Aus Bagdad in die DDR Flüchtling Amir Hamza: Der Mann, der aus der Fremde kam

Leipzig - Am 16. September 1981 betrat der Iraker Amir Hamza zum ersten Mal deutschen Boden. In Bagdad hatte er sich schon als junger Mann politisch engagiert.
Gefährlich, seit Saddam Hussein dort die Macht ergriffen hatte. Über ein Jahr hatte es damals gedauert, bis er über eine Organisation der irakischen Opposition ausreisen konnte. Zum Studium in die DDR.
Mit den Flüchtlingsschicksalen von heute ist seine Ankunft wohl nicht zu vergleichen - ein Flüchtling war er dennoch. 21 Jahre alt, allein, getrennt von Eltern, Familie und Heimat.
Iraker Amir Hamza: Student, Professor, Chef der Urologischen Klinik
Fünf Mark und ein Stück Pappe - die Fahrkarte -, so ging es von Berlin nach Leipzig. Das Studentenwohnheim - „ein Alptraum“, sagt er heute. „Zum ersten Mal habe ich ein Doppelstockbett gesehen. Mein Koffer kam in die Desinfektion - ich hatte nichts“, erinnert er sich. Und denkt im gleichen Atemzug daran, dass am nächsten Morgen die Welt schon etwas freundlicher aussah.
Amir Hamza wurde Medizinstudent in Halle. Heute ist er Professor Dr. med. habil. und Chef der Urologischen Klinik im Krankenhaus St. Georg in Leipzig, Unter seiner Leitung wurde sie ausgebaut und zu einer der größten urologischen Kliniken Mitteldeutschlands entwickelt. „Ich habe den höchsten akademischen Titel erreicht“, sagt er, „in Deutschland!“ Wie wichtig ihm das ist, sagt er nicht, doch es ist deutlich zu spüren.
Der 56-Jährige hat noch mehr geschafft. Er hat sich in Halle ein Leben aufgebaut. Hier blieb er nach Abschluss seines Medizinstudiums, noch zu DDR-Zeiten.
Professor Amir Hamza: Menschlichkeit beeindruckt den Geflüchteten
„,Junge, pass auf’, sagte mein erster Chef zu mir“, erzählt der Arzt von seinen ersten Schritten an der Urologischen Uni-Klinik. „,Du musst das Zwei- bis Dreifache leisten, damit du anerkannt wirst.’ Genau das habe ich gemacht.“
Mit Dankbarkeit denkt er an Kollegen und Freunde, die ihm halfen, Fuß zu fassen. „Die Menschlichkeit in meinem Umfeld, der Zusammenhalt - das hat mich beeindruckt“, schwärmt der Mediziner. Ob die Kollektivgesellschaft nun erzwungen war oder nicht, „sie war da und heute ist davon leider nur wenig geblieben“.
Die Veränderungen im Alltag bewegen Amir Hamza. Viele Deutsche seien nach dem Krieg Flüchtlinge gewesen, andere hätten nach der Wende ihre Heimat verlassen. „Gerade die Deutschen müssten doch die Flüchtlinge verstehen“, meint er und bedauert, dass es oft anders ist.
Klinikchef Amir Hamza: Persönliches Glück im fremden Land
Es liegt ihm auf der Seele, dass sich die Stimmung im Land gegenüber Flüchtlingen verschlechtert hat, das ist ihm anzumerken. „Da muss man drüber reden“, sagt er.
Denn das weiß er aus eigener Erfahrung: Es ist nicht leicht, aber es kann gelingen, in einem fremden Land nicht nur buchstäblich, sondern auch im übertragenen Sinne anzukommen.
An der Urologischen Klinik in Halle fand Amir Hamza nicht nur berufliches Glück, sondern auch persönliches. Hier lernte er seine Frau Daniela kennen, damals dort Krankenschwester.
Deutscher Amir Hamza: Professor bringt Eltern in Halle in Sicherheit
Sie heirateten, bekamen Tochter und Sohn, kauften ein Haus in der Saalestadt. Hamza wurde Oberarzt und einer der besten Operateure am Nierentransplantationszentrum.
1993 erhielt der Iraker die deutsche Staatsbürgerschaft. Zugleich wurde die Lage der Eltern und Verwandten im Irak immer unhaltbarer. Schließlich holte er die Eltern 1996 zu sich.
„Sein Haus, die Möbel, das Auto - alles hat er im Irak zurück gelassen“, erzählt der Sohn über seinen Vater. Doch auch das gelang: Die Eltern lebten sich ein, akzeptierten das fremde Land, ihr neues Leben. Und sie freuten sich, dass sie endlich persönlichen Kontakt zu ihren Enkeln hatten.
Professor Amir Hamza: „Ich liebe dieses Land, meine Heimat“
2010 schließlich kam der Ruf von St. Georg in Leipzig: Klinikchef. Anerkennung seiner Fähigkeiten als Mediziner. Und eine Stellung mit Gestaltungsmöglichkeiten.
„Ich liebe dieses Land, meine Heimat“, sagt Amir Hamza heute. Und betont: „Wie es mich und meine Eltern behandelt hat, dafür bin ich sehr dankbar.“ Persönliche Nachteile oder Übergriffe hat er nie erlebt. Auch seine Kinder nicht. Seine Tochter Jasmin, erwachsen, verheiratet und Mutter inzwischen, lebt in der Türkei. Sohn Sari wird im nächsten Jahr das Abitur ablegen.
Was treibt den Professor heute um? Dass sich die Stimmung im Land verändert hat. Dass so wenige Möglichkeiten, die der Zustrom von Flüchtlingen mit sich bringt, genutzt werden.
Flüchtling Amir Hamza: Eigene Geschichte als Beispiel für Integration
„Wir haben Fachkräftemangel“, sagt er, „dennoch warten derzeit allein in Sachsen um die 1.000 Ärzte, die als Flüchtlinge gekommen sind, auf ihre Zulassung.“
Das regt ihn auf. Genauso wie die Tatsache, dass auch vieles andere, was die Integration betrifft, so langsam verläuft. „Am wichtigsten“, weiß er, „ist die Sprache. Die muss man lernen. Und wer Flüchtling ist, der muss sich anpassen. In seiner Lebensweise und kulturell. Nicht nur finanzielle Hilfe erwarten.“
Als Fremder müsse man die Gesellschaft akzeptieren, fordert er. Gesetze und andere Menschen achten, auch dann, wenn es einem selbst nicht gefalle. Seine eigene Geschichte, hofft er, kann ein Beispiel sein.
Iraker Amir Hamza: Professor hat die Heimat nicht vergessen
Wie hat er sich verändert? Ist er „deutscher“ geworden? Über diese Frage kann Amir Hamza herzhaft lachen. Und gibt zu, dass es ihm die Tugenden angetan haben, die als klassisch deutsch gelten: Pünktlichkeit, Fleiß, Direktheit. Manches aus seiner alten Heimat vermisst er auch.
„Die Wärme im Umgang miteinander, die selbstverständliche Gastfreundschaft“, zählt er auf. Da lächelt auch seine Frau. „Er kann stundenlang mit Freunden zusammensitzen und reden“, verrät sie.
Dabei wird nicht nur geplaudert, denn politisch interessiert, das ist er geblieben. Er hat ihn nie vergessen, den Irak. Nur ein einziges Mal ist er in den vergangenen 35 Jahren dort gewesen - um einen Patienten zu behandeln.
Klinikchef Amir Hamza: Stetige Kontakte zu Flüchtlingen im Nordirak
Schon seit vielen Jahren kommen Kinder aus Krisengebieten nach Deutschland, auch ins Klinikum St. Georg, um hier behandelt zu werden. Für den zweijährigen Malak, der ursprünglich aus Mossul stammte, wäre das nicht möglich gewesen.
Also flog der Professor zu ihm. Kontakt hat er bis heute zu Flüchtlingen im Norden Iraks. Und auch zur Babylon-University. Regelmäßig kommen von dort Ärzte in Ausbildung für zwei Wochen nach Leipzig.
„Kommt her, lernt etwas, geht zurück und setzt es um“, gibt ihnen Amir Hamza auf den Weg. Denn das ist etwas, was ihn bereichert hat, betont er: „Das hohe Niveau der Wissenschaft in Deutschland. Ich habe ungeheuer viel gelernt, während meiner Uni-Zeit und bei meiner späteren Arbeit.“
Was er vermisst? Da sagt der Deutsche, der auch immer ein Iraker bleibt: „Frieden für mein Land.“ Irgendwann, hat er seiner Frau versprochen, „zeige ich dir einmal Bagdad“. (mz)