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Jubiläum Jubiläum: Die Welt in der Scheune

Von MARLENE KÖHLER 23.09.2011, 17:29

Halle (Saale)/MZ. - Am Anfang war da nur die verfallene Zwiebelhalle von 1912. Ein weites Feld mit Ruinen und verrosteten Mähdreschern, sonst nichts. Woher sie wohl diesen Mut nahmen 1991, Monika Häder, die promovierte Historikerin, und Harry Häder, der studierte Automatisierungstechniker?

In den Achtzigern hatte er noch drei Jahre Parteihochschule absolviert, zur Wendezeit für die SED-Kreisleitung Saalkreis mit am Runden Tisch gesessen. "Damit konnten wir nichts mehr anfangen", sagt Harry Häder. "Wir wollten nie mehr abhängig sein."

So begann das Abenteuer Keramikscheune, die Piratenzeit der Unternehmer in spe. Sie haben "einfach gemacht", sagt Monika Häder, anfangs ohne Strom und Wasser, nur vom Dach tropfte es ab und zu. Haben mit Freunden Regale gebaut und die Keramik reingestellt, mit der sie zuvor über die Märkte gezogen waren.

Der Verkauf an einem festen Ort konnte beginnen. Nur: Wo und wie kommen die Kunden her? Zwar braust fünfzig Meter von hier der Verkehr auf der B 100 zwischen Halle und Bitterfeld, doch wer würde an der Kreuzung nach Spickendorf zur provisorischen Herberge für Bodenvasen, Übertöpfe und Geschirr abbiegen? Aktionstage hieß das Zauberwort, da wurde getöpfert und gebastelt, und immer mehr Menschen kamen, und bald reichte der Raum nicht mehr.

Längst wird hier mehr als Keramik und Porzellan verkauft, ein Ausflugsziel ist entstanden. Es gibt eine Floristik-Abteilung, eine Vinothek, die Galerie - hier wird gerade, wie jedes Jahr von August bis Dezember, die Weihnachtsausstellung präsentiert. Es gibt den Vorbau im Fachwerkstil mit seinen Orchideenausstellungen, zu denen Menschen von weither kommen.

Die Floristin Janine Schreiber ist inzwischen eine wahre Orchideen-Expertin. Mit Alexandra Häder, der Tochter der Eigentümer, die das Unternehmen später einmal übernehmen wird, war sie in diesem Frühjahr im Dschungel von Laos und Thailand unterwegs. Während der Jubiläumsfeierlichkeiten werden die jungen Frauen ihre Erlebnisse "Auf den Spuren seltener Orchideen" darbieten.

Zu einem mediterranen Garten mit Palmen, Kakteen, Brunnen und Figuren ist das Außengelände geworden. Noch 2001 hätte das niemand geglaubt, 64 Lkw-Ladungen voller Schrott und Müll mussten abgefahren werden. Monika Häder erinnert sich, wie im Jahr 2000 die ersten Reisebusse ankamen. "Wir waren erschrocken, die waren gar nicht angemeldet, und wir hatten doch noch keine Gaststätte." Es gab nur den Kuchen, den die Chefin jeden Tag gebacken hat. Auf einem großen Teller stand er auf der Kaffeetafel mitten im Verkaufsraum, daneben eine Sammelbüchse. Wer wollte, tat etwas rein, die Keramikscheune unterstützt mit dem Geld seit 20 Jahren Patenkinder in Indien, Equador, Malawi und auf den Philippinen.

Der wachsende Besucherandrang aber verlangte nach einem Restaurant, und so wurde Harry Häder 2003 zum Bauleiter für die "Bauernschänke". 2004 im ehemaligen Pferdestall mit 80 Plätzen eröffnet, wurde sie bald schon wieder zu klein; 120 Plätze kamen im Bauerngarten dazu. 2005 wurde der alte Kuhstall zum Gutsherrensaal ausgebaut, 200 Personen können hier Feste feiern, auch thematische Veranstaltungen finden statt.

Jetzt zum 20. Geburtstag - er wird vom 1. bis 9. Oktober mit Kunden, Freunden und Geschäftspartnern gefeiert - ist allerhand geplant, ein Oktoberfest und böhmische Blasmusik zum Beispiel, eine Weinpräsentation; Handwerker, Porzellanmaler und Glasschleifer zeigen ihre Kunst, eine Reptilienbörse gibt es und das Glücksrad wird sich die gesamte Zeit zugunsten des MZ-Vereins "Wir helfen" drehen, den die Häders seit vielen Jahren umfangreich unterstützen.

Mehrmals werden "Geschichten rund um den gedeckten Tisch" erzählt, sie führen zurück zu den Wurzeln, zu Keramik und Porzellan. Mal wird für eine "Hochzeit in Marokko" eingedeckt, mal für ein "Sommerfest in der Toskana". Und während die Mitarbeiter die Tische decken, spricht Monika Häder über Land und Leute. Die einst zur Qualifizierung des Personals gedachte Aktion ist zu einer festen Reihe in der Keramikscheune geworden und wurde Anfang September sogar zur Messe Le Gourmet in Leipzig eingeladen.

Beim Stichwort Gourmet gerät Monika Häder ins Schwärmen. Nicht nur, dass sie neben der Vinothek noch mehr Delikatessen als bisher anbieten möchte, sie würde auch gern mehr experimentieren. Viermal im Jahr hat sie schon jetzt die Gelegenheit, wenn die Keramikscheune zum Gourmetabend lädt. Beim Sechs-Gänge-Menü geht es dann per Multimediaschau zu den Traumzielen der Häders, denn Reisen und Fotografieren sind ihre Hobbys. Am 18. November steht die Reise unter dem Motto "Tausend und eine Nacht" und führt von Casablanca nach Marrakesch.

So viel Einfallsreichtum wurde mit zahlreichen Unternehmer- und Innovationspreisen belohnt. Das alles gehe nur, weil sich ihre Mitarbeiter - inzwischen sind es 30 einschließlich sechs Azubis - voll einbringen, sagen die Häders. Familiär gehe es zu in der Keramikscheune, heißt es. Im Gegensatz zum Fach- und Einzelhandel, der rückläufige Umsätze beim Porzellan- und Keramikverkauf meldet, können die Spickendorfer nicht klagen. Ihre Aktionstage aus den Gründerzeiten haben sie beibehalten. Da laden sie Hersteller oder Handwerker ein, machen die Kunden neugierig auf Artikel von fast 300 Produzenten aus aller Welt.