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Hallescher FC Hallescher FC: Zurück zum Glück

Von Steffen Könau 11.05.2012, 18:11

Halle (Saale)/MZ. - Natürlich ist er da, der Mann mit der kleinen, blassen rot-weißen Fahne, den sie hier im Stadion nur Grabbel nennen. Es geht um alles beim Spiel des Halleschen FC am Samstag in Meuselwitz. Ein Sieg noch, und der Verein aus der Saalestadt ist endlich wieder dort, wo er zuletzt vor zwei Jahrzehnten war: im deutschen Profifußball.

Die Fahne darf nicht fehlen in dieser Stunde der Entscheidung. Sie hat schließlich nie gefehlt seit dem Abstieg. Damals, vor 20 Jahren und zwei Tagen, hat Grabbel auf der Tribüne gestanden und zugesehen, wie sich sein HFC mit einem 1:2 gegen Erfurt aus der 2. Liga verabschiedete. "800 Zuschauer waren wir da noch", sagt er.

800 Fans von 30 000, die in den richtig guten Tagen ins hallesche Stadion pilgerten. Und auch von diesem letzten Aufgebot wandten sich viele ab, als der Oberliga-Dritte von 1971 immer tiefer im Fußball-Niemandsland versank. Vierte Liga, Fünfte Liga. Drei ganze Punkte holten die Spieler in Rot und Weiß in einer Saison, in der nicht gegen den Abstieg, sondern gegen den Untergang gespielt wurde.

Wanzleben statt Dresden

Mit Erfolg. Die Gegner hießen irgendwann nicht mehr Jena und Dresden. Nicht mal mehr Magdeburg und Dessau. Sondern Arneburg und Wanzleben. "Da passten die Fans alle unter einen Regenschirm", erinnert sich Jens Herrmann an die dunklen Jahre im Kellergeschoss des großen Sports, als er Mitleid erntete, sobald er zugab, dass er nicht Bayern- und nicht Schalke-, sondern ja, doch, HFC-Fan sei. "Alle haben einen angeguckt, als komme man vom Mond."

Franziska Teller hat das nie bemerkt. "Ich kannte es ja nicht anders", sagt sie. Als ihr Vater sie mit ins Stadion nimmt, ist sie elf und der HFC krebst in der 5. Liga herum. Manchmal gewinnen die Rot-Weißen. Immer, wenn es darauf ankommt, verlieren sie. Manchmal ist Grabbel ein ganzes Spiel lang der einzige, der eine Fahne schwenkt. Aber wer einem Spieler etwas mitzuteilen hat, wird gehört - im gähnend leeren Rund hallt jeder empörte Aufschrei nach.

"Es ist komisch, aber ich war hin und weg davon", sagt Franziska Teller, die heute 25 ist. "Man hat immer gehofft, dass die Jungs aufsteigen", beschreibt sie, "und wenn es am Ende nicht klappte, hat man einfach auf die nächste Saison gehofft." Wenigstens schlimmer konnte es kaum noch werden.

Eine ganze Fan-Generation in Halle und Umgebung hat das so erlebt. Fußball nicht als Spiel, in dem es ums Gewinnen geht. Sondern als Ereignis, an dem man mit einem gewissen Verliererstolz teilnimmt, wie Mario Rutke sagt. Mit vier hatte er seine Stadionpremiere. Anschließend wurde er eine Kindheit lang Augenzeuge einmaliger Ereignisse: Kein anderer Traditionsklub aus der DDR-Oberliga stürzte so tief. So lange. Kein anderer schlug unterwegs alle Angebote aus, sich über eine Pleite zu sanieren oder mit einem gut situierten Ortsnachbarn zu fusionieren.

"Lieber ein Verlierer sein als ein dummes Affenschwein", hat Mario Rutke dann schon selbst mitgesungen, als der verhasste Ortsrivale VfL anbot, seine Finanzen und die schöne HFC-Tradition einfach zusammenzuwerfen. Aber mit denen? Die die Fans wegen ihres Stadions am Zoo verächtlich "Affen" nannten? Niemals, da waren sich Korni und Rudi, Grabbel und die anderen einig. "Sind wir zehn Jahre über die Dörfer gefahren, um uns am Ende zu verkaufen?"

Es ging dann doch ohne Fusion, und es ging sogar gut. "Als Michael Schädlich Präsident wurde", sagt Bernd Bransch, "spürte man, dass sich etwas bewegt." Bransch, der in den 70ern Kapitän beim HFC und im DDR-Nationalteam war, spricht von Strukturen und Sponsoren und davon, dass die Menschen den HFC ja nie vergessen hätten und die Stadt sich auch wieder erinnert hat. "Mit Trainer Sven Köhler kam dann der sportliche Erfolg zurück."

Grabbels verblichene Fahne wehte nun wieder in Magdeburg, Dessau und in Leipzig. "Als wir den Landespokal gewonnen haben", sagt Jens Herrmann, der wie alle HFC-Fans "wir" sagt, wenn er den Klub meint, als spiele er selbst mit, "wusste ich, dass wir zurück sind." Franziska Teller hat da schon in Magdeburg gewohnt, in der "verbotenen Stadt", wie sie scherzt. Am Wochenende fährt sie nach Halle und setzt sich auf die große, meist leere Tribüne wie all die Jahre - schräg über Grabbel, querab von Rutkes Jungsrunde. Neben ihr sitzt eine Weile Marco Hartmann, das größte Mittelfeldtalent des HFC, als er diese Rückensache hatte. Kein Arzt kann helfen. Keine Therapie schlägt an. "Das wird wieder", hat Franziska Teller ihn getröstet.

Zehntausend Fans statt hundert

Und es wurde. Ein Jahr später machte Hartmann 26 Spiele und ein Tor. Diese Saison hat er in 30 Partien schon zehnmal getroffen - vor zehnmal mehr Zuschauern, als Grabbel, Herrmann und die anderen gewohnt sind. "Auf einmal sind sie alle da", beschreibt Mario Rutke sein neues, zwiespältiges Fan-Gefühl, "und keiner weiß mehr, wie wir mit hundert Hanseln nach Aschersleben gefahren sind."

Fußball in Halle ist plötzlich in. Auf der Tribüne grüßt der Theaterdirektor den Innenminister, der Klempnermeister die Bürgermeisterin. Es ist ganz anders als immer. Es geht ums Gewinnen, obwohl doch Kiel und Leipzig immer noch mehr Geld haben. Dieses David-gegen-Goliath-Ding, sagt Jens Herrmann, habe die Euphorie gezündet, die er seit Wochen überall bemerkt: "Lieber kein Verlierer sein."

Die schwarzen Tage sind vorbei, die Schlagzeilen über Randale und Krawall fortgeweht wie ein böser Spuk. Am Samstagnachmittag kann wahr werden, was niemand geträumt hat: Die beste Saison, die eine HFC-Elf je gespielt hat, braucht nur winzige drei Punkte zur Vollendung, zum Aufstieg.

Er habe im Herbst nicht "unmittelbar daran geglaubt", sagt Bernd Bransch, der seinem Verein am Samstag als Berater dient. "Aber inzwischen bin ich überzeugt." Benedikt Seipel, der vom HFC zu Lok Leipzig wechselte, drückt seinem Freund Marco Hartmann die Daumen: "Die Jungs haben die Qualität." Und sie haben ja auch noch die alte, von den Jahren gezeichnete Fahne. Kein Bibbern, Beten, Zittern, Bangen. "Ich glaube daran", sagt Grabbel nur, "ich habe ja schon vor der Saison darauf gewettet."