Halle Halle: Halbnackte Tatsachen in der Kunststiftung
Halle (Saale)/MZ. - Ein faustisches "Verweile doch!" nennt die Kunststiftung Sachsen-Anhalt ihre jüngste Stipendiaten-Ausstellung am Neuwerk in Halle. Das "Du bist so schön!" mag man vor dem allgegenwärtigen Plakat allerdings nicht bruchlos hinterher schieben. Abgebildet sind zwei artifiziell geschminkte nackte junge Frauen mit rostroten Lockenmähnen. Die Perlenketten, die lässig über die milchige Haut fließen, scheinen der eigentliche Bild-Gegenstand zu sein. Entsprechend ist das Plakat wie ein elitäres Modemagazin aufgemacht.
Der Magazin-Kontext stimmt schon, denn Iris Brosch, die Autorin des Fotos, ist eine der glamourösesten Modefotografinnen überhaupt, deren Klienten "Vanity Fair" oder "Esquire" heißen, Galeries Lafayette oder Harrods, Clearasil oder Jaguar. Zugleich reklamiert sie einen künstlerischen Anspruch, in dem das Beschwören weiblicher Sinnlichkeit die Befreiung von geschlechtsspezifischer Unterdrückung verheißt. So auch bei der Performance "Divinita" auf der Venedig-Biennale 2011. Von dort stammt das "Tableau" halbnackter Models in Blumengirlanden, die angelehnt an Botticelli die "Geburt der Schwarzen Venus" zelebrieren. Die meterlange Fotocollage im Garten der Stiftungs-Villa hat viel medialen Wirbel ausgelöst.
Inszenierte Erotik
Ausgerechnet Iris Brosch, die international tätige Star-Fotografin mit Büros in Paris und New York und gebürtig aus Fallersleben, seit 1972 Ortsteil von Wolfsburg, ist eine Stipendiatin der Landes-Kunststiftung? Einer Stiftung, die laut Satzung Förderer "von Kunst und Kultur in Sachsen-Anhalt" sein soll, freilich auch des "Internationalen Kulturaustausches". So oder so, es wird auf der einzig ausliegenden Information, dem Faltblatt-Kurzführer der Kuratorin Ines Janet Engelmann, nicht erklärt. Und das Künstlerarchiv auf der Webseite der Kunststiftung kennt keine Iris Brosch.
Erst auf Anfrage bestätigt Direktorin Manon Bursian, dass die Förderung dem Doku-Video von Broschs Performance "Erotic Enlightenment" auf der Venedig-Biennale von 2009 gegolten habe. Auf der Webseite von Brosch ist es zu sehen. Es zeigt fantastisch verhüllte Frauen, die das Thema "Weiblicher Eros" in freizügigen Tänzen vor der Kulisse der Lagunenstadt umsetzen. Im Abspann läuft ein Dank an Manon Bursian, bei den Sponsoren wird die Stiftung genannt und deren Logo gezeigt.
Die Ausstellung, sagt Kuratorin Engelmann, bewege sich zwischen zwei Polen der Fotografie, dem "inszenatorischen" und dem "dokumentarischen". Als eine Art Bindeglied setzt sie den Auftritt der Leipziger Künstlerin Carina Linge ein, auch räumlich. Ihre als Installation gehängte Serie "Einsamer Eros" nimmt mit ihren Akten, Stillleben und Textfundstücken die Wand im zentralen Galerie-Raum ein und zieht sich ins Treppenhaus.
Linges bildkünstlerische Anspielungen, gar Parodien, zielen auf Ikonen der Weltkunst, etwa die "Badende" von Ingres oder die "Dame mit dem Hermelin" von Leonardo, dessen heraldisches Tier im Arm der Fürstenmätresse bei ihr zum gehäuteten Schlacht-Kaninchen wird. Derartige Brechungen verdeutlichen, wie weit sie von esoterisch verbrämter Werbe-Ästhetik im Stile Broschs entfernt ist. Es sind starke Bilder, doch schon die Prominenz der Hängung überrascht, denn die Fotografin ist keine Stipendiatin, sondern als Gast geladen.
Es wäre schön, wenn auch das erklärt wäre. Doch als Brücke leitet sie in der Tat vor allem zum Werk Max Baumanns über. Dieser Fotograf mit großem Oeuvre in der Landschaftsfotografie bekam ein Wiepersdorf-Stipendium mit seiner Idee intimer Porträt-Studien in kargem Schwarz-Weiß. Zwei Serien jeweils desselben Modells sind ausgesucht, ein Mann und eine Frau, mit geschlossenen Augen und tief in sich selbst versenkt. Es handelt sich - man erfährt aber auch das nicht vor Ort - um Eltern, die Baumann aus dem halleschen Kindergarten seiner Tochter kannte. Er setzte sie stundenlang nächtlich vor die Linse und bat sie, ihm "blindlings" zu vertrauen. So werden aus Gesichtszügen Seelenlandschaften.
Dokumentierter Alltag
Vertrauen zum Künstler haben auch die Porträtierten auf den eher klassischen Reportagefotos von Matthias Ritzmann. Als Mitglied im soziokulturellen "Postkult"-Verein in Halle hat der Fotograf ein Auge für das Hineinwachsen in eine Gruppen-Identität, die die Aktiven mit ihren Vereinen verbindet.
Seine Fotos von organisierten Auto-, Garten-, Radio- oder Lokomotiv-Enthusiasten in Halle sind enthüllend, und das nicht nur nüchtern und wohlwollend, wie es im Faltblatt heißt, sondern mit bewusstem Blick für das Verstiegene, Skurrile: den Monteur im Räderwerk der Dampflok, die Dekoration der Vereinslokale, die Requisiten des Vereinslebens.
Eine weitere Stipendien-Arbeit ist Reinhard Hentzes Halle-Serie von Aufnahmen, die er mit digitaler Kamera und gelochtem Gehäusedeckel machte. Dadurch stellt sich ein Camera Obscura-Effekt ein, menschenleere Stadtszenen in weichem Licht, aber nicht sonderlich überraschend. Ein Arbeitsstipendium bekam der Bielefelder Fotograf Robert Schlotter für das Ostharz-Teilstück seiner fotografischen Wanderschaft entlang des einstigen Eisernen Vorhangs quer durch Europa, wo er allmählich zuwachsende Waldschneisen und andere scheinbar bedeutungslose Spuren einer vormals zweigeteilten Welt im Bild festhält.
Neuwerk 11 in Halle: bis 19. August Mittwoch-Sonnabend 14-18 Uhr, Eintritt 3 Euro / 1 Euro