Gefeilt an Reil und seinem scharfen Blick
HALLE/MZ. - Es war vor allem die "starke suggestive Ausstrahlung", die Wilhelm Grimm zuerst auffiel an Johann Christian Reil. Und vielleicht war es ja nicht zuletzt die Wirkung dieser Ausstrahlung, die dem Geschichtensammler das Leben rettete - zwei Jahr bevor er und sein Bruder Jakob der Welt die "Deutschen Kinder- und Hausmärchen" schenken konnten. Grimm und Goethe waren die beiden prominentesten Patienten des daher als Leibarzt der deutschen Klassiker bekannten halleschen Mediziners, der zugleich als einer der Begründer der modernen Psychiatrie gilt. Dieses Jahr ist Reil-Jahr. Die Stadt feiert den 250. Geburtstag ihres großen Sohnes, und zugleich ist es jetzt genau 200 Jahre her, seit Wilhelm Grimm nach Halle kam, und Reil dessen Herzasthma heilte, das damals lebensbedrohlich war. Durch diese Kur hatte Grimm noch genau 50 Jahre zu leben - und Weltkultur zu schaffen. Auch Goethes Gesundheit hielt nach Reils Therapien in Halle noch lange: Musste sie auch, denn sein Faust I war damals noch nicht gedruckt und Faust II noch nicht mal angefangen.
"Literatur zur Kur" heißt deshalb die diesjährige Aktion "Halle liest", die die Initiatorin Ingeborg von Lips Reil und seinem Umfeld gewidmet hat. Eine Schwierigkeit dabei war, dass es außer plastischen und grafischen Abbildungen des Jubilars kein brauchbares Bild von Reil zu geben schien. Ingeborg von Lips recherchierte und stieß auf ein Bild, das der Rat des Bezirkes Halle 1975 in Auftrag gegeben hatte: bei Walek Neumann.
Neumann (Jahrgang 1940) - ein hallescher Künstler, der in Leipzig studiert und lange im Allgäu gelebt hat, bevor er kürzlich nach Leipzig zurückkehrte - galt damals als einer von nur wenigen profilierten Porträtmalern. Er nutzte die vorhandenen Abbildungen Reils als Vorlage - aber nicht nur. "Besonders inspiriert haben mich die Schilderungen Wilhelm Grimms zu Reil", sagt der Künstler, der die erwähnte Suggestivkraft mit einem scharfen, ja fast schon stechenden Blick bei Reil ausdrückt. Daran hat der Maler besonders intensiv gefeilt - mit eindrucksvollem Ergebnis, wie man sieht.
Das Bild aus dem Bestand der Sammlung der Universität wurde bei der Eröffnung der "Halle liest"-Reihe vor großem Publikum präsentiert. Was der Maler Walek Neumann noch alles zu bieten hat, ist derzeit endlich mal wieder in Halle zu sehen - dank einer Ausstellungsbeteiligung in der Galerie Stelzer und Zaglmaier. Galerist Helmut Stelzer präsentiert Neumann, der ein Jugendfreund von ihm ist, als Freilichtmaler - einen von nur wenigen dieser Art, die es noch gibt. Neumanns Malerei hält sich fernab von Moden und ist dafür umso näher dran am Wesentlichen - am Naturerleben. Und das hat ihn wohl auch befähigt, uns eine plausible und prägende Version von der Natur einer der kraftvollsten Figuren der Stadtgeschichte zu liefern.
Ausstellung (zusammen mit Bildern von Joachim John und Karl-Heinz Köhler) bei Stelzer und Zaglmaier, Gr. Steinstr. 57 - bis 24. Juni. Geöffnet werktags 13.30-18.30 Uhr.