Kunstmuseum Moritzburg Halle Kunstmuseum Moritzburg Halle: Die erste Küchen-Wunderdose der Welt

Halle (Saale) - Was praktisch ist, muss nicht zwingend hässlich sein. Diesen Satz, der heutzutage so selbstverständlich wie leider auch notwendig ist, hätte in vergangenen Zeitaltern höchste Verwunderung ausgelöst. Hässlich - wieso? Waren doch über Jahrhunderte, ja Jahrtausende hinweg gerade auch Dinge des täglichen Lebens in einer an Alltagsgegenständen viel dürftiger ausgestatteten Welt geradezu ein Spielfeld der Kreativen und Ästheten, die damals aber eher nicht so hießen.
Und auch vor hundert Jahren - oder sagen wir in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts erlebte das Zusammenspiel von Kunst und Kunsthandwerk im zunehmenden Zusammenspiel mit technischer Tüftelei noch einen spürbaren Aufschwung.
Neue Schau im Kunstmuseum Moritzburg in Halle mit dem Titel „Die andere Moderne“
„Design“ sollte dieses Rendezvous von Stil und Funktionalität - oder dessen Ergebnis - bald schon heißen. Und klassisches Design heißt es aus heutiger Sicht - das etwa, was die Moritzburg Halle in ihrer neuen Ausstellung einem möglicherweise auch mal ganz anderen als nur dem üblichen Kunstpublikum zu zeigen hat.
„Die andere Moderne“ nennt sie die Präsentation, die - begleitend zu der am 18. März beginnenden großen Jawlensky/Rouault-Schau namens „Sehen mit geschlossenen Augen“ - auch etliche noch nie gezeigte Stücke aus der Moritzburg-Sammlung vorstellt: Zeitlich korrespondierend mit der Hauptschau natürlich.
Moritzburg Halle: Kurator Ulf Dräger hat eine höchst spannende Querbeet-Präsentation aufgebaut
Just auf jener Fläche, die bis vor kurzem mit der leicht variierten „Sammlung Gerlinger“-Dauerschau bespielt wurde, hat Kurator Ulf Dräger nun eine höchst spannende Querbeet-Präsentation aufgebaut. Sie zeigt Künstler als Gestalter und damit ein ungeheures Kreativ-Potenzial und einen aus heutiger Sicht unfassbaren Schönheitswillen für alle Lebensbereiche.
„Kunsthandwerk zwischen Expressivität und Sachlichkeit“ lautet der Untertitel der Ausstellung, in der auch hallesche Meister vertreten sind, wie Gustav Weidanz und Gerhard Marcks, dessen enorme Wirkungsbreite in dieser Schau zu bewundern ist. Sie reicht von einem Relief für den Flughafen Halle/Leipzig bis hin zu Porzellangeschirr.
Kunstmuseum Moritzburg Halle: Entwürfe für Geschirr gibt es sogar von Wassily Kandinsky
Entwürfe für Geschirr gibt es sogar von Wassily Kandinsky zu sehen. Die, meint Dräger, müssen den zahlreichen Fahndern nach „Entarteter Kunst“ in den Hitler-Jahren wohl entgangen sein, so dass sie sich später unbehelligt in den Beständen wiederfanden.
Überhaupt gibt die Schau erneut auch einen Eindruck davon, welch unglaubliches Potenzial es bis in die 1930 Jahre hinein hierzulande gegeben hat. „Vor der Nazi-Zeit waren deutsche Designer weltweit noch ganz vorn“, sagt Dräger und ergänzt, dass es diese Meister, die meist emigrieren mussten, deshalb später in den USA oder anderswo oft leicht hatten, an ihr Werk anzuknüpfen.
Neue Ausstellung in Halle: Moritzburg-Schau zeigt ein System von Wunderdosen aus Glas
Doch etliche sind auch in Deutschland geblieben, wie etwa der Bauhausschüler Wilhelm Wagenfeld. Die Moritzburg-Schau zeigt von ihm nun ein System von Wunderdosen aus Glas, die er im Jahr 1938 entwickelte - wohl haarscharf vor den amerikanischen Kunststoff-Dosen eines gewissen Earl Silas Tupper, der seine Tupperware-Firma just im selben Jahr gegründet hatte.
Freilich hatten und haben die Glasdosen von Wagenfeld zahlreiche Vorteile. Sie sind weitaus formschöner und im Dutzend als System stapelbar. Und sie waren als „Kubus“ - wie das System heißt - millimetergenau auf die Kühlschränke ihrer Zeit angepasst. Zudem ist Glas von Lebensmitteln ja chemisch nicht angreifbar. Und perfekt designte „Eingriffe“ an den Dosen und Kannen gestalten das System unübertrefflich praktisch.
Doch während mit den Tupper-Produkten heute Jahresumsätze von mehr als zwei Milliarden Dollar erzielt werden, gibt es Wagenfelds formschöne Wunderdosen heute nur noch museal. Oder darf man sagen „bislang nur“? (mz)