Fabian von Schlabrendorff Fabian von Schlabrendorff: Der Hitler-Attentäter aus Halle
Halle (Saale)/MZ. - "Wie konnte es bloß dazu kommen?" Das ist heute - auf den Tag genau 80 Jahre nach Hitlers Machtergreifung - wieder die zentrale Frage. Aber auch, ob sich nicht irgendwann in der Folgezeit das Verhängnis hätte aufhalten lassen. Von Hitlers zahlreichen skrupellosen Helfern auch aus Halle war zuletzt öfter die Rede. Und zwei von ihnen - Reinhard Heydrich und Ludolf von Alvensleben - waren sogar auf Schlüsselpositionen im Umfeld Himmlers an Hitlers Völkermord beteiligt. Aber es gab auch das andere Halle - Leute des Widerstands, die ihr Leben aufs Spiel setzten, um das Schlimmste vielleicht noch abzuwenden. Einer davon war Fabian von Schlabrendorff.
"Als mein Fall am 3. Februar 1945 vor dem Volksgerichtshof aufgerufen wurde", so erinnerte er sich später, "da erklangen die Alarmsirenen. Und ein fürchterliches Bombardement begann", so heißt es in seinem Text "Offiziere gegen Hitler", in dem er erstmals über die Widerstandskämpfer und Hitler-Attentäter vom 20. Juni 1944 berichtete. Schlabrendorff - 1907 in Halle geboren - setzte sich schon während seines Jurastudiums in seiner Geburtsstadt intensiv mit dem Nationalsozialismus auseinander und bemerkte mit Schrecken, wie diese Bewegung "zunächst die Studentenschaft und später auch die Dozentenschaft an sich zu reißen drohte."
Schon früh ein Nazi-Gegner
Mit Gleichgesinnten gründete er eine studentische Oppositionsgruppe, wobei er noch "jung, unvorsichtig und abenteuerlustig genug" war, um sich offen gegen die Nazis zu stellen und auch die Massenkundgebungen des späteren Gauleiters zu stören. Nach dem Studium arbeitete von Schlabrendorff als Assistent des Staatssekretärs Herbert von Bismarck im preußischen Innenministerium. Gemeinsam versuchten sie, führende konservative Politiker wie Reichspräsident Paul von Hindenburg, Reichskanzler Franz von Papen und Medienzar Alfred Hugenberg von dem Schulterschluss mit Hitler abzuhalten - vergeblich. Auch um ein Bündnis mit linken Gruppen bemühte sich Schlabrendorff in dieser Zeit. Doch trotz freundschaftlicher Kontakte zu dem Publizisten Ernst Niekisch, den der Hallenser Anfang 1933 auf abenteuerliche Weise aus einem SA-Folterkeller befreite, kam es zu keiner weitreichenden Allianz zwischen konservativen und linksgerichteten Kräften. Nach der "Machtergreifung" zog sich Schlabrendorff in die Provinz zurück, weil er Hitler nicht als Staatsbeamter dienen wollte. In Rhein-Hessen und auf den Besitzungen Bismarcks in Pommern arbeitete er stattdessen als Rechtsanwalt. Nach der Gründung einiger kleinerer Widerstandszellen kehrte er 1938 nach Berlin zurück und fand die Opposition zu Hitler wesentlich geschlossener vor, als noch fünf Jahre zuvor. In deren Auftrag begab sich von Schlabrendorff 1939 nach England, um den Premier Winston Churchill in seine Pläne einzubinden. "Ich erinnere mich noch, dass ich das Gespräch einleitete mit den Worten: Ich bin kein Nationalsozialist, aber ich bin ein Patriot. Churchill antwortete: Ich auch."
Doch noch war der Widerstand zu schwach; erst angesichts der Gräueltaten des Weltkriegs und der immer aussichtsloser werdenden militärischen Lage nach der Schlacht von Stalingrad stellten sich auch hohe Wehrmachtsoffiziere gegen Hitler. Einer der führenden Köpfe unter ihnen war der gebürtige Magdeburger Oberst Henning von Tresckow, Generalstabsoffizier im Hauptquartier der Heeresgruppe Mitte und Cousin Schlabrendorffs.
Der übernahm für Tresckow Kurierdienste, stellte Verbindung zu Widerstandsgruppen in der Hauptstadt her und führte am 13. März 1943 ein erstes Attentat auf Hitler aus: Er deponierte zwei mit Sprengstoff gefüllte Cognac-Flaschen in einem Flugzeug Hitlers, doch die Zünder versagten. Der Anschlag blieb unentdeckt und Schlabrendorff intensivierte seine Bemühungen, nahm Kontakt zu dem Kreisauer Kreis um Helmuth Graf von Moltke auf und kam so in die Gruppe der Attentäter vom 20. Juli 1944, unter denen Claus Schenk Graf von Stauffenberg eine führende Rolle einnahm. Nachdem auch dieser Anschlag gescheitert war, traf die Verschwörer die Rache der Nazis, die sie einsperrten und mehr als 200 von ihnen hinrichten. Tresckow und Stauffenberg schon tags darauf, Moltke im Januar 1945.
Schlabrendorff wurde dem Präsidenten des Volksgerichtshof Roland Freisler, der schon die Geschwister Scholl zum Tode verurteilt hatte, am 3. Februar 1945 vorgeführt, als die Sirenen ertönten: Die Amerikaner bombardierten Berlin, trafen das Gerichtsgebäude. "Ein gewaltiger Balken verlor seinen Halt, löste sich, schlug herunter und traf mit voller Wucht Freisler, der die Akten meines Prozesses noch in der Hand hielt, tödlich", so Schlabrendorffs Bericht.
Später Verfassungsrichter
Nach dem Tod des Blutrichters zog sich der Prozess hin, der Gefangene wurde gefoltert und schließlich ins KZ Dachau gebracht. Von dort wurde Schlabrendorff im April gemeinsam mit 130 anderen Häftlingen auf einen Todesmarsch geschickt. Diesen Transport, zu dem auch Martin Niemöller, Prinz Friedrich von Preußen, Fritz Thyssen und der ehemalige Bundeskanzler Österreichs, Kurt von Schuschnigg, gehörten, beendete der Wehrmachtsoffizier Wichard von Alvensleben - ein Verwandter des halleschen Kriegsverbrechers Ludolf von Alvensleben. Er befreite die Gefangenen aus den Händen der SS.
Schlabrendorff verteidigte in der Nachkriegszeit die oft als Verräter denunzierten Widerstandskämpfer. 1967 bekam er das Große Bundesverdienstkreuz und wurde Richter am Bundesverfassungsgericht. Als solcher setzte er sich erfolgreich dafür ein, dass das Recht auf Widerstand ins Grundgesetz aufgenommen wird. Fabian von Schlabrendorff starb am 1980 in Wiesbaden. In Frankfurt / Main, Detmold und Rangsdorf sind Straßen nach ihm benannt. In Halle erinnert nichts an ihn.