Fußball-EM Fußball-EM: Wie Gehörlose in der Gebärdenmanufaktur die Spiele schauen
Halle (Saale) - Der deutsche Nationalspieler Thomas Müller ist ein fröhlicher Mensch. „Er grinst doch eigentlich immer. Deshalb ist seine Namensgebärde auch ein lachender Mund - während die Lippen wie immer in der deutschen Gebärdensprache ,Müller’ formen“, sagt Falko Neuhäusel. Er sagt das mit Händen und Mimik. Neuhäusel ist gehörlos, seine Stimme an diesem Fußballabend, als Deutschland gegen Nordirland spielt, ist jene von Gebärden-Dolmetscherin Josefine Hergt.
Falko Neuhäusel ist Fußballfan. Und Spieler. Einmal in der Woche trainiert der 56-Jährige bei den Alten Herren der SG Reußen bei Landsberg. Als Dozent für die Deutsche Gebärdensprache in Magdeburg gibt er auch Dolmetscher-Kurse in der „Gebärdenmanufaktur“ Halle, die seine ebenfalls gehörlose Frau Mercedes seit zwei Jahren in der Bergstraße nahe der Kleinen Ulrichstraße betreibt.
Fußballerische Bemühungen
Und wie schon zur WM 2014 lädt der fußballbegeisterte Neuhäusel auch zur EM zum gemeinsamen Schauen der fußballerischen Bemühungen von Joachim Löws Truppe ein. „Um gute Stimmung wird gebeten, und tolle gebärdliche Anfeuerungen wären schön“, heißt es in der Einladung.
Dieser sind am Mittwoch etwa 30 Gehörlose, Schwerhörige, aber auch einige hörende Fußballanhänger - darunter auch einige Kinder - gefolgt. Wobei im Spielverlauf nicht ganz klar wird, was unter „gebärdlichen Anfeuerungen“ zu verstehen ist. Klatschen jedenfalls wird mit dem Wedeln der Hände gebärdet.
Die Gebärdensprache hat auch dem Fußball charakteristische Gesten zugewiesen. Bei einem „Tor“ etwa stellen die Hände treffend eine schießende Pistole oder Gewehr dar. Bei einem „Foul“ grätschen die Finger der einen die der anderen Hand weg. Auch die Fußballer haben Namensgebärden: Schweinsteiger etwa wird mit der händischen Darstellung einer Schweineschnauze und einer Kletter-Bewegung beschrieben.
Jubel ist Jubel
Bundestrainer Joachim Löw ist erkennbar, wenn in rascher Gebärde der Ärmel hochgeschoben wird. Eins wird im „Fernsehraum“ der Gebärdenmanufaktur aber auch klar: Jubel ist Jubel. Er unterscheidet sich nicht bei Gehörlosen und Hörenden. Optisch sowieso nicht, aber der Torjubel ist auch akustisch bei Gehörlosen mit Krach verbunden.
Nach dem Jubel wird es aber vergleichsweise rasch leiser, stattdessen hebt im Raum ein reges, stummes Gestikulieren an: Die Entstehung des Treffers von Mario Gomez wird mit den Händen nachvollzogen. Das Spiel wird auf einer Leinwand gezeigt - mit eingeblendetem schriftlichen Kommentar. „Bei Online-Übertragungen wird bei ARD und ZDF immer auch ein Kommentar eingeblendet. Der beschreibt, was auch dem Feld und im Stadion geschieht“, erläutert Falko Neuhäusel. Auch der Text der Nationalhymne kann so im Bild nachgelesen werden.
Ton ist egal
Der Ton des Spieles hingegen ist egal - logischerweise. Erst als die beiden Jungs Ricardo und Antonio-Luis Antolek, zwei hörende Söhne schwerhöriger Eltern, darum bitten, schaltet Falko Neuhäusel den Ton der Fernsehübertragung zu.
Fußball schauen ohne Fangesang im Stadion. Und ohne die Stimme des Kommentators. Wer das Spiel kommentiert, und wie gut, eine viel diskutierte Frage unter Hörenden, ist den gehörlosen Zuschauern unwichtig. Sie lesen ohnehin nur eine Kurzform des gesprochenen Wortes. Was etwas seltsam ist, weil das Geschehen auf dem Rasen dem schriftlichen Kommentar immer zehn Sekunden voraus ist.
Dass Gehörlose zusammen Fußball schauen, außer im privaten Kreis, ist einmalig in Halle. „Bis zum Finale laden wir die Gehörlosen dazu ein, möglichst mit Anmeldung “, sagt Falko Neuhäusel. Er ist davon überzeugt, das er den Text der Deutschen Hymne auch im Finale lesen kann. Die Gebärde für „Deutschland“ ist übrigens ein erhobener Zeigefinger, an die Stirn gelegt: Symbol für die Pickelhaube. (mz)