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Halle Halle: DDR-Flucht in trojanischer Kuh

Von ANJA HEROLD 24.09.2012, 19:03

Halle (Saale)/MZ. - Die Verzweiflung muss groß gewesen sein bei jenen Menschen, die versuchten, aus ihrem Heimatland DDR zu entkommen. Abenteuerlich waren die Versuche - und oft erfolglos. Die Ausstellung "Fluchtschicksale. Der gefährliche Weg in den Westen" in der halleschen Stasiunterlagenbehörde erzählt davon in Fotos, Originaldokumenten und Exponaten. Ein Stück Zeitgeschichte, das immer länger zurückliegt und an das doch immer mal wieder erinnert werden sollte.

Der Dokumentationswut der Staatssicherheit ist es zu danken, dass es dieses anschauliche Material überhaupt gibt. Man war sich seinerzeit auch nicht zu schade, Fotos nachzustellen, um "illegale Grenzübertritte" zu dokumentieren. Zum Beispiel den Fall der beiden Jugendlichen aus Probstzella, die im Jahr 1963 versuchten, über die Grenze zu kommen: Sie fielen den Grenzern in die Hände, einer von ihnen wurde erschossen, der andere festgenommen.

Die meisten Fotos aber sind echt. Leider künden sie damit, zumindest wenn die Fluchtwilligen darauf zu sehen sind, vom Misslingen der Pläne. Eine "kriminelle Menschenhändlerbande" (O-Ton) mit präpariertem Lkw ist da zu sehen, deren Fluchtplan durch einen schnüffelnden Hund aufflog. Oder die Frau in einem Reisekoffer: Sie hatte auf dem Weg von Bulgarien nach Dresden im Zug einen Österreicher getroffen und ihm von ihren Fluchtträumen erzählt. Der Mitreisende erklärte sich spontan bereit zu helfen, räumte einen Koffer leer und ließ die junge Frau darin Platz nehmen. Leider bewegte sie sich just in dem Moment, in dem das Zugabteil kontrolliert wurde. Aus der Traum. Ebenso wie für jene andere junge Frau, die aus Chemnitz in die Freiheit zu ihrem Geliebten fliehen wollte und dafür eine "Trojanische Kuh" zu nutzen gedachte. Das präparierte Tier, mit Hohlraum und Einstiegsluke unter dem Bauch, sollte als Ausstellungsstück über die Grenze gelangen.

Aber manchmal, wenn auch leider viel zu selten, hat es eben doch geklappt, auch davon erzählt die Ausstellung. Ein Kapitel ist zum Beispiel der Flucht zweier junger Männer aus Thüringen gewidmet. Die Hobby-Taucher nutzten ein Hochwasser, um über ein kleines Flüsschen in die Werra zu gelangen und unterhalb der an der Grenze gebauten und wegen des Hochwassers geöffneten Sperranlage hindurch in den Westen zu tauchen.

Überhaupt spielte der Fluchtweg übers Wasser oft eine Rolle in der Fantasie der DDR-Bürger: Schlauchboot, Aquascooter, Faltboot oder simple Muskelkraft - man hat den Eindruck, dass nichts unversucht blieb.

"Fluchtschicksale" ist eine Wanderausstellung. Angereichert wird sie mit Stasi-Akten von zwei Hallensern, die einen Ausbruch wagten. Dem einen, Karlheinz Breinig, gelang eine Flucht im Auto. In der Schau kann auch ein Gespräch mit Breinig angehört werden, dass übrigens aufgrund des MZ-Artikels geführt wurde.

Der anderen, Carmen Rohrbach, missglückte der Versuch, in einem Schlauchboot über die Ostsee zu entkommen. Die Hallenserin Carmen Rohrbach wird übrigens am 18. Oktober in der Stadtbibliothek eine Lesung über ihre Flucht halten.

"Fluchtschicksale" ist bis zum 21. Dezember in der Stasi-Unterlagenbehörde, Blücherstraße 2, zu sehen.