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Freiraumgalerie in Halle: Hendryk von Busse im Porträt Freiraumgalerie in Halle: Hendryk von Busse im Porträt: Stadtgeschichte mit Sprühdose schreiben

Von Jan Schumann 26.05.2015, 12:12
Sprayer und Wissenschaftler in einem: Hendryk von Busse in seinem Atelier in der Freiraumgalerie in Halle.
Sprayer und Wissenschaftler in einem: Hendryk von Busse in seinem Atelier in der Freiraumgalerie in Halle. Silvio Kison Lizenz

Atelier-Besuch in Halle-Ost: Erste Sonnenstrahlen schießen durch das alte Industriegebäude in der Landsberger Straße. Hendryk von Busse lehnt in einem der abgewetzten Sofas, von denen dort mehrere stehen. „Kennst du den Spiegelbaum?“, fragt er. „An ihm siehst du, wie Graffiti funktionieren kann.“ Den Hallensern im Stadtteil Freiimfelde ist der Spiegelbaum bekannt – er ist Teil der hier entstandenen Freiraumgalerie und gehört zu den rund 70 Fassaden-Kunstwerken im Graffiti-Herzen der Stadt. Der Spiegelbaum wuchert mit silbernem Stamm und flimmernden Ästen über die Frontseite eines Hauses, in dem früher das Geschäft „Hufbeschlag und Wagenbau“ war.

„Schau mal genau hin!“, fordert von Busse. „In der Fassade sind verschiedene Mauerstein-Typen verbaut. Im Krieg flog eine Bombe auf das Haus.“ Die unterschiedlichen Steintypen zeichnete er mit bunter Farbe nach, verarbeitete das Relief im Bild. Frische Malerei und verbrauchte Architektur verschmolzen zu etwas Neuem – nach diesem Prinzip funktioniert die komplette Freiraumgalerie.

Leerstands-Quote von fast 40 Prozent

Von Busse ist der Kopf des gigantischen Graffiti-Projekts, das dem Stadtteil Freiimfelde mit seiner Leerstands-Quote von fast 40 Prozent zu einem neuen Gesicht und Selbstbewusstsein verholfen hat. Und das innerhalb von fünf Jahren. Nicht wenige Hallenser sagen: Mit Vision und Tatkraft schafften von Busse und seine Mitstreiter das, was die Stadtpolitik jahrzehntelang nicht konnte. Mittlerweile wirbt auch die Stadtverwaltung mit den neuen Reizen des Viertels. 2013 gewann von Busse den Bürgerpreis „Esel, der auf Rosen geht“.

Umso erstaunlicher ist, dass der 28-Jährige erst vor fünf Jahren nach Halle kam. Er wuchs nahe Düsseldorf auf und studierte Raumplanung an der TU Dortmund. Der Tipp, an die Saale zu kommen, kam vom Statistischen Bundesamt. „Ich stellte im Jahr 2010 eine Anfrage nach der deutschen Großstadt mit der höchsten Leerstandsquote“, erzählt er. „Die Antwort lautete: Halle an der Saale.“ Hier begann er zu erforschen, ob Streetart einen positiven Einfluss auf die Stadtviertel-Entwicklung haben kann.

Graffiti-Kunst als Politikum

So zielstrebig er seine wissenschaftlichen Ziele verfolgt, so untypisch ist sein Werdegang als Sprayer. „Ich habe erst vor neun Jahren mit dem Sprühen angefangen“, sagt er. Damals war er 19 – ein Alter, in dem viele Sprayer die Dosen schon wieder niederlegen. „Bei mir war das anders.“ In der Freiraumgalerie findet sich eine Reihe von Fassaden mit seiner Signatur. Mit Auftragsarbeiten verdient er sich Geld, auch außerhalb der Grenzen der Saalestadt.

In seinem Atelier in der Landsberger Straße ist von Busse seit Jahren eingemietet, gemeinsam mit weiteren Künstlern. „Doch ich verbringe hier eigentlich immer weniger Zeit“, sagt er. Derzeit sitzt er häufiger am Schreibtisch: In einem wissenschaftlichen Bericht erforschen er und sein Team derzeit, welche Auswirkungen die Freiraumgalerie auf Freiimfelde hat. „Scheinbar hat es durch die neue Kunst in den Straßen eine Belebung des Viertels gegeben“, sagt von Busse. „Jetzt wollen wir wissen, ob Graffiti ein politischer Faktor sein kann, wenn es um die Entwicklung von Großstädten geht.“

Motor der Gentrifizierung?

Die ersten Ergebnisse sagen: Von Busses Vision erfüllt sich. Für Hunderte Befragte im Stadtteil und in Halle ist die Freiraumgalerie der wichtigste Alleinstellungsfaktor von Freiimfelde, rund zehn Prozent sehen die Graffiti-Offensive als Antriebsmotor für einen positiven Wandel im Viertel. „Was früher Grund für Mietminderung war, kann heute einen Stadtteil voranbringen – so sieht es derzeit aus“, sagt von Busse. „Wir wüssten gern, wo das künftig hinführen kann.“ Es gibt aber auch Kritiker. Diese werfen den Freiraum-Künstlern vor, einen Beitrag zur Gentrifizierung, also zur Abwanderung von Menschen mit wenig Geld, zu leisten. „Es fällt uns schwer, das ernst zu nehmen, hier gibt es ja immer noch keine Mietkonkurrenz“, so von Busse. „Doch der Begriff fällt immer öfter, deswegen beschäftigen wir uns damit. Es gibt Leute, die wollen, dass alles so bleibt, wie es ist.“ Doch Stillstand ist seine Sache nicht, und Freiimfelde lässt ihn nicht los. Geht es nach von Busse, wird in der Landsberger Straße in Halles Osten weiter Stadtgeschichte mit der Sprühdose geschrieben. (mz)