Jahrzehntelang vergessen Kinderleichen von Halle (Saale): Bewegender Abschied von namenlosen Kindern auf dem Gertraudenfrriedhof
Halle (Saale) - Gleich hinter der Feierhalle auf dem Gertraudenfriedhof liegt die Ehrengrabstätte des Anatomischen Instituts der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, auf einer Wiese kündet eine steinerne Stele mit den Worten „Im Dienste des Lebens“ von der besonderen Grabstelle. Dort haben nun nach vielen Jahrzehnten 74 konservierte Kinderleichen ihre letzte Ruhe gefunden.
Mit der Bestattung der vor mehr als 80 Jahren in Konservierung gebrachten Leichname ist nun ein sensibles Kapitel in der langen Geschichte des Instituts für Anatomie und Zellbiologie würdevoll geschlossen worden.
Kinderleichen von Halle (Saale): Bestattung im Kerzenschein und mit Musik
Bei strahlendem Sonnenschein und blauem Himmel wurden die toten Kinder an diesem Donnerstagnachmittag auf ihrem letzten Weg von Professorinnen und Professoren sowie von Beschäftigten des Instituts und der Fakultät, dem Dekan und von Studierenden begleitet.
Im Kerzenschein und unter musikalischer Begleitung eines eigens für das Begräbnis zusammengefundenen Chores aus Mitarbeitern des Instituts sowie von Musikern des Akademischen Orchesters der Medizinischen Fakultät fand die Trauerfeier in der Feierhalle statt.
Kinderleichen von Halle (Saale): „...nicht gekannt und die uns dennoch vertraut“
Man nehme an diesem Tage Abschied von „74 kleinen Menschen, die wir nicht gekannt haben und die uns dennoch vertraut sind“, so Klinikseelsorgerin Konstanze Hamann. Das Schicksal der „Kleinen“ - Frühgeborene, Säuglinge und auch einige ältere Kinder, die zwischen 1920 und 1945 an das Institut gekommen waren und dort Jahrzehnte in Gefäßen im Keller lagerten - habe viele bewegt. So haben die Institutsmitarbeiter eine Trauerkerze mit 74 Sternen angefertigt, dazu wurden 74 Teelichter zum Gedenken angezündet.
Diese Schicksale stecken hinter den Kinderleichen von Halle (Saale)
Doktorand Frederik Winter, der in seiner Doktorarbeit die Geschichte der Kinder aufgearbeitet hatte, ging in seiner Trauerrede noch einmal auf ihr Schicksal ein. Es habe sich um Früh- und Totgeburten, Säuglinge, die noch im ersten Lebensjahr verstarben oder solche mit schweren Fehlbildungen gehandelt.
Einige ältere Kinder seien an Infektionen gestorben, deren Behandlung Anfang des 20. Jahrhunderts noch nicht möglich gewesen sei. „Deren Schicksal zu ergründen, ist immer das oberste Ziel unserer Arbeit gewesen“, sagte Winter.
Kinderleichen von Halle (Saale): Angehörige wurden nicht gefunden
Die Mitarbeiter um Institutsleiterin Heike Kielstein sind bei ihren Forschungsarbeiten mit sehr viel Empathie mit dem emotionalen Thema, aber auch mit den Kindern selbst umgegangen, auch wurden Angehörige gesucht, aber nicht gefunden. Es sei nun, so Winter, ein „tröstlicher Gedanke“, dass die Kinder aus der Konservierung des Instituts nun endlich eine würdevolle Ruhestätte erhalten hätten.
Ein großer, heller Stein, gestiftet von der Friedhofsverwaltung, erinnert nun an die 74 verstorbenen Kinder mit einem Zitat von Antoine de Saint-Exupéry: „Die großen Leute verstehen nie etwas von selbst. Und für die Kinder ist es zu anstrengend, immer und immer wieder alles erklären zu müssen.“ (mz)