hat Müller nach der EM-Schlappe wieder aufgebaut. "Wir haben in vielen Sitzungen über dieses schlimme Erlebnis EM geredet, analysiert und herausgefiltert, was mich gestört hat. Und was mir gut tut." So sei sie jetzt, sagt Nadine Müller, in der Lage, "auch bei einer großen Meisterschaft den Schalter umzulegen und nicht immer an den Wettkampf zu denken".

Über die Saison hinweg hat Nadine Müller das bereits bewiesen. Auch das Jahr 2011 fing erfolgreich an. Sie schaffte - erneut in Wiesbaden - die Norm für die WM, gewann kurz nach einem kräfteraubenden Trainingslager auf Zypern bei den Diamond-League-Meetings in Birmingham und Monaco, machte bei der deutschen Meisterschaft in Kassel den Titel-Hattrick perfekt und erzielte mit 66,05 Metern beim Werfertag in Halle eine deutsche Jahresbestleistung. Ein ähnliches gutes Jahr also wie 2010. Nur eines ist anders. "Ich bin diesmal nicht die Gejagte", sagt Müller. Die Jahresweltbestleistung hält die Chinesin Li Yanfeng mit 67,98 Metern.

Den Kopf freizubekommen, das ist der große Schlüssel zur WM für Nadine Müller. Für Daegu hat sie extra einen Reiseführer im Gepäck, um sich mit der Kultur des Landes zu beschäftigen. Und: Journalisten gegenüber will sie während der Titelkämpfe mitunter mal "Nein" sagen. Nicht nur auf die Frage, ob sie Bergsteigen als Hobby habe. Die Angst vor der großen Weite, sagt die Diskuswerferin, habe sie abgelegt. "Ich freue mich einfach darüber, wie weit der Diskus fliegt."