Die geile Zeit endet Gelis Eroticmarkt Halle schließt - einer der ersten Sexshops in Sachsen-Anhalt

Halle (Saae) - Die Videokabinen sind gerade leer. Rote Sessel mit Lederbezug, ein großer Fernseher, Taschentücher und Desinfektionsmittel stehen bereit. Alles wirkt sauber und steril. „Einfach Geld reinstecken, Porno aussuchen und Spaß haben“, erklärt Alfred Dönnecke die Funktionsweise der Kabine. Der Erotikladenbesitzer aus Halle streift gerade durch sein Geschäft.
Die Tür zum großen Sexkino öffnet er jedoch nicht. „Da sind gerade welche drin, und wenn wir da jetzt reingehen, halten die uns noch für Frischfleisch - dann müssen wir mitmachen“, sagt der Erotikladenbesitzer schmunzelnd. Neben zwei Filmen gebe es im Kino eine „Spielwiese“, wie Dönnecke den Raum neben dem Vorführsaal nennt. „Da können sich die Leute dann austoben, also auch Sex haben, wenn sie mögen.“
„Gelis Eroticmarkt“ in Halle schließt nach fats 30 Jahren
Doch mit dem „Austoben“ ist es schon bald vorbei. Am Samstag schließt „Gelis Eroticmarkt“ - so heißt der Laden in der Mansfelder Straße. Fast 30 Jahre war er in Halle und darüber hinaus ein Zentrum der Liebe, Lust und Leidenschaft. Neben Erotikbedarf aller Art gab es einen Filmverleih und eben jenes Kino. Ein reizvolles Geschäft: „Der Laden lief trotz Konkurrenz aus dem Internet richtig gut“, meint Dönnecke.
Doch Mitte des Jahres sei ihm und seiner Frau der Mietvertrag gekündigt worden. Das gesamte Areal rund um den Laden werde umgebaut. „Noch einmal woanders von vorne anzufangen, wollten wir uns in unserem Alter nicht antun.“ Alfred Dönnecke und seine Frau Angelika, nach der der Laden benannt ist, sind Mitte 60 - aus dem Start-up-Alter sind sie bereits raus.
„Gelis Eroticmarkt“ in Halle: einer der erster Sexshops
Das Ende von „Gelis Eroticmarkt“ ist auch das Ende eines der ersten Sexshops in Sachsen-Anhalt. Anfang der 90er Jahre wurde das Geschäft eröffnet – damals schossen die Lustläden im Osten wie Pilze aus dem Boden. Ihre Geschichte ist auch die Geschichte des sich wandelnden Umgangs mit Sexualität und Erotik. „Da hat sich über die Jahre einiges verändert“, sagt Dönnecke.
In der DDR gab es keine Sexshops. Dafür aber den Strafgesetzparagrafen 125. Pornografisches Material durfte zwar besessen, nicht jedoch hergestellt oder verbreitet werden. Allerdings: Mit der Liberalisierung der Schlafzimmer sank auch der Verfolgungsdruck. Wurden 1970 noch 700 Verurteilungen nach Paragraf 125 ausgesprochen, waren es 1989 gerade einmal 70.
Großer Ansturm zu Beginn: DDR-Bürger waren neugierig
Nach dem Fall der Mauer waren die DDR-Bürger vor allem neugierig auf die neuen Läden. Der Ansturm war groß. „Im Osten gab es davor ja nicht viel mehr Anregung als die Zeitschrift ,Das Magazin’ und den Kondomautomaten auf der Bahnhofstoilette“, meint Alfred Dönnecke. Da habe sich etwas angestaut. Deswegen standen die Leute vor dem Laden Schlange. Sie wollten gucken, eine neue Welt erkunden. Vor allem die Filme im Kino zogen Besucher an wie der Honig den Bären. „Damals besaß ja niemand Abspielgeräte für Videos – und Pornofilme erst recht nicht.“
Die Stippvisite im Erotikladen war zu Beginn allerdings durchaus noch schambehaftet. „Wir hatten damals einen schweren, roten Vorhang am Eingang des Ladens“, erinnert sich Dönnecke. Der sei so lang gewesen, dass er bis zur Tür des Pornokinos gereicht habe. „Deswegen zogen die Leute, die reingekommen sind, den Vorhang immer mit, so dass man sie vom Verkaufsraum aus nicht sehen konnte.“ Das Versteckspiel hatte aber einen Haken: „Wenn sie wieder aus dem Kino kamen, war der Vorhang zu weit weg.“ Deswegen seien die Kunden mit rotem Kopf schnell nach draußen gehuscht.
Die Scham der Menschen vor Sexläden ist nach 30 Jahren verschwunden
Die Furcht, entdeckt zu werden, ist heute weitestgehend verschwunden. Während Alfred Dönnecke von früher erzählt, steht ein Mann im grauen Mantel und mit modischem Schal um den Hals vor den DVD-Regalen. Die Reihen haben sich durch den Ausverkauf der letzten Wochen gelichtet. Das verbliebene Material sichtet der Herr wie ein Weinliebhaber einen edlen Tropfen. Er inspiziert jedes Bild auf der Hülle, liest die Klappentexte. Schließlich entscheidet er sich für die Filme mit den Frauen in weißer Spitzenunterwäsche.
An der Kasse steht der Mann dann Angelika Dönnecke gegenüber. „Schade, dass Sie schließen müssen“, sagt er zu ihr. Die 65-Jährige lacht kurz, wobei in ihrem Lachen keine Freude mitschwingt. Angelika Dönnecke hat in den vergangenen Jahren oft aushelfen müssen, da ihr Mann lange krank war. An ihn gerichtet sagt sie nun: „Du hast Dein halbes Arbeitsleben hier verbracht – da tut der Abschied schon weh.“
2005 übernah Alfred Dönnecke „Gelis Eroticmarkt“
Alfred Dönnecke reagiert auf das Ende weniger emotional. Er ist ein eher nüchterner Typ, der auch Schuhe, Besteck-Sets oder Bausparverträge verkaufen könnte – und nicht Peitschen, Gleitgel und Gummipenisse. Eigentlich arbeitete er in der Chemieindustrie, verlor nach der Wende jedoch seinen Job. „Ich war dann Fensterputzer, Heizungsableser und Vertreter für hochpreisige Töpfe.“ Durch eine Zeitungsannonce wurde er auf den Job im Erotikladen aufmerksam. Er bewarb sich, bekam den Job und blieb.
Lange war Dönnecke nur Mitarbeiter. 2005 beschloss sein Chef, den Laden aufzugeben. „Da war ich schon über 50 Jahre alt, einen neuen Job zu finden war schwierig.“ Er wagte den Schritt in die Selbstständigkeit und kaufte den Erotikmarkt. Und das in einer Zeit, in der die Flutung des Internets mit erotischen Inhalten gerade begann.
Rund 30 Jahre „Gelis Eroticmarkt“ - Internet war keine Konkurrenz
Doch Dönnecke sah in der Online-Welt nie eine Konkurrenz. „Unsere eigene Website hat uns sogar geholfen, neue Kunden anzuziehen.“ Hinzu kam, dass sich der Geschäftsmann ganz auf das besann, was die Stärke seines Ladens war: der Kontakt zwischen Menschen. Bei „Gelis“ konnten sich Gleichgesinnte aller sexuellen Orientierungen begegnen, Zeit verbringen und auch Sex haben. „Hätte ich nur auf den Verkauf gesetzt, wäre es mir sicher wie anderen Läden gegangen.“ Beate Uhse sei dafür das beste Beispiel. Die Kette zog sich vor einigen Jahren aus Halle zurück. Auch kleine Läden mussten nach und nach schließen.
„Gelis“ allerdings blieb. „Im Internet fehlte dieser menschliche Kontakt, das Erlebnis, das wir bieten.“ Hinzu kam die Angst, dass alles, was in der Online-Welt passiert, auch nachverfolgt werden kann. „Bei uns waren die Leute weitestgehend anonym.“ Und was im Laden passierte, blieb auch im Laden.
„Gelis Eroticmarkt“ in Halle war lange ein Laden voller Männer
So vergrößerte sich die Zielgruppe. „Lange waren wir ein reiner Männersalon“, erzählt Dönnecke. Verirrte sich eine Frau in das Geschäft, seien die Männer vor Scham hinter die Regale gesprungen. Heute hingegen kämen Kunden jeden Geschlechts. „Am Wochenende hatten wir fünf Pärchen gleichzeitig hier, die in eine Videokabine wollten.“ Das habe es früher so nicht gegeben.
Doch ob Erlebnissuchender, Leder-Liebhaber oder Pornofilmkonsument: Samstagabend ist Schluss. „Dann werden wir unser Geschäft zumachen“, sagt Alfred Dönnecke. Und seine Frau meint: „Davor graut es mir schon.“ Doch so schmerzhaft der Schritt auch ist, rückblickend wird das Fazit sicher lauten: War ’ne geile Zeit. (mz)