1. MZ.de
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Halle
  6. >
  7. Leben mit einer gemarterten Seele

Leben mit einer gemarterten Seele

Von Martina Springer 05.09.2008, 18:53

Halle/MZ. - Aber es ist wohl seine einzige Chance zu lernen, mit dem Erlebten und Erduldeten umzugehen. Er sagt rückblickend und aus der eigenen Erfahrung heraus: "Wenn Opfer über ihr Leid nicht sprechen können, zerbrechen sie."

In der Gedenkstätte Roter Ochse liest Norbert Denef am Freitagabend aus seinem Buch "Ich wurde sexuell missbraucht". Auch wenn die Lesungen für ihn mittlerweile keine Besonderheit mehr sind - dieser Veranstaltungsort ist es schon. Denef hat als Jugendlicher eine bedrückende Zeit im Roten Ochsen verbringen müssen - und zitiert nun erstmals Sätze aus diesem bislang letzten Kapitel seines Buches.

Im Juli 1966 saß er in dem Gefängnis in Halle mehrere Wochen in Einzelhaft, weil er als Lehrling bei der früheren Deutschen Reichsbahn "Diebstahl am Volkseigentum" begangen hatte. Erst Jahrzehnte später, um Erfahrungen reicher und nach Aufarbeitung seiner Stasi-Akten vermochte er eine Verbindung zu erkennen zu dem, was ihm als Kind und Jugendlicher angetan wurde von einem Pfarrer und einem Kirchenangestellten. "Erst als ich in der Lage war, über den sexuellen Missbrauch zu sprechen, habe ich auch Zusammenhänge mit meiner Tat erkannt." Er habe Aufmerksamkeit und die Zuneigung eines bestimmten Menschen erringen wollen.

Norbert Denef erhielt als erstes bekanntes Missbrauchsopfer in Deutschland von der Katholischen Kirche eine Abfindung in Höhe von 25 000 Euro - unter einer Bedingung: Er sollte sich verpflichten, über seine schrecklichen Erlebnisse weiter zu schweigen. Doch er hielt sich ganz bewusst nicht daran. Mit seinem Buch will er die Gesellschaft für das Thema sensibilisieren und Betroffene motivieren, ihr Schweigen zu brechen. So wie er es getan hat.