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Opfer eines Selbstmordanschlags Gefallen in Afghanistan: Familie trauert nach Selbstmord-Attentat um Sohn Florian

Von Alexander Schierholz 07.04.2017, 10:52
„Du bist nicht mehr da, wo Du warst, aber Du bist überall, wo wir sind“, steht auf dieser Tafel auf dem Grab von Florian Pauli.
„Du bist nicht mehr da, wo Du warst, aber Du bist überall, wo wir sind“, steht auf dieser Tafel auf dem Grab von Florian Pauli. Andreas Stedtler

Halle (Saale) - Florian Pauli hat jetzt einen Platz im Museum. Die Todesanzeige für den jungen Soldaten aus Halle, der vor mehr als sechs Jahren in Afghanistan ums Leben kam, wird in einer Ausstellung im Zeitgeschichtlichen Forum in Leipzig gezeigt. Thema: die Vereinigung der Nationalen Volksarmee der DDR und der Bundeswehr.

Die Schau reicht bis in die Gegenwart, am Beispiel Florian Paulis wird der Tod deutscher Soldaten bei Auslandseinsätzen beleuchtet. Seine Mutter hatte sofort zugestimmt, als die Ausstellungsmacher anfragten. „Die Jungs, die in Afghanistan gestorben sind, dürfen in der Öffentlichkeit nicht vergessen werden“, sagt Kathrin Pauli.

56 Bundeswehrsoldaten sterben bei Einsatz am Hindukusch

Florian Pauli ist einer von bisher 56 Bundeswehrsoldaten, die in dem Land am Hindukusch ihr Leben gelassen haben. Durch Unfälle, Bomben, Sprengfallen, Selbstmordattentate. Florian Pauli starb am 7. Oktober 2010, einem Donnerstag, bei der Sicherung einer Brücke gegen einen drohenden Angriff von Taliban in der nordafghanischen Provinz Baghlan. Als er sich um einen vermeintlich verletzten Bauern am Straßenrand kümmern wollte, sprengte der Mann sich in die Luft und riss den Oberfeldwebel mit in den Tod. Florian Pauli wurde 26 Jahre alt.

Sein Tod ist bis heute wie eine offene Wunde, die schmerzt und nicht heilen will. Er lässt Eltern, Kameraden, Freunde traurig, wütend, verzweifelt zurück. Er hinterlässt viele bohrende Fragen, von denen seine Mutter weiß, dass sie darauf keine Antwort bekommen wird.

Die für sie wichtigste Frage hat Kathrin Pauli in einer Anzeige formuliert, die im vorigen Jahr zum sechsten Todestag ihres einzigen Kindes in der MZ erschienen ist, in Großbuchstaben: „WOFÜR“? Wofür ist Florian Pauli gestorben? Für Deutschland, wie es auf seinem Grabstein in Halle steht? Für die Verteidigung des Westens und seiner Werte am Hindukusch? Kathrin Pauli weiß es nicht: „Für mich ist sein Tod bis heute sinnlos“, sagt sie.

Mann aus Halle (Saale) stirbt bei Bundeswehreinsatz in Afghanistan: Mutter leidet unter Alpträumen

Seit mehr als sechs Jahren kämpft Kathrin Pauli, 52, einen Kampf, der ihr Leben verändert hat. Sie schläft maximal zwei, drei Stunden, geplagt von Albträumen. Sie kämpft um die Wahrheit und darum, Ruhe finden zu können. Der Tod ihres Sohnes ist ständig präsent. Ihre Gedanken kreisen um dieses „Warum“. Sie findet keinen Trost und keine Erklärung für seinen Tod.

Sie wolle nichts relativieren, sagt sie, „aber wenn er zu schnell Motorrad gefahren, gestürzt und gestorben wäre, dann wüsste ich, er wäre selbst schuld daran. Vielleicht sind wir Menschen so, dass wir immer einen Schuldigen brauchen“.

Für die Bundeswehr ist der Fall klar: Ein Selbstmordattentäter, ein alter Mann, verkleidet als Bauer, sprengt sich in die Luft. Das ist die Version, die Kathrin Pauli nach dem Anschlag zu hören bekommt.

Aber voriges Jahr im Oktober, als sich Freunde und ehemalige Kameraden mit ihr wie jedes Jahr an seinem Grab versammeln, hört sie eine andere Version: kein alter Mann sei es gewesen, erzählt jemand, der dabei war und selbst schwer verletzt wurde, sondern ein Junge, 16, 17 Jahre alt.

Bundeswehrsoldat Florian Pauli stirbt in Afghanistan: zwei Versionen des Angriffs

Macht das einen Unterschied? „An Florians Tod ändert es nichts“, sagt seine Mutter. Aber es lässt ihre Ungewissheit wachsen darüber wie es wirklich war. Zwei Versionen, die in ihr arbeiten und sie nicht zur Ruhe kommen lassen.

Florian Pauli lebt auf Fotos weiter: Familienbilder. Bilder, die seine Kameraden gemacht haben. Sie zeigen ihn im Bundeswehr-Lager in Afghanistan, in Uniform, beim Kochen, ein ernst dreinblickender junger Mann mit Bart und Brille. Es gibt auch Fotos, auf denen nur ein schlichtes Holzkreuz zu sehen ist, vielleicht 2,50 Meter hoch, mit seinem Namen, dem Dienstgrad, Geburts- und Sterbedatum.

Kameraden von ihm hatten es nach dem Anschlag gezimmert. Erst stand es am Tatort, mitten in der afghanischen Wüste. Nun ist es umgezogen in den „Wald der Erinnerung“ bei Potsdam. Dort können Angehörige auf einem speziell hergerichteten Gelände der Bundeswehr gefallener Soldaten gedenken. Kathrin Pauli fährt regelmäßig hin.

Ausflüchte und Geheimniskrämerei der Bundeswehr nach dem Tod des Soldaten Florian Pauli aus Halle

Die Fotos sind überall in ihrem Wohnzimmer, sie hängen an den Wänden, stehen in der Schrankwand, daneben Erinnerungsstücke. Florian Paulis Uhr zum Beispiel, die sie zusammen mit seinem Handy und seiner Kamera erst mehr als ein Jahr nach dem Anschlag zurückbekommen hat.

Wann immer sie danach fragt in den Monaten nach seinem Tod, hagelt es Ausflüchte: Mal heißt es, die Dinge, die er bei sich hatte, als er starb, seien nicht auffindbar. Mal, sie seien längst geschreddert und verbrannt, wie die Uniform, die er trug. Für das Handy und den Fotoapparat bietet die Bundeswehr ihr finanziellen Ersatz.

„Ich wollte doch nichts neu kaufen“, sagt sie fassungslos, „ich wollte doch nur die persönlichen Gegenstände meines Sohnes.“ Zu viel verlangt? Erst als der Wehrbeauftragte des Bundestags sich einschaltet, erhält sie die Sachen zurück, die Speicherkarten von Telefon und Kamera gelöscht. Warum die Geheimniskrämerei? Sie weiß es bis heute nicht. Noch so eine offene Frage.

Das Gute im Schlechten: Sie ist nicht allein. Sie fühlt sich aufgefangen von ihrem Freundeskreis, der eigentlich der Freundeskreis ihres Sohnes war. Die Clique in Halle, die früheren Kameraden aus Seedorf in Niedersachsen, wo Florian Pauli stationiert war.

Sie unternehmen viel zusammen, sie sehen sich an Geburtstagen oder spontan auf dem Weihnachtsmarkt. Gerade war sie wieder in Seedorf, zum Zehnjährigen des Standortes. „Das ist eine eingeschworene Truppe, wie eine Familie. Und ich gehöre dazu.“ Sie sagt es mit Stolz, bis ihre Stimme bricht und ihr die Tränen kommen.

Fast täglich besucht Kathrin Pauli das Grab ihres Sohnes, nicht weit von ihrem Haus. Stiefmütterchen und Tulpen blühen in Gelb und Lila um die Wette - ein Bild des Friedens. Grablichter brennen, daneben stehen Engelsfiguren und Spielzeugautos. Freunde von Florian Pauli haben sie dort platziert: ein kleiner Rettungswagen, weil er Rettungsassistent war. Und ein grünes Modell-Motorrad. Wie die grüne Kawasaki, die er sich vier Wochen vor seinem Aufbruch nach Afghanistan gekauft hatte. Florian Pauli hatte noch so viel vor. (mz)

Langer Kampf: Die Uhr von Florian Pauli bekam seine Mutter erst mehr als ein Jahr nach dem Anschlag zurück.
Langer Kampf: Die Uhr von Florian Pauli bekam seine Mutter erst mehr als ein Jahr nach dem Anschlag zurück.
Andreas Stedtler
Florian Pauli ist als Berufssoldat vor sechs in Afghanistan gefallen.
Florian Pauli ist als Berufssoldat vor sechs in Afghanistan gefallen.
Andreas Stedtler
Florian Pauli starb 2010
Florian Pauli starb 2010
Andreas Stedtler