Leichtathletik Leichtathletik: Brüderliche Konkurrenz

Halle/MZ - Robert Harting steht mitten unter den Fans und stellt sich bereitwillig als Fotomotiv zur Verfügung. Doch mit einem Mal wendet sich der Diskuswurf-Olympiasieger ab. Es passiert Wichtiges. Er winkt mit erhobenem Arm quer über die Wurfwiese an den halleschen Brandbergen. Sein Gruß gilt einem anderen Harting, seinem kleinen Bruder Christoph. Der startet - im Gegensatz zu ihm - bei den Werfertagen und wird gleich einen weiteren Diskus in den böigen Wind schicken. Und wie: 64,99 Meter, persönliche Bestleistung, nur 1,01 Meter unter der WM-Norm. Diese Weite reicht dem 23-Jährigen zum Sieg beim Traditions-Meeting. Denn Top-Favorit Martin Wierig aus Magdeburg zwickt es im Rücken. Dessen 63,17 Meter reichen nur zu Rang drei.
Robert Harting (28) ist also „total stolz“ auf seinen „Kleinen“, der ihn, den 2,01-Meter-Mann, sogar noch um zwei Zentimeter überragt. Und er freut sich über den neuen Konkurrenten, der aus der eigenen Familie kommt: „Endlich zeigt er in einem Wettkampf in etwa, was er drauf hat. Im Training geht es noch weiter. Diese Diskrepanz muss Christoph noch abstellen“, verrät Robert. Auf Weiten um 67,50 Meter hat Christoph Harting bei Trainingseinheiten in Berlin die Zwei-Kilo-Scheibe schon geschleudert. „Die WM-Norm hat er drauf. Es wäre klasse, wenn wir gemeinsam in Moskau starten könnten“, sagt der große Bruder.
Es deutet sich seit dem Sonnabend an, dass die Hartings in der Lage sind, die Diskuswurf-Szene so zu beherrschen wie die Klitschko-Brüder das Schwergewichtsboxen. Denn „endlich hat Christoph die Kurve gekriegt“, wie Werner Goldmann, der Trainer der beiden, verrät. „Beide sind ganz unterschiedliche Typen. Robert ist seit Jahren der ehrgeizigere und zielstrebigere im Training. Christoph brauchte eine Weile, um zu verinnerlichen, dass er seinen Sport ernsthaft betreiben muss, um etwas aus seinem Potenzial zu machen“, so Goldmann.
"Es ist für Christoph nicht unmöglich, auch einmal große Wettbewerbe zu gewinnen"
Für den Coach kommt die aktuelle Leistungsexplosion von Christoph, der in der Vorwoche in Wiesbaden mit 63,79 Metern schon Bestweite geworfen hatte, „nicht überraschend“. Doch jetzt Superstar Robert gefährden zu können, sei „nicht das Thema“. Allerdings: „Es ist für Christoph nicht unmöglich, auch einmal große Wettbewerbe zu gewinnen.“
Der Angesprochene freut sich derweil erst einmal über seinen Top-Wurf von Halle. „Es ist doch nicht ungewöhnlich, dass hier ein Harting gewinnt“, scherzt er. Beim Sieg von Robert im Vorjahr mit 70,31 Metern hatten ihn die Veranstalter noch in die B-Gruppe verbannt, weil ihnen seine Vorleistungen zu dürftig waren. Christoph Harting übertraf nur selten die 60-Meter-Marke. Jetzt aber hat er sich in die nationale Elite katapultiert. Und er kennt die Gründe dafür. „Früher ging es mir mehr um das schöne Leben. Ich war mit Freunden unterwegs, trank auch mal Alkohol oder saß am Computer“, erzählt Christoph Harting. Zugleich bedauert er, dass er vor den 2 000 Zuschauern noch an der WM-Norm gescheitert ist. „Es hätte ruhig noch ein Stück weiter gehen können. Ich habe mich heute richtig gut gefühlt.“
Dass er nun, da „der Knoten geplatzt ist“, zwangsläufig mit dem zweifachen Weltmeister und Olympiasieger aus der eigenen Familie verglichen wird, ist für ihn „kein Problem. Solche Vergleiche unter Brüdern sind im Sport Normalität. Und es ist doch großartig, mit so einem tollen Athleten, der alles gewonnen hat, was geht, verglichen zu werden“, meint Christoph Harting.
Im Gegensatz zu den Klitschko-Brüdern werden sich die Hartings auch gemeinsamen Ring-Duellen stellen. In Halle hat das nicht geklappt, weil die Veranstalter bei knappem Budget die Gagen-Forderung von Robert nicht erfüllen konnten. Er wäre gern mehr als nur Zuschauer gewesen. „Man muss mich aber bitte auch verstehen“, sagt Robert Harting. „Ich bin Olympiasieger, und da gibt es ein Mindest-Limit. Ich muss diese Linie auch einhalten.“ Hätte er den Hallensern aus alter Verbundenheit einen Freundschaftspreis gemacht, wäre er anderswo daran gemessen worden. Denn so etwas spricht sich rum.
Bruder Christoph füllt die Lücke an diesem Tag prächtig - und der ist ein Schnäppchen. Bislang noch.
