Geiseltal-Sammlung in Halle Geiseltal-Sammlung in Halle: Langer Abgang des Urvogels

HALLE (Saale)/MZ - Der vorzeitliche Laufvogel war groß. Bis zu 1,80 Meter. Sein Schnabel war gewaltig, aber vor allem mit seinen kräftigen Beinen samt der bedrohlichen vier Krallen dürfte er sich vor 50 Millionen Jahren Respekt verschafft haben. Hatte der Flugunfähige überhaupt Feinde? Vielleicht hat eines der Urzeitkrokodile wie das Diplocynodon hallense nach dem gefiederten Gastornis geiselensis geschnappt? „Wohl eher nicht. Dafür war er zu groß“, sagt Meinolf Hellmund, Kustos der einzigartigen Geiseltal-Sammlung.
Die Überreste von neun Exemplaren des Großlaufvogels sind seit den ersten Ausgrabungen in den 1920er Jahren im einstigen Braunkohletagebau bei Mücheln gefunden worden. Irgendwann mal sind sie im Kohle-Sumpf-Wald versunken - und wurden konserviert. Wie weitere 124 bisher nachgewiesene Wirbeltier-Arten! Die einzigartige Geiseltal-Sammlung um ihren fossilen Star, das berühmte Urpferdchen, bietet die faszinierende Möglichkeit, einen vor 50 Millionen Jahren versunkenen kompletten Lebensraum zu erforschen. Mehrere Hundert neue fossile Tier- und Pflanzenarten sind gefunden worden. Die Originalstücke dienen weltweit Paläontologen als Referenzmaterial. „Diese Fossilien sind wissenschaftlich wie kulturell einmalig. Eine Fossilisation in Braunkohle durch das Durchströmen von kalkhaltigen Wassern ist weltweit nur aus dem Geiseltal bekannt“, sagt Kustos Hellmund.
Von 1934 an wurden die bedeutendsten Stücke rund um die Urpferdchen und immerhin sechs verschiedenen Urzeit-Krokodilarten in der Neuen Residenz am Domplatz gezeigt. Doch diese Tradition ist beendet: Schon seit mehr als zwei Jahren ist das alte Geiseltalmuseum mit der auch museal überholungsbedürftigen Ausstellung geschlossen. Damals sollte der Umzug der geschätzt 50 000 Fossilien beginnen. Grund: „Die Residenz gehörte nicht mehr der Universität. Außerdem benötigen die hochempfindlichen Fossilien bessere Bedingungen“, sagt Frank Steinheimer, der Leiter des Zentralmagazins Naturwissenschaftlicher Sammlungen der halleschen Universität. Das Magazin, die ehemalige Zoologie am Domplatz, soll zum neuen Domizil der Geiseltal-Fossilien werden. Außerdem sollen in einem geplanten Naturkundemuseum der Uni am Friedemann-Bach-Platz die wichtigsten Stücke zukünftig wieder prominent gezeigt werden. Doch der Umzug der wertvollen Sammlung dauert länger.
Das Konzept für das Naturkundemuseum liegt aus Geldgründen weiter in der Schublade, auch der Umzug ins Magazin klappte noch nicht. Unter anderem deshalb, weil die zerbrechlichen Fossilien nicht mal eben über den Domplatz getragen werden können. Für die großen Stücke wurden bereits mehr als 200 individuelle Transportkisten angefertigt. Rund 1 000 werden am Ende benötigt. Doch das ist nicht das einzige Transportproblem. „Wir brauchen auch eine ganz passgenaue Unterlage für die Fossilien. Seit einigen Tagen besitzen wir deshalb einen 3-D-Scanner und eine Fräse. Damit können wir ganz neuartige Unterlagen aus Kunststoff anfertigen“, sagt Michael Stache. Zum ersten Mal werde diese 3-D-Technik zur Herstellung von Fossilien-Unterlagen eingesetzt. Der 36-Jährige ist der einzige geowissenschaftliche Präparator der Sammlung. Die Betreuung der Sammlung, das weiß Stache, ist eine Lebensaufgabe. Denn die meisten der 50 000 Fossilien müssen auch konservatorisch neu behandelt werden. Der vor vielen Jahrzehnten eigens in Halle entwickelte „Geiseltal-Lack“, mit dem die verkalkten Knochenüberreste getränkt wurden, zersetzt sich. Die Folge: Das Material zerbröselt.
Seit einem Jahr steht die Geiseltal-Sammlung auf der Liste des national bedeutenden Kulturgutes. Damit muss die Sammlung, zu der auch die vor dem Zentralmagazin am Domplatz platzierten gewaltigen Kalk-Kugeln und der versteinerte Baum gehören, zusammengehalten werden. Immerhin gibt es einen großen Markt für Fossilien. Auf Messen würde Urpferdchen rund eine halbe Million Euro bringen.
Das Geiseltalmuseum bleibt also geschlossen. Die Sammlung steht für die eigene und weltweite Forschung und Lehre aber weiter zur Verfügung. Derzeit wird aber auch eine Sonderausstellung vorbereitet, die neue wissenschaftliche Erkenntnisse zum Leben des Geiseltal-Laufvogels und zu den Urzeit-Krokodilen präsentiert.

