Kampfmittelräumdienst Kampfmittelräumdienst: 36 Jahre und ein Unfall als Bombenentschärfer

Halle/MZ - An der Wand des Büros hängt ein mit Tesafilm befestigter Zeitungsartikel, der nicht so recht ins Bild passen will. Denn daneben sind ausschließlich akkurat gerahmte Urkunden für erfolgreich abgeschlossene Lehrgänge im Entschärfen von Bomben zu sehen. „Diese Männer starben, als der Blindgänger explodierte“, steht als Schlagzeile über dem Artikel. Das war 2010, als niedersächsische Sprengmeister in Göttingen einen Blindgänger entschärfen wollten. Für Sprengmeister Hans-Werner Schwabe hat der Zeitungsausschnitt eine besondere Bedeutung: „Das ist eine stete Mahnung.“
Dabei gehört der 59-Jährige zu den erfahrensten Bombenentschärfern beim Kampfmittelräumdienst in Sachsen-Anhalt. 1977 begann er als Munitionsarbeiter und Kraftfahrer, arbeitete sich hoch und wurde 2003 Sprengmeister, zuständig für die Region Halle, Saale- und Burgenlandkreis. 38 Bomben hat er selber entschärft. Jetzt steht er kurz vor seinem Karriereende, Anfang August wird er pensioniert.
Damit ist Schwabe Teil des Generationswechsels, der derzeit läuft. Von elf Truppführern gehen oder gingen in zwei Jahren vier in Rente. Auf die Frage, was ein guter Bombenentschärfer vor allem braucht, antwortet Schwabe wie aus der Pistole geschossen: „Erfahrung ist immens wichtig“. Um das zu untermauern, holt er aus dem Regal in seinem kleinen Büro einen dicken Ordner und knallt ihn auf den Tisch. Darin sind die Baupläne aller Granaten und Bomben der Deutschen, Amerikaner, Briten und Russen aus dem Zweiten Weltkrieg. „Das müssen sie alles exakt kennen“, sagt Schwabe. Denn trotz aller Routine hat er am eigenen Leib zu spüren bekommen, wie gefährlich sein Job ist.
Im vergangenen Jahr war er mit dem Chef des Kampfmittelräumdienstes, Torsten Kresse, in Magdeburg bei einer Baustofffirma. Als Arbeiter im angelieferten Boden buddelten, stieg plötzlich heftiger Qualm auf. „Die haben das schnell wieder zugeschüttet und uns gerufen.“ Zusammen mit Kresse legte Schwabe eine Phosphorgranate frei. „Die fing sofort wieder wie verrückt an zu qualmen.“ Beide entfernten sich von der Granate und beratschlagten, wie sie weiter vorgehen sollten. „Plötzlich gab es einen mörderischen Knall und das ganze Zeug flog zu uns rüber“, erzählt Schwabe. Er bekam das gesamte Phosphor ab.
Schwabe erlitt Brandverletzungen an einem Ohr, an seinen Haaren und seinen Fingern. Er musste ins Krankenhaus eingeliefert werden, denn das Gift frisst sich in die Haut und wird nicht vom Körper abgebaut. „Die mussten das Zeug rausbürsten, das war extrem schmerzhaft.“ Es ist Schwabes einziger Unfall in seinen 36 Jahren beim Kampfmittelräumdienst.
„Natürlich geht uns mit solchen Abgängen Wissen verloren“, sagt Torsten Kresse. Zwar verfügen die neuen Truppführer schon über Erfahrung, haben Bomben transportiert, bei den Entschärfungen geholfen. Aber selbst ran dürfen nur diejenigen, die auch die theoretische Ausbildung zum Sprengmeister absolviert haben. Die dauert rund ein halbes Jahr. „Aber es ist etwas ganz anderes, die Bombe in konkreten Auffindsituation zu sehen“, sagt der Leiter.
Deswegen häufen sich derzeit die „Bomben-Premieren“ in Sachsen-Anhalt. Denn sobald eine gefunden wird, soll sich einer der neuen Truppführer an die Entschärfung machen, um Erfahrungen zu sammeln. Unter Aufsicht und Anleitung eines alteingesessenen Sprengmeisters.
„Als Truppführer muss man bereit sein, in ganz Sachsen-Anhalt rumzureisen“, sagt Schwabe. Bei der unter Umständen letzten Bombe seiner Karriere in Krumpa (Saalekreis) vor rund zwei Monaten reiste sein neuer Kollege Ingo Wiedemann vom Sprengplatz in Hottendorf (Altmark) für seine erste Entschärfung an. Die erste eigene Bombe ist immer etwas besonderes. Schwabes Premiere war am 5. März 2003 in Tuchheim (Jerichower Land). Der Zünder steht immer noch auf seinem Schreibtisch. Als Erinnerung und als Lehrmaterial. „Ich kenne keinen Entschärfer, der den ersten eigenen Zünder nicht aufbewahrt“, sagt er.
Die praktische Ausbildung der Truppführer ist derzeit ein wenig schwieriger. Im vergangenen Jahr wurden nur 87 Tonnen Munition statt 550 Tonnen im Jahr 2011 gefunden. Deswegen ist der Kampfmittelräumdienst derzeit über jede Bombe froh, um die neuen Truppführer richtig an die Praxis heranführen zu können.
Schwabe weiß selbst, wie wichtig die Erfahrungen der alten Sprengmeister sind. Auf seinem Schreibtisch steht eine sogenannte Souvenirgranate aus dem Ersten Weltkrieg, die auf einem Dachboden gefunden wurde. „Ich wusste mit dem Zünder absolut nichts anzufangen.“ Also hat er einen pensionierten Kollegen gefragt, der beim ersten Blick nur grinste und den Zünder nach unten zog. Es war ein Zigarrenschneider. „Die Soldaten haben aus Frankreich leere Granaten als Andenken mitgenommen“, erzählt Schwabe.
Für ihn wird die Zeit nach der Pensionierung sicher nicht einfach. „Ich habe die Arbeit sehr gerne gemacht. Ich würde immer wieder den Beruf wählen, auch wenn er gefährlich ist.“ Er kennt Kollegen, die in den ersten zwei Jahren im Ruhestand nur auf einen Anruf ihrer alten Dienststelle gewartet haben.
Zumindest seine Frau und seine Mutter werden aufatmen, wenn er endlich zu Hause ist. „Wenn die hören, dass es eine Bombe in meinem Bereich gibt, sind sie erst beruhigt, wenn ich mich gemeldet habe.“ Demnächst wird sich der begeisterte Jäger nur noch in seinem gepachteten Jagdrevier bewegen. Und dennoch aufmerksam die Radionachrichten verfolgen. „Wenn ich höre, dass eine Bombe gefunden wurde, werde ich sicher unruhig.“