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In Halle laufen die Fäden zusammen In Halle laufen die Fäden zusammen: Idealisten wollen das Fettschwanzschaf retten

Von Sabrina Gorges 20.04.2016, 06:13
Landwirtin Ramona Gaudian hält ein Lamm der gefährdeten und in Deutschland vom Aussterben bedrohten Rasse Karakul auf dem Arm.
Landwirtin Ramona Gaudian hält ein Lamm der gefährdeten und in Deutschland vom Aussterben bedrohten Rasse Karakul auf dem Arm. dpa-Zentralbild

Gardelegen/Halle (Saale) - Hagerer Körper, zotteliges Fell, gedrehte Hörner und freundliches Gemüt: Das Karakulschaf gehört zu den ältesten Haustierrassen der Welt - und ist in Deutschland vom Aussterben bedroht. Zur Bockschau auf der diesjährigen Grünen Woche in Berlin präsentierten Stefan und Ramona Gaudian aus Gardelegen das seltene Tier. Auf die Frage „Was wollt ihr denn damit?“ sagt das Paar: „Es braucht eben Verrückte wie uns, um das deutsche Karakul zu retten.“

Für die Erhaltung des kleinen Bestands des urtümlichen und gut 4.500 Jahre alten Steppenschafs mit Fettschwanz laufen in Halle in Sachsen-Anhalt die Fäden zusammen. Die unter dem Dach des Landesschafzuchtverbands tätige Arbeitsgemeinschaft Deutscher Karakulzüchter ist klein - sehr klein. Zur Versammlung passen alle in das Büro von Zuchtleiter Hans-Jörg Rösler, der auch Verbandsgeschäftsführer ist.

„Aktuell stehen an sieben Standorten in Deutschland Karakuls“, sagt Rösler. „Ende 2015 wies die Statistik 253 Mutterschafe aus, 15 Jahre zuvor waren es gerade einmal 99.“ Zum Vergleich: Vom weit verbreiteten Merinofleischschaf gab es Ende des Vorjahres allein in Sachsen-Anhalt 5319 Muttertiere.

Bundesweite Statistik wird in Halle geführt

Die bundesweite Karakul-Statistik wird in Halle geführt. 2015 war das Karakul die „Gefährdete Nutztierrasse des Jahres“. Rösler sagt, wer Karakuls züchtet, sei ein verrückter Idealist. „Geld verdient man keins.“ Das Durchschnittsalter der Züchter sei hoch, jeder brauche den anderen, so der Zuchtleiter.

Auch die Gaudians wissen, was sie da für Besonderheiten auf der Wiese am Stadtrand von Gardelegen stehen haben - und dass sie den Altersdurchschnitt bei den Züchtern nach unten drücken. „Das Karakul ist der Exot unter den Exoten“, sagt der 41 Jahre alte Stefan Gaudian, der in der Schäferei seines Vaters Joachim arbeitet. Der war es auch, der 2012 die ersten Karakuls nach Gardelegen holte.

Zur Schäferei Gaudian gehören rund 950 Schafe - graue gehörnte Heidschnucken und Schwarzköpfe. Damit wird Geld verdient, die Karakuls sind Hobby. Momentan grasen sechs Muttertiere und drei Böcke auf dem Areal. Nachwuchs ist auch schon da: drei gelockte, pechschwarze Lämmer springen umher, darunter Zwillinge. „Die ersten in unserem Herdbuch“, sagt Züchter Gaudian. In Kürze wird weiterer Nachwuchs erwartet. Weil das Karakul so selten ist, ist die Dokumentation der Nachzucht aufwendiger als sonst. „Jedes Lamm muss bis zum dritten Tag fotografiert werden“, sagt die studierte Landwirtin Ramona Gaudian (31).

Dass sich das alles in Halle konzentriert, hat historische Gründe. Die Saalestadt gilt als Keimzelle deutscher Karakulzucht. Julius Kühn (1825-1910), Direktor des Landwirtschaftlichen Instituts der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, führte die Rasse 1903 erstmals ein. Sie stammt ursprünglich aus Zentralasien.

Robustes Schaf aus der Mode gekommen

Kühns Reinzucht erlangte Weltruhm. 2012 löste man den Uni-Bestand mit 200 Karakuls auf und verteilte einen Teil der Tiere unter der Aufsicht der Gesellschaft zur Erhaltung alter und gefährdeter Haustierrassen in Deutschland - auch die Gaudians kamen so zum Karakulschaf.

Früher bedeuteten Karakuls vor allem eins: hochwertiges Lammfell. „Frisch geborene Lämmer haben die einmalige Karakullocke“, sagt Rösler. Eine Besonderheit, die damals Züchter anspornte, die Pelzindustrie ankurbelte und Tierschützer erzürnte. Denn weil sich das Fell der Lämmer schon drei Tage nach der Geburt glättet, müssen die Kleinen ganz früh geschlachtet werden - wenn man aus dem Fell beispielsweise einen Mantel machen will.

Mittlerweile ist das robuste Schaf aus der Mode gekommen. Kaum noch jemand frage Karakullammfell, auch Persianer genannt, nach. „Das ist kein Thema mehr“, sagt Rösler. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs brach der Tierbestand in Deutschland fast vollständig zusammen. Lediglich den Aktivitäten der wenigen Züchter und der Universität Halle ist es zu verdanken, dass es das Karakul noch gibt. (dpa)