Halle Halle: Küss die Hax', gnädige Frau
Halle (Saale)/MZ. - Da kriegt sogar der Voyeur am oberen Bildrand einen roten Schädel. Und die Strahlenkrone, die die üppige Nackte in der Bildmitte als Frisur trägt, verspricht nicht zu viel. Schließlich nimmt sich die Dame hier sehr weitgehende Freiheiten. Andere freilich als die, die einst die Auftraggeber der Freiheitsstatue im prüden Amerika vor Augen gehabt haben mochten. Es ist eins von etlichen ziemlich starken Stücken in Sachen erotischer Kunst, von dem hier die Rede ist. Zu sehen sind sie neuerdings in der Zeitkunstgalerie, wo der hessische Zeichner und Grafiker Bodo W. Klös mit einer Ausstellung seine Visitenkarte abgibt.
Die eingangs geschilderte, fast schon kulinarisch anmutende Liebesszene gehört zu dem Zyklus "Neigungen und Übertreibungen", die den 59-jährigen Hessen aus der Bierstadt Lich (bei Gießen) nicht bei der Wanderung auf dem schmalen Grat zwischen Kunst und Pornografie zeigt, sondern auch auf der Höhe seiner künstlerischen Meisterschaft.
Wobei es sogar den Anschein hat, als gelänge Klös hier etwas, das neuerdings nur noch selten zu gelingen scheint - nämlich im Formalen durchaus auch vollgültig Pornografisches mit dem Künstlerischen zu versöhnen. Denn eins ist klar, auf den Blättern zumindest dieser einen gezeigten Reihe des Künstlers geht es richtig und außerdem recht vielseitig zur Sache. Nichts ist verdeckt, verdruckst oder verpixelt. Und selbst der Aspekt des voyeuristischen Nutzungszwecks, der bei Pornografie-Definitionen nicht fehlen darf, ist hier enthalten - freilich in skurriler Nebenschauplätzen der Szenerien. Die nämlich schließen hier und da auch Betrachter ein, die ganz große Augen machen - nicht nur Männer übrigens.
Klös stellt sich damit in eine Tradition der kleinen, einst sehr diskreten künstlerischen Form, die vor allem mit so genannten Exlibris gepflegt wurde, und in der auch viele große Namen verewigt sind. In ihnen wie in den Blättern von Klös erreicht auch das äußerst Gewagte immer den vollen künstlerischen Rang. Alles Dumpfe und Peinliche prallt hier von einem Schutzschild ab, der hauptsächlich aus Witz und Lebensfreude zu bestehen scheint.
Doch Bodo Klös zeigt bei seinem bereits zweiten Halle-Gastspiel auch andere Seiten seines Könnens. Etwa sein Talent als Porträtist - vorzugsweise anhand von gleichermaßen charaktervollen wie wettergegerbten Gesichern wie jenen der Rolling Stones oder von Bob Dylan.
Aber dann ist Klös auch schnell wieder bei den Frauen, die er ebenfalls porträtiert - hier aber gern auch mal (im Sinne eines Platten-Titels von "Pink Floyd") mit der dunklen Seite des Mondes: Schöne Hintern als Gesichter quasi - oder auch eine Reihe mit mal nicht nackten Frauen-Nacken. Die sind hier - auch als Weg zum Herzen - durchaus eine Entdeckung, weil sie von der Kunst ja sonst sehr zu Unrecht vernachlässigt werden.
Die Titel gebenden "Neigungen" sind freilich zum Teil auch Verbeugungen. So wie die des Fußliebhabers, der - wäre er ein Wiener - wohl mit einem "Küss die Hax', gnädige Frau" formvollendet ins Stelldichein der Liebe starten könnte. Ja Liebe - die ist natürlich die Klammer für die ganze Schau. In seiner Eröffnung zitierte Klös den Dichter Rimbaud - fast schon mit einem Gebet: "... dass käme die Zeit, in der man zur Liebe bereit", lautet der Vers - vor den man fast ein "ach!" platzieren möchte. Dass Kunst besagte Liebesbereitschaft steigern kann, steht auch nach dieser sehenswerten Schau wieder völlig außer Frage.
Schau bis 26. August in der Zeitkunstgalerie, Kleine Marktstraße 4 - dienstags bis freitags, 11 - 19 Uhr, samstags 10-15 Uhr geöffnet. Außerdem sind zu sehen: Raku-Objekt von Jorge Mendez Canalias (Jena).