Post vom Flüchtling Gelungene Integration: Post vom Flüchtling: Der Eritreer Ghrmay Robel kam übers Mittelmeer und ist jetzt Briefträger in Halle

Halle (Saale) - Quietsch. Die Ampel am Rande der halleschen Fußgängerzone schaltet auf Rot und Ghrmay Robel greift in die Fahrradbremse. Geschickt stoppt er das gelbe Post-Rad, so dass die beiden vorderen Stützräder genau am Rande des Bürgersteigs stehen bleiben. „Ich muss mich an die Verkehrsregeln halten. Ich will alles richtig machen“, sagt der 27-jährige Briefträger.
Noch vor vier Jahren wusste er nicht einmal, was ein Postbote ist und wäre an einer roten Fußgängerampel sicher nicht stehen geblieben. Denn Robel kam im Jahr 2014 als Flüchtling aus Eritrea nach Deutschland. „Bei uns gibt es keine Briefträger. Wenn ein Brief aus Europa oder Amerika kommt, ruft die Post bei dir an und du musst aufs Postamt fahren und ihn dir abholen“, erklärt er. Und Fußgängerampeln? „Ach!“ Robel muss lachen. „In Eritrea geht alles soso.“ Dabei macht er mit seinen Händen verschlungene Bewegungen, zeigt auf die Straße, den Gehweg und winkt schließlich ab. „Niemand hält sich da an Ampeln.“
Beispiel für gelungene Integration: Mehr Migranten in Arbeit
Robel ist ein gutes Beispiel für gelungene Integration, aber kein Einzelfall mehr. Laut Zahlen der Arbeitsagentur für Halle und den Saalekreis hatten im September 2016 noch 333 Flüchtlinge einen sozialversicherungspflichtigen Job. Ein Jahr später waren es schon 811. Die aktuellste Zahl gibt die Agentur für Arbeit für den Februar 2018 heraus: 863 Flüchtlinge haben da eine Arbeit gefunden. Dem gegenüber stehen im selben Monat allerdings 1.880 arbeitslose Flüchtlinge.
Die Leiterin der Behörde, Petra Bratzke, wertet das dennoch als Erfolg. „Mehr als zehn Prozent der Flüchtlinge sind in den Arbeitsmarkt integriert. Das ist ein Erfolg, den wir so schnell nicht erwartet hätten“, sagt sie. Schließlich würde für das Erlernen der deutschen Sprache viel Zeit benötigt. Am Ende der herkömmlichen Willkommens-Kurse hätten die Flüchtlinge das sogenannte Sprachniveau A 1 oder A 2 erreicht, also genug für die Alltagskommunikation. „Für eine Ausbildung ist aber mindestens das Niveau B 2 nötig“, erklärt Bratzke. Bis die Mehrheit der Flüchtlinge auf diesem Stand ist, vergehe noch viel Zeit.
Ghrmay Robel brachte sich Deutsch mit Hilfe von Youtube-Videos bei und unterstützt inzwischen auch seine Landsleute beim Übersetzen. Rund 100 Eritreer leben in Halle, schätzt er. „Mit vielen habe ich Kontakt. Wir gehen zum Beispiel sonntags in die orthodoxe Kirche in Ammendorf.“
Ungutes Gefühl in Halle-Neustadt: Zuletzt drei Brände im Block
An der Kreuzung Hansering/ Leipziger Turm hat die Ampel auf Grün umgeschaltet. Robel klappt die Stützräder des Post-Rades hoch und tritt in die Pedale. Es geht in Richtung nördliche Innenstadt, ins Mühlwegviertel - eine der besten Wohnlagen der Saalestadt.
Robel wohnt in der Innenstadt, ist aber oft bei seiner Freundin, die er in Deutschland kennengelernt hat und ihrem gemeinsamen drei Jahre alten Sohn. Sie wohnt in Halle-Neustadt. In der Neustadt gefalle es den beiden allerdings nicht und sie fühlten sich unsicher. So habe es dreimal in den vergangenen Monaten in ihrem Wohnblock gebrannt. „Meine Freundin will wegziehen, wir suchen eine gemeinsame Wohnung“, sagt der junge Mann.
Welche Viertel in der Saalestadt angesagt sind, weiß er inzwischen besser als so mancher Hallenser. Durch seine Arbeit kommt er viel herum und kennt die Straßen mindestens so gut wie die Alteingesessenen. Er ärgert sich darüber, dass sich nicht alle Flüchtlinge so gut integriert haben wie er und dadurch Vorurteile entstehen. „Ich will weiterkommen, mein Bestes geben, irgendwann ein Haus mit meiner Freundin bauen“, sagt Robel.
Flucht durch Wüste und in überfülltem Boot
Dreieinhalb Jahre ist seine Flucht über das Mittelmeer nun her. In seiner Heimat, wo er Buchhalter war, drohte ihm ein unbefristeter Militärdienst. Der Zwangsdienst greift bei Volljährigen und selbst 70-Jährigen kann es noch passieren, dass sie bewaffneten Milizen zugeteilt werden. Vom kargen Buchhalterlohn sparte Robel etwas Geld an und „Freunde haben mir dabei geholfen, die 5.000 Dollar für die Flucht zusammenzubekommen“.
Erst ging es durch die Wüste, dann in einem überfüllten Boot mit 300 anderen in Richtung Italien. „Nach acht Stunden wurden wir von den Italienern gerettet“, erinnert sich Robel. Nach einer kurzen Zeit in der Zentralen Aufnahmeeinrichtung in Halberstadt wurde er nach Halle geschickt und bekam eine eigene Wohnung. „Ich weiß das zu schätzen, in Halle bin ich sehr zufrieden“, sagt er.
Unbefristet eingestellt: Jetzt sogar mit Bausparvertrag
Aber das reicht ihm nicht. Am Anfang eines jeden Jahres schreibt Robel eine Liste, was er schaffen will. Viele Punkte konnte er bereits abhaken: Er hat nun nicht nur einen unbefristeten Arbeitsvertrag, sondern sogar einen Bausparvertrag abgeschlossen - deutscher geht es kaum. „Aber warum nicht?“, fragt er. „Ich will mein Geld auch nicht verlieren.“
Ankunft in der Händelstraße. Mit einem Ruck stellt Robel das Fahrrad am Anfang der Straße ab und eilt zum ersten Briefkasten an diesem Tag. „Ein Einschreiben, das ich persönlich abgeben muss“, sagt er nach einem kurzen Blick auf einen Brief im DIN-A4-Format. In seiner Ausbildung hat er gelernt, wie welche Sendungsarten zu behandeln sind. Es mache ihn stolz, wichtige Briefe, wie sie oft als Einschreiben verschickt werden, zu transportieren. Ärgerlich ist es dann, wenn der Empfänger nicht öffnet, so wie an diesem Morgen. Robel packt den Umschlag wieder ein und radelt weiter.
Oft wechselnde Zustellbezirke: Noch unbekannt in Halle
Wenn Robel durch das Viertel fährt, erlebt er zwar keine überraschten Blicke, aber auch keinen Smalltalk übern Gartenzaun, wie es ihn manchmal mit dem Briefträger gibt. Das liegt aber nicht daran, dass die Anwohner Robel ablehnen, sondern daran, dass er wechselnde Zustellgebiete bedient und für kranke Kollegen einspringt. So kann es sein, dass die von ihm belieferten Straßen alle paar Tage wechseln.
Gernot Ochs etwa, der in Pantoffeln und Freizeitkleidung mit seinem Nachbarn ein Schwätzchen hält und die Briefe von Robel in Empfang nimmt, kennt ihn noch nicht. Als er von seiner Geschichte erfährt, ist der Anwohner aber doch etwas überrascht. „Wenn er seine Arbeit gut macht, habe ich überhaupt kein Problem damit. Im Gegenteil! Das ist doch besser, als wenn Flüchtlinge herumsitzen“, sagt er. „Wichtig ist, dass Flüchtlinge nicht als Billig-Arbeiter ausgenutzt und ausgebeutet werden.“
Zustellzentrum macht keine Unterschiede zwischen Flüchtlingen und Stamm
Das passiere bei ihnen nicht, versichert Heike Knobbe, Betriebsleiterin im Zustellzentrum, in dem Robel arbeitet und seine Briefe morgens vor der Tour sortiert. „Wir machen keine Unterschiede zwischen Flüchtlingen und Stammzustellern“, sagt sie. Flüchtlinge wie Robel würden zunächst während eines mehrtägigen Praktikums getestet. Nicht alle würden dabei gut abschneiden und einen Ausbildungsplatz angeboten bekommen. „Wir stellen fest, dass insbesondere Syrer Probleme haben, die Schrift auf den Briefkästen zu lesen“, sagt Knobbe. Grund sei wohl das andere Alphabet mit arabischen Buchstaben.
Die Einwohner der Händelstraße haben ihre Post inzwischen im Briefkasten stecken, für den 27-Jährigen geht es weiter in Richtung Norden. „Halle ist inzwischen wie eine zweite Heimat“, sagt Robel. Er will, dass seine Mutter, die derzeit in einem Flüchtlingslager im vom Bürgerkrieg zerrütteten Jemen lebt, auch in Halle in Sicherheit kommt. „Ich will bei der Ausländerbehörde fragen, ob sie nachkommen darf. Ich habe eine Wohnung, eine Arbeit und spreche Deutsch.“ Was ein Briefträger ist, hat er ihr schon erklärt. Nun müsste sie ihren Sohn auf dem gelben Fahrrad nur noch mit eigenen Augen sehen. (mz)
