Lebensweg einer Hallenserin Lebensweg einer Hallenserin: Als Mann geboren zur Frau geworden

Halle (Saale) - „Ich habe schon mit drei oder vier Jahren gemerkt, dass bei mir irgendetwas nicht stimmt“, erzählt Doris Mandel. Sie trägt einen Silberring und dezente goldene Ohrringe. Die Haare sind zum Pferdeschwanz zurückgekämmt. „Mit Puppen habe ich nie gespielt. Das ist ein Klischee. Ich hab’ Fußball gespielt und mit Steinbaukästen.“ Und es sollte bis in die 90er Jahre dauern, bis sie ihre Entscheidung, kein Mann mehr zu sein, tatsächlich umsetzt. „Ich habe Jahre damit zugebracht, zu grübeln, um es zu verstehen. Selbst im Erwachsenenalter wusste ich ja noch nicht, was mit mir los ist“, erzählt die Frau, die einst Dirk Mandel hieß.
„Es macht das Leben kaputt“
Heute lebt sie in Halle, geboren wurde sie 1951 in Merseburg. Als Mann machte sie eine Berufsausbildung mit Abitur zum Chemiefacharbeiter, arbeitete in der Sauerstofffabrik der Leuna-Werke und absolvierte dann ein Studium der Germanistik, Musik und Pädagogik an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, wo sie auch ein Forschungsstudium begann. Dirk Mandel heiratete, bekam mit seiner Frau zwei Töchter, Zwillinge. Die Ehe geht in die Brüche. „Ich konnte meine Kinder elf Jahre lang nicht sehen. Das war sehr traurig“, erzählt Doris Mandel. „Und alles wegen dieses verdammten Mists.“ Natürlich sei das alles Mist. „Man sucht sich das doch nicht aus, dass man kein Mann, sondern eine Frau sein will. Das ist eine Identitätsstörung, und man verliert Freunde, Familie, Arbeit. Das ist dann alles weg.“ Diese schlimmen Zwänge, dass man jemand anderer sein muss, machen das Leben kaputt, wenn alles nicht rechtzeitig ausgelebt werden kann.
„Ich habe eine Zeit lang einen Riesenschnauzbart getragen. Der ging mir bis zum Kinn. Und ich habe Zigarren geraucht und viel Alkohol getrunken. Das war meine Maske. Dahinter habe ich mich versteckt.“ Das ganze Leben sei in so einer Situation ein einziges Versteckspiel. Man habe Angst, entdeckt zu werden. Man müsse sich verstellen, lügen. „Die größte Befreiung war für mich, als ich mich nicht mehr verstellen musste.“
„Ausgerechnet Doris“
Doris Mandel leitete seit 1980 den Kammerchor Leuna. „Mit einer Unterbrechung waren es insgesamt 20 Jahre. Und darauf bin ich sehr stolz“, lächelt die gebürtige Merseburgerin. Im Januar 1989 sei sie von der Gewerkschaft, die das Sagen über das Klubhaus Leuna hatte, rausgeworfen worden. Gleichzeitig wurde ihr Hausverbot erteilt. „Es habe Beschwerden gegeben, hieß es, dabei waren es ideologische Auseinandersetzungen.“ Mandel verließ also den Chor. Doch es gab im Kammerchor einige Leute, die in Leuna kirchlich sehr engagiert waren, und die holten sie 1990 zurück.
„Das war genau in der Phase meiner Veränderung. Bis 1989 hatte dort niemand etwas mitbekommen. Aber 1991, als dann die Namensänderung bevorstand, musste ich natürlich etwas sagen, und ich empfinde noch heute die größte Bewunderung und den größten Dank für die Männer und Frauen im Chor“, sagt Doris Mandel mit einem Nicken. Sie habe in einer Probe die ganze Sache erklärt, und bei der nächsten Probe hätten sie weitergearbeitet, als wäre nichts passiert. „Nur eine Sängerin hat gestöhnt, als die Frage kam, wie ich denn dann heißen werde, und ich sagte ,Doris‘.“ „Ausgerechnet Doris“, habe sie gemeint. Weil sie nämlich auch Doris hieß. „Als ich dann 1991 tatsächlich auch vor dem Gesetz Doris wurde, war ich erleichtert und glücklich“, erinnert sich die Merseburgerin, die zu der Zeit noch zwei Gutachten vor sich hatte, um auch die geschlechtsangleichende Operation machen lassen zu dürfen. „Ein Gutachter war ganz toll, das war ein Psychologe in Leipzig. Der zweite war offenbar völlig überfordert und wusste gar nicht so recht, was er eigentlich machen sollte. ‚Ist doch alles in Ordnung‘, sagte er, nachdem er mich körperlich untersucht hatte, was gar nicht seine Aufgabe war.“
Wie Doris Mandel aus ihrem Job als Redakteurin rausgemobbt wurde und was sie sich für die Zukunft wünscht, lesen Sie auf Seite 2.
1991 gründet Doris Mandel in Merseburg den „Merseburger Anzeiger“, zuerst war sie die einzige redaktionelle Mitarbeiterin. „Am Ende waren wir eine richtige kleine Redaktion mit sieben Leuten. Ich war die Chefredakteurin“, erzählt sie. Der Mann, der das Geld gab, hatte sie in dem Glauben kennengelernt, sie sei ein Mann. Mit der neuen Situation konnte er nicht umgehen. „Er verlangte sogar von mir, dass ich meinen Namen nicht ausschreiben sollte. Im Prinzip wurde ich dort rausgemobbt“, erinnert sich die heute 63-Jährige. Nach dem Rauswurf ist sie zunächst arbeitslos und arbeitet dann in Halle im Künstlerhaus 188.
Anfang der 90er Jahre steht Doris Mandel seit einem Jahr auf der Warteliste für ihre OP. Dann die Schreckensnachricht aus Leipzig: Die OP kann nicht stattfinden. Der Professor, nahezu der Einzige, der im Osten solche Operationen durchführte, habe einen Herzinfarkt erlitten. Man wisse nicht, ob und wann es weitergehe. „Man gab mir Adressen in München und in Hamburg. Doch das hätte bedeutet, ich hätte das ganze Prozedere noch mal von vorn durchmachen müssen.“ Doris Mandel schüttelt den Kopf. Das hätte sie nicht durchgestanden. „Ich war verzweifelt, habe nur noch apathisch zu Hause in einer Ecke gesessen. Im Frühjahr 1993 erlitt ich deshalb einen schweren Nervenzusammenbruch.“ Dann doch noch die gute Nachricht: Der Professor ist genesen. Sie kann operiert werden. „Und das passierte dann am 3. Juli 1993 in einer einzigen Operation. Ich war sehr glücklich.“ An diesem Glücksgefühl hat sich bis heute nichts geändert. „Die Entscheidung war richtig. Ich würde es immer wieder so machen.“
„Auf Weibchen gemacht“
„Ich hatte dann ein Phase, in der ich es wie viele Transsexuelle etwas übertrieben habe. Ich habe mich geschminkt, trug viel Schmuck, hab sehr auf Weibchen gemacht. Manchmal sah das ganz niedlich aus. Ich trug Röcke und High Heels, bei denen die Absätze etwas höher waren, als bei anderen Frauen.“ Im Jahr 2000/2001 dann der Schnitt. „Ich hab mich nicht mehr geschminkt. Meine Nachbarin war erschrocken, weil sie mich nicht mehr erkannt hat“, schmunzelt sie. Sie habe nur noch Hosen getragen und etwa zehn Jahre wenig Wert auf ihr Äußeres gelegt.
Männer und Frauen - was sagt sie dazu? „Ich habe Männer kennengelernt, die sehr wohl Verständnis für Frauen hatten. Ich war mal mit einem Mann zusammen, der war zwar ein Riesen-Macho, aber trotzdem der liebste Mensch der Welt.“ Das liege wohl an den Erwartungen der Gesellschaft, dass Männer häufig überfordert sind. „Es gibt nur Macho oder Weichei.“ Sie sei aber andererseits auch von Frauen aufs Schlimmste gemobbt worden. „Ich würde mir wünschen, dass die Menschen mit Transsexualität oder überhaupt dem Anderssein viel entspannter umgehen würden. Das wäre schon toll. Revolutionär wäre, wenn man zwischen den Geschlechtern leben könnte.“
Das Traumtänzerische sei, dass man, wenn man transsexuell oder besser transgender sei, als das neue Geschöpf gesehen werden will, das man ist.