Gesundheitssystem in der DDR Gesundheitssystem in der DDR: Keine Operationen mehr in Dölau

Halle (Saale) - Es reichte jetzt ganz einfach. Dem Volk, der Opposition sowieso, und auch die Ärzte hatten genug. Am 25. Oktober 1989 verfassten 100 Mediziner aus Halle eine öffentliche Erklärung mit der Forderung nach einer Reform des Gesundheitswesens. Adressaten waren unter anderen der Bezirksarzt, die Parteileitung und das Zentralkomitee der SED. Höchst konspirativ wurde diese Erklärung geschrieben, in der Wohnung von Dr. Rüdiger Fikentscher, ab 1990 SPD-Landespolitiker, und verteilt.
„Wir werden Euch immer weniger helfen können“ stand am Ende der Resolution, und tatsächlich war die Situation im damaligen Gesundheitswesen dramatisch. „Am schlimmsten waren die Zustände in der Pflege. Es fehlten damals 3 000 Plätze, die Zustände in den Heimen waren katastrophal.“ Peter Jeschke, damals Mitglied des Neuen Forums und des dazugehörigen Arbeitskreises „Gesundheitswesen“, ist Neuropsychiater und arbeitete schon damals in der Poliklinik auf der Silberhöhe. Er erinnert sich an lange Wartezeiten auf Medikamente und an die schlechte Versorgung mit medizinischem Gerät. „Wir hatten einen Computertomographen, und in Leipzig gab es einen. Mehr nicht.“ Notfallambulanzen, Rettungsdienste, die Polikliniken – nahezu alles lag brach.
Mehr als 100 Ärzte aus Halle hatten das Land verlassen
Und es herrschte akuter Personalmangel: Mehr als 100 Ärzte aus Halle hatten das Land verlassen, Krankenschwestern fehlten. Das Krankenhaus Dölau zum Beispiel konnte keine Operationen durchführen, weil kein Anästhesist mehr da war. Diese Umstände also standen den Medizinern vor Augen, als sie sich zu ihrem öffentlichen Schritt entschlossen. Steigender Krankenstand, sinkende Lebenserwartung, der Mangel an wichtigen Medikamenten, unvertretbare Wartezeiten auf Untersuchungen und Operationen – um nur einen Teil der aufgeführten Punkte zu nennen – standen den Jubelmeldungen in den Medien und den „Propagandastatistiken“ gegenüber. Den Ärzten ging es dabei aber nicht nur um die praktischen Probleme im medizinischen Alltag, sondern um viel mehr. Die Offenlegung von gesundheitsschädlichen Auswirkungen der Industrie zum Beispiel oder die Anerkennung von Erscheinungen wie Rauchen bei Kindern und Jugendlichen, Alkoholismus und die hohe Selbstmordrate in der DDR. Diese Zustände waren real und durften bis dahin dennoch nicht existieren.
Kurze Zeit nach der Erklärung tagte dann die Arbeitsgruppe Gesundheitswesen des Runden Tisches das erste Mal. Und dann ging sowieso alles ganz schnell. Das hallesche Riebeckstift war mit seinen menschenunwürdigen Zuständen Thema im Fernsehen (West), und es wurde geholfen. Aus Karlsruhe reisten fünf Ärzte an, die sich von ihren Arbeitgebern hatten beurlauben lassen und im Krankenhaus Dölau über ein Jahr lang aushalfen. Das allein schon sei einzigartig gewesen, sagt Peter Jeschke.