Geschichte Geschichte: Einst Bürger erster Klasse
HALLE/MZ. - Vom Tellerwäscher zum Millionär - solch eine Bilderbuch-Karriere hat es auch in Halle gegeben. Nur dass der junge Mann namens Heinrich Franz Lehmann (1764-1846) keine Teller gewaschen hat. Er absolvierte vielmehr im Handelshaus Häusinger, einer Spedition, eine Lehre. Mit 24 hatte er bereits seine eigene Spedition. Gute Einnahmen bescherte ihm zudem die königlich-preußische Lotterie, die er in Halle betrieb, sowie der Salzhandel. Dass er die Tochter seines Lehrherren heiratete, dürfte ihm auch nicht geschadet haben.
Kurz und gut: Nachdem er sich ab 1828 auf das Wechselgeschäft spezialisiert und damit praktisch eine Bank gegründet hatte (unter Geschäftsleuten waren Wechsel damals eine gängige Zahlungsmethode), war er ein gemachter Mann.
Fast eineinhalb Jahrhunderte lang gehörten die Lehmanns zu den einflussreichsten Bürgern der Stadt, die sich als Bankiers vor allem bei der Umgestaltung Halles zur Industriestadt finanziell engagierten und unter anderem in den Maschinenbau und in die Eisenbahn investierten, sich aber auch als Mäzene betätigten und in der Kommunalpolitik mitmischten. Von ihrem Reichtum zeugen noch heute die Lehmannsche Villa an der Burgstraße und Villen in der Händel- und in der Reilstraße. Doch wer waren die "Lehmänner"? Wie lebten sie, wie wurden sie derart einflussreich? Antwort gibt eine Ausstellung im Stadtarchiv in der Rathausstraße, die am 30. April eröffnet wird: "Die Lehmanns - Bankiers und Bürger 1. Klasse". Wobei sich die "1. Klasse" auf das preußische Dreiklassen-Wahlrecht bezieht, das die Reichsten in die erste Wählerklasse einstufte.
"Neben Fotos und Briefen wird zum Beispiel der Stammbaum gezeigt sowie Dinge aus dem Besitz der Familie", sagt Christiane von Nessen, Teamleiterin Dokumentation im Stadtarchiv. So ist auf einem der Fotos der prächtige Festsaal der Lehmannschen Villa zu sehen; an den Wänden hängen vier Ahnenbilder, darunter der Begründer des Bankhauses, Heinrich Franz Lehmann. Doch diese Bilder sind verschwunden. Wie Prof. Dr. Harald Lehmann aus Zweibrücken (Rheinland-Pfalz), ein Nachkomme, berichtete, seien die Gemälde 1935 in die Dom-Gemeinde gebracht worden, nachdem die Familie nach der Wirtschaftskrise die Bank 1931 schließen musste und die Witwe des letzten Chefs die Villa 1935 verlassen hatte.
Harald Lehmann hatte dem Stadtarchiv vor drei Jahren den Familiennachlass übergeben. Nur zu gerne wüsste er, wo die Bilder geblieben sind. Denn bei einer Nachfrage 1980 erfuhr er, dass man den Speicher der Gemeinde entrümpelt hatte. Dabei seien die Gemälde auf die Straße gestellt und von einem Trabant-Fahrer ins Auto geladen worden, vermutlich der goldenen Rahmen wegen. "Die Bilder wiederzubekommen, das wäre toll", so Christiane von Nessen. Helfen würden aber auch Hinweise, wo sie sich befinden könnten.
Die Ausstellung schlägt einen Bogen vom geschäftlichen Ursprung, über den Aufstieg bis zur Blüte und den Niedergang über fünf Generationen, die zeitweise sogar Kontakte zum preußischen Königshaus pflegten. "Wir zeigen nicht nur die Geschäftsleute. Wir geben auch Auskunft über das private und gesellschaftliche Leben der Lehmanns", sagt Christiane von Nessen, die sich sicher ist, dass die Schau auf viel Interesse bei den Hallensern stoßen wird.