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Stadtteil Ortslage Trotha Halle-Trotha: Kreatives Durcheinander

Von Julia Rau 03.05.2017, 04:00
Die Trothaer Straße zerschneidet das Viertel.
Die Trothaer Straße zerschneidet das Viertel. Lutz Winkler

Halle (Saale) - Halb und halb ist die „Ortslage Trotha“. Das kleine Stadtviertel im Norden will kein harmonisches Bild abgeben und sperrt sich gegen Schubladen. Trotha ist alt und neu und ruhig und rastlos. Im Westen ist es ein altes Fischerdorf, in dem immer ein wenig Wind von der Saale heraufweht.

Das Viertel gehört zum Stadtteil Trotha im Norden Halles - ebenso wie das Industriegebiet Nord und die Gottfried- Keller-Siedlung.
Bereits vor rund 1.500 Jahren  siedelten Menschen schon hier.

Dort verschlucken dicht gedrängte Häuserzeilen das Surren der Linie 3. In den Ostteil, der neueren Seite, haben Stadtplaner praktische Mehrfamilienklötzchen aneinander gestellt. Im alten Teil verwirklichen sich ruhesuchende Individualisten in historischen Gemäuern. Der Wohnraum dort wird knapp. Im neueren Teil ist eigentlich immer etwas zu haben. Weniger einzigartig, dafür zweckmäßig.

Dazwischen pumpt die Trothaer Straße Pendler durch den Stadtteil: Einen Kilometer vorbei an Geschäften, dem roten Bratwurststand und Wohnhäusern. Ein paar Ampeln hinter dem Zoo ist man auch schon wieder raus. Raus aus Trotha und fast auch aus Halle.

„Trotha ist nichts, wo man gezielt hinfährt“, sagt Claudia Klinkert. Die Keramikkünstlerin arbeitet seit 15 Jahren in einem Atelier auf dem Künstlerbauernhof in der Saalestraße. Vor ein paar Jahren ist sie vom Paulusviertel in den Norden gezogen. Nun schlägt sie Wurzeln in aufgewühltem Boden: „In Trotha verändert sich gerade sehr viel, es wird bei jungen Familien immer beliebter“. Das Stadtviertel bietet, was neuerdings so Trend ist und wonach immer mehr Städter suchen: ein ruhiges Zuhause, aber bitte nicht im Nirgendwo. Interessierte, so Klinkert, schauen sich nach malerischen Bauernhöfen oder urigen Backsteinhäusern um, „aber die sind alle längst weg“.

Wer noch an die Saale will, muss bauen oder schnell zuschlagen, wenn mal etwas frei wird. „Der Zuzug tut Trotha insgesamt ganz gut, die Neuen bringen viel Veränderung mit“, sagt Klinkert. Weil sich zu den ohnehin schon zahlreichen Burgabsolventen und Kunsthandwerkern immer mehr Kreative gesellen, steht Trotha mittlerweile sogar im Ruf, eher alternativ angehaucht zu sein.

Es ist ein Hort für alle Suchenden geworden, die in dem Stadtviertel nichts vermissen und sich deshalb trauen, zu ankern. „Wer einmal herkommt, der bleibt“, sagt Klinkert, „das ist hier nicht wie in der Innenstadt, wo man mal kurz lebt und dann wieder wegzieht“. Um richtig anzukommen, hat sie selbst zwei Jahre gebraucht. Entscheidend ist wohl, Trothas Durcheinander zu durchblicken. „Es gibt so eine schräge Mischung aus Gewerbe, Wohnen und Industrie hier, alles ist zusammengewürfelt. Da kann man sich viel wundern“, sagt Klinkert.

„Neben dem Zen-Tempel ist Gewerbegebiet, das bringt es absolut auf den Punkt“. Gerade wachse das Wirrwarr richtig zusammen, weil sich immer mehr Bewohner auf die Gegensätze einließen. Die Alteingesessenen haben währenddessen ein Auge darauf, dass im frischen Wind das Bewusstsein für die Geschichte des Ortes nicht auf der Strecke bleibt. Veränderungen sind willkommen, wenn für sie nicht quadratmeterweise Heimat verschwinden muss. Wenn alte Grünflächen zubetoniert werden oder Grundstücksgrenzen eingetretene Schleichwege zerschneiden, hört die Begeisterung für „die Zugezogenen“ bei vielen Bewohnern auf.

Der größte Zankapfel in den vergangenen Jahren war der alte Kaffeegarten, angeblich früher Standort der Wasserfeste und Sitz derer von Trotha. 2006 kam das Gebäude unter den Hammer. „Wir haben damals gerade nach einer Kunstveranstaltung im Kaffeegarten aufgeräumt, plötzlich kamen Mitarbeiter der Stadt und sagten, wir sollen gehen, das Gebäude werde verkauft“, erzählt die Trothaerin Karin Grundmann. Heute sind das Grundstück und das Gebäude in Privatbesitz.

In den Fensterkreuzen hängen Scherben, das Dach ist undicht. Es zerfällt vor den Augen der Trothaer. Seit es nicht mehr öffentlich zugänglich ist, fehlt dem Viertel zudem ein zentraler Treffpunkt. Die Kirche versucht, die Lücke zu schließen, in den vergangenen Jahren wuchs auch die Bedeutung des Künstlerbauernhofes. „Die meisten Veranstaltungen im Ort finden trotzdem sehr kompakt statt, ohne dass viele davon erfahren“, sagt Keramikerin Klinkert.

„Gesundes Trotha“ befasst sich mit Ausbau des Saaleufers zur Erholungspromenade

Wer heutzutage wissen will, was los ist, solle am besten an die Pinnwände der Supermärkte schauen. „Es war einfach ein Fehler, den Kaffeegarten wegzugeben“, findet Grundmann. Sie ist wie viele andere Anwohner enttäuscht. Vom Besitzer, von der Stadt. „Die Stadt hat Trotha lange vergessen“, sagt die Rentnerin. Seit Jahrzehnten kämpft sie im Verein „Gesundes Trotha“ für bessere Fußwege, den Erhalt des Kaffeegartens und ein schönes Saaleufer im Viertel. Kurz nach der Wende engagierte der Verein sich für den Ausbau der Trothaer Straße. Später ärgerte sich die 73-Jährige, dass die vielen Autos, die auf der breiten Straße unterwegs sind, noch mehr Lärm und Dreck machen als damals die Bahnen.

Seit 2009 befasst sich „Gesundes Trotha“ mit dem Ausbau des Saaleufers zur Erholungspromenade. Das Projekt geht nur langsam voran. Liegebänke stehen zwar schon, aber das Flächenlabyrinth und Kunstinstallationen fehlen noch. Karin Grundmann wundert es nicht mehr, dass Vorhaben nicht so schnell umgesetzt werden, wie geplant. „Trotha musste schon oft hinten anstehen“, sagt sie.

Viele Trothaer träumen von einer Brücke über die Saale nach Kröllwitz

Mit oder ohne Labyrinth: Das Saaleufer zieht die Trothaer jedenfalls wie magisch an. Im Frühjahr drehen Jogger ihre Runde über die Brücke, den „Katzenbuckel“, auf den Forstwerder und zurück. Angler am Ufer blicken hinüber auf Kröllwitz und die Bagger an der alten Papierfabrik. Schon seit Jahren wünschen sich viele Trothaer eine Brücke über die Saale nach Kröllwitz herbei.

Dann könnten sie endlich entlang der Saale spazieren, derzeit sind noch viele Schlenker nötig. „Man muss immer auf der Trothaer Straße loslaufen, um an die Saale zu kommen“, sagt Klinkert. Außer einem Saaleweg und vielleicht einer Kneipe vermisst sie in ihrer neuen Heimat nichts. „Wenn man ehrlich ist, gibt es wenige Gründe, den Stadtteil zu verlassen. Alles, was man braucht, ist hier.“  (mz)