Halle Halle: «Ostbrötchen» retten Bäcker
Halle (Saale)/MZ. - Er habe in seinem Leben noch nie soviel gekrümelt wie nach der Wende, schimpft der Kunde. Die Brötchen heutzutage zerfielen schneller, als man kauen könne und schmeckten alle gleich. "Geld hin, Geld her, da lobe ich mir doch die guten Semmeln meines Kiezbäckers." Stammkunden wie er halten die kleinen Bäckereibetriebe am Leben. 315 von ihnen gab es im Jahr 2 000 noch im südlichen Sachsen-Anhalt, zehn Jahre später waren es nur noch 236. Zunehmend müssen sie sich gegen florierende Backshops, Backtheken in Supermärkten oder Verkaufsfilialen großer Ketten behaupten.
Ob Brötchen, Brot oder Kuchen - das Sortiment in den Verkaufsstellen oder den Backshops ähnelt sich auffallend. Und fast immer ist es deutlich billiger als das der kleinen Betriebe, wo am frühen Morgen noch der Teig nach altem Hausrezept zusammengerührt und dann gebacken wird. Bei steigenden Energie- und Rohstoffpreisen und den vergleichsweise geringen Mengen ist es unmöglich, die Preise so niedrig zu halten wie die "Großen". Sechs Cent pro Brötchen? "Das sind Kampfpreise, um die Kunden anzulocken. Kein Handwerksbetrieb kann sich das leisten." Eckhard Boltze aus Teutschenthal ist Obermeister der Bäckerinnung Halle-Saalekreis. Er kennt die Zahlen, und er kennt das mühsame Tagesgeschäft. 90 Prozent aller selbständig eingetragenen Bäckermeister sind in der Innung organisiert. Vor 20 Jahren gab es noch 70 von ihnen - heute sind es 21. Zwar hat sich die Zahl inzwischen stabilisiert, aber der Kampf ums Überleben wird deshalb nicht leichter.
Thomas Ebenrecht hat ihn, zumindest an seinem Standort in der halleschen Innenstadt, verloren. Der Bäckermeister aus Teicha zog vor fünf Jahren in das kleine Geschäft, aber zehn Brötchenanbieter rund ums Reileck waren einfach zu viel. "Zunehmend backen sogar die Discounter selbst. Ist doch klar, bei der Arbeitslosigkeit hier, dass die Menschen preiswert einkaufen wollen." Thomas Ebenrecht hat Verständnis dafür. Er hat nun die Notbremse gezogen, seine Firma gibt es aber weiterhin. Und an dieser Stelle darf nun auch der Begriff des Ost-Brötchens fallen. "Wir versuchen, die Qualität wie aus DDR-Zeiten zu halten", beschreibt Isolde Leissring ihre Taktik. Die Bäckermeisterin aus Halle weiß ebenso wie ihre Kollegen, dass sie dem Preisdruck ohne Qualität nicht standhalten könnte. "Die Ketten können so billig anbieten, weil sie halbgefrorene Rohlinge aus Billiglohnländern aufbacken. Wir machen alles selbst." Bis jetzt scheint ihr Konzept sogar aufzugehen, die Filiale in der nördlichen Innenstadt lebt von Stammkundschaft, die Verkaufszahlen seien noch nicht rückläufig.
Im Süden der Stadt sieht das schon ein wenig anders aus. Die sinkende Kaufkraft durch die starke Abwanderung und der umkämpfte Markt gehen an der Bäckerei Walter König nicht spurlos vorüber. "Wir merken natürlich, dass weniger Kunden kommen. Wir müssen viel improvisieren, um überhaupt Gewinn rauszuziehen." Steffen König betreibt die Bäckerei in der vierten Generation. Und er erwähnt ein zweites Damoklesschwert: den fehlenden Nachwuchs. "Heute ist der Beruf des Bäckers doch nur noch zweite oder dritte Wahl, wenn die jungen Leute nichts anderes gefunden haben." König ist 38 Jahre alt; er wird den Familienbetrieb hoffentlich noch viele Jahre weiterführen können.
Und die anderen? Isolde Leissring ist 58, sie hat eine Tochter, die die Firma nicht übernehmen wird. Derzeit bildet sie zwei Gesellen aus. Die Bäckerei Boltze in Teutschenthal wird von der Tochter des Obermeisters geführt; Auszubildende sind Mangelware. Thomas Ebenrecht hat einen Sohn, der gerade seine Meisterprüfung macht. Erstmalig in diesem Jahr hat die Bäckerei keinen Lehrling gefunden.