Immer samstags auf Tour
Halle/MZ. - Zumal es dem promovierten Chemiker obliegt, mit zwei, drei Mitstreitern die Touren von bis zu 25 Kilometern auf Gruppentauglichkeit zu testen. Doch jetzt gilt die Aufmerksamkeit einem besonderen Ereignis - der Verein wird 100 Jahre alt, ist damit bundesweit einer der ältesten.
Und das wird am Sonntag gebührend gefeiert mit einem Sommerfest. Dieser Tag ist zwar nicht der Gründungstag. "Wir gehen vom 1. November aus", wie Vereinsvorsitzender Kurt Bondiek sagt. Verbürgt ist das nicht: "Wir wissen noch recht wenig über unsere Geschichte." Deshalb soll jetzt eine Chronik vor allem mit privaten Erinnerungen und Dokumenten angefertigt werden. Fest steht, dass die politisch links ausgerichtete Naturfreunde-Bewegung 1895 in Wien ihren Anfang nahm und 1908 in Halle aufgegriffen wurde. Dahinter steckte das Bestreben, Arbeiterfamilien aus den Mietskasernen zu holen, damit sie in freier Natur gesellig beisammen sein konnten. Der erste Obmann, Paul Kohl, war ein Arbeiter aus Kröllwitz.
Gewandert wurde meist in der näheren Umgebung. Einer, der sich an die frühen Jahre gut erinnern kann, ist der 88-jährige Kurt Berger. Er gehört dem Verein seit 1928 an und schwärmt noch heute von Ausflügen zum Petersberg. 1932 - da waren es schon gut 500 Mitglieder - baute der Verein in Böllberg ein Bootshaus, weil ihm Kanuten angehörten. Außerdem gab es Kinder- und Jugendgruppen, Foto-, Turner-, Volkstanz- und Gesangszirkel und eine Esperanto-Gruppe.
1933 lösten die Nazis die Naturfreunde-Bewegung wie überall in Deutschland auf, beschlagnahmten ihr Eigentum. 1945 gab es einen Neuanfang; bald jedoch ordnete man die Mitglieder Betriebssportgemeinschaften zu. 1991 kam es mit Hilfe der Karlsruher Naturfreunde zur Neugründung. Heute sind im Verein 120 Mitglieder, viele "jüngere Alte", so Jörg Bleichert.
Und die sind sehr aktiv. Allein in diesem Jahr stehen 69 Wanderungen auf dem Programm. Meist geht es samstags auf Tour, dann treffen sich die Wanderer, den Rucksack auf dem Rücken, frühmorgens auf dem Hauptbahnhof, um auszuschwärmen - mal in den Harz, mal ins Leipziger Land oder nach Thüringen. Der 71-jährige Kurt Bondiek, früher Ingenieur in den Burger Bekleidungswerken, hat alles genau aufgelistet. "Die Ausflugs-Vorschläge kommen von den Mitgliedern", ergänzt Bleichert. Da sei es manchmal schwer, allen Wünschen nachzukommen: "Das Jahr hat nun mal nur 52 Wochen."
In der Natur sein und unter Leuten, das veranlasse so manchen, samstags die Wanderschuhe anzuziehen. Gäbe es mehr jüngere Leute oder gar Familien im Verein, könnten wir wieder eine Kinder- und Jugendgruppen gründen, so Bleichert. Gefeiert wird übrigens im Bootshaus, auch wenn es dem Verein nicht mehr gehört: "Wir dürfen es aber trotzdem nutzen."