Nach Katastrophe im Himalaya Hilfe geht durch den Magen: Paar aus Halle unterstützt seine nepalesischen Retter

Halle (Saale) - Die roten, heiligen Fäden tragen Peter und Beatrix Reichert noch immer um ihren Hals. Ein buddhistischer Mönch hat ihnen die „Sai Sin“-Ketten vor einem Jahr in Nepal geschenkt. Kurz bevor das schwere Erdbeben die Region um Kathmandu verwüstet und fast 9.000 Menschen das Leben nimmt. „Wir legen die Ketten nicht mehr ab, sie beschützen uns“, sagt Peter Reichert. Er und seine Frau sind während der Katastrophe nur wenige hundert Meter vom Epizentrum entfernt.
Der Jahrestag des Bebens, der 25. April, ist für sie etwas Besonderes. Sie haben in ihr Restaurant zu einem Vortrag über die Reise eingeladen. Das Lokal „Mamaghar“ in Halle, was übersetzt „Onkels Haus“ bedeutet, gibt es nur aus einem Grund: Um die, die ihnen damals in Nepal halfen, durch die Einnahmen beim Aufbau zu unterstützen.
Der Hölle entkommen
Etwa zweimal die Woche schreibt Peter Reichert den fünf Männern, die die Trekking-Tour begleiteten. Ein Foto der Gruppe, inmitten von Trümmern, steht auf dem Tresen. „Wir haben ihnen unser Leben zu verdanken, nur durch sie entkamen wir der Hölle“, sagt er.
Was diese Hölle bedeutet, ist für Außenstehende kaum vorstellbar. Beatrix Reichert hat Tränen in den Augen, wenn ihr Mann davon spricht. Später, während des Vortrags, wird sie in einen Nebenraum flüchten, weil sie die Bilder nicht ertragen kann. Für ihn ist es hingegen eine Art Therapie. „Mir tut es gut, darüber zu reden“, sagt er.
Peter Reichert erzählt von herabstürzenden Felsen, die Menschen unter sich begraben. Von Häuserteilen, die wie bei einer Explosion umherfliegen. Von festem Boden, der sich durch das Beben anfühlt wie Wackelpudding. Von vier schlaflosen Nächten im Zelt, weil bei jedem Grollen Panik ausbricht. Aber auch von der Hilfsbereitschaft, die die Eheleute von den Fremden erfahren haben. Der 55-jährige IT-Unternehmer und die 52 Jahre alte Krankenkassenangestellte aus Halle, die lediglich einen ihrer vielen Abenteuerurlaube machen wollten.
Geld versickert - Staat ist korrupt
Die Freunde in Nepal haben diese Woche Zahlen für den Vortrag geschickt. 770.000 Häuser zerstörte das Erdbeben, die Regierung versprach jedem Haushalt 1.700 Euro. „Aber erst 641 haben Geld bekommen“, erzählt Reichert. Warum das so ist? Weil internationale Fördermittel nicht abgerufen werden. „Und weil vieles versickert, der Staat ist korrupt“, sagt er. „Das macht private Hilfen umso wichtiger.“
Das Mamaghar - Holzfußboden, bunte Gebetssprüche an der Decke, zwei kleine Räume im Keller eines Wohnhauses, Platz für 30 Gäste - gibt es seit Dezember. Schon auf dem Rückflug nach Deutschland, am 29. April, kommen bei den Reicherts Schuldgefühle hoch.
„Ich dachte mir: Du hast alle dort im Stich gelassen“, sagt Beatrix Reichert. Ihr Mann hat die Idee, durch Gastronomie den Deutschen die nepalesischen Kultur näher zu bringen und so Spenden zu sammeln. Bei einer Benefizveranstaltung lernen sie den Nepalesen Sanjeev Singh (27) kennen. Der Agrarstudent lebt ihn Halle und ist Hobbykoch. Als Peter Reichert ihm von seinem Plan erzählt, stimmt Singh spontan zu. Mittlerweile ist er Küchenchef im Restaurant, in dem noch zwei weitere Nepalesen und fünf Angestellte arbeiten.
Nepal braucht Touristen
„Wir alle machen das nebenbei“, sagt Beatrix Reichert. Deswegen öffnet das Restaurant lediglich Abends. Einen Tisch gibt es nur auf Reservierung, das Lokal ist immer voll. Es kommen Stammgäste wie der Arzt, der an diesem Abend eine Familie aus Nepal eingeladen hat. Touristen, die von der guten nepalesischen Küche gehört haben. Hallenser, die das fremde Essen probieren. Fast jeder steckt eine Spende in das Sparschwein an der Theke. Geöffnet haben es Beatrix und Peter Reichert noch nie. Als sie es schüttelt, klimpert es wegen der vielen Scheine kaum.
Demnächst wollen sie es aufmachen. Spenden alleine würden aber nicht helfen, Nepal brauche wieder Touristen. Deshalb empfehlen sie jedem Gast, in das Land zu reisen. So wie sie es auch machen wollen, wenn sie die Erlebnisse verarbeitet haben. (mz)