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Erinnerungen Erinnerungen: Ungehobelte Befreier

Von SILVIA ZÖLLER 21.08.2012, 15:47

Halle (Saale)/MZ. - Wie froh die Hallenser - wie alle anderen - 1945 über das Kriegsende und die Befreiung waren, kann man in zahlreichen Veröffentlichungen nachlesen. Aber wie der Alltag in Halle war, nachdem die Rote Armee ab 1. Juli 1945 die Besatzungsmacht war - das ist weniger bekannt. Der 81-jährige Klaus Lehnert hat dies in einem Kapitel eines jetzt im Mitteldeutschen Verlag erschienen Buches beschrieben, das sich mit der russischen Besatzungszeit von 1945 bis 1947 in der Region beschäftigt.

Primitiv war für den gebürtigen Hallenser, der heute in Gommern (Landkreis Jerichower Land) wohnt, nicht nur die Ausstattung der Roten Armee im Gegensatz zu den US-Soldaten mit ihren Jeeps: "Wir sahen sie die Ludwig-Wucherer-Straße heruntermarschieren, ein nicht enden wollender Zug kleiner einspänniger Pferdewagen, aber auch ganze Abteilungen schlichter Fußlatscher."

Außerdem beschreibt der Geophysiker Lehnert auch die Sitten der Sowjets als ungehobelt und unzivilisiert: Die Funktion der Toiletten sei den russischen Soldaten ein Rätsel gewesen; Fenster und ganze Wohnungen demolierten sie nach der Erinnerung von Lehnert.

Selbst bei der Demontage der halleschen Fabrikanlagen war rohe Gewalt an der Tagesordnung: Als eine gusseiserne Maschine der Pumpenfabrik, in der Lehnerts Vater beschäftigt war, nicht auf einen Eisenwagenwaggon passte, sollte das überstehende Teil einfach mit einem Vorschlaghammer abgeschlagen werden - wodurch die Maschine nur noch Schrott war.

Aber nicht nur die üblen Beschimpfungen der Besatzer, ihre Vorliebe für die Beschlagnahmung von Armbanduhren oder ihre lauten Gesänge sind Lehnert in Erinnerung geblieben. Sondern auch, wie die Russen das zerstörte Stadtbild verändert haben: mit Spruchbändern, roten Sternen und Bannern mit Lenin- oder Stalinbildern.

Vieles hat Lehnert, der bis 1956 in Halle gewohnt hat, aus seinen Erinnerungen in den 80er Jahren aufgeschrieben: "Ich habe ein starkes Langzeitgedächtnis." Nicht nur über die Erlebnisse mit der Roten Armee, sondern viele weitere persönliche Erlebnisse aus den 30er, 40er und 50er Jahren in Halle hat der Rentner auf über 500 Seiten notiert: "Das ist aber nur familienintern", sagt Lehnert, der auch heute noch häufiger in der Saalestadt zu Gast ist, um sich mit alten Schulfreunden zu treffen.

Wilfried Lübeck: Die Fälle häufen sich. Übergriffe sowjetischer Soldaten in Sachsen-Anhalt 1945-1947. Halle: Mitteldeutscher Verlag, 2012.